<strong>Das ewige Problem mit den Abmahnungen</strong>

ist nach einer aktuellen Entscheidung des LAG Köln vom 20.10.2022 – 8 Sa 465/22 um eine Facette reicher geworden:

Ein Arbeitnehmer war wiederholt zu spät zur Arbeit erschienen. Der Arbeitgeber hat jedoch nicht auf jeden einzelnen Verstoß unmittelbar reagiert, sondern erst abgewartet, dann drei Verspätungen gleichzeitig abgemahnt, und die nächste Verspätung dann zum Anlass für die Kündigung genommen.

Keine gute Idee, wie sich herausstellte.

Die drei Abmahnungen, so das LAG Köln, entsprechen bzgl. ihrer Warnfunktion einer (!) Abmahnung – und unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes hätte es vor dem Ausspruch der Kündigung einer weiteren vierten (einschlägigen) Abmahnung bedurft.

Was daraus folgt, ist einmal mehr die Erkenntnis, dass sich die Warnfunktion einer Abmahnung derart abschwächen kann, dass eine Kündigung nicht mehr ohne weiteres möglich ist.

Beitrag von Ruth Dünisch zur neuen Vertikal-Gruppenfreistellungsverordnung der EU-Kommission

Am 1. Juni 2022 trat die neue EU Vertikal-Gruppenfreistellungsverordnung (Vertikal-GVO) und die sie ergänzenden neuen „Leitlinien für vertikale Beschränkungen“ in Kraft, die für die nächsten zwölf Jahre auch im deutschen Recht gelten und den kartellrechtlichen Rahmen für Vertriebsverträge und damit auch für Franchiseverträge vorgeben. Die neue Verordnung sieht mehrere wesentliche Änderungen vor, die das Kartellrecht im Bereich des Vertriebs modernisieren, für mehr Flexibilität sorgen und wichtige Fragen klären.

In der Ausgabe 04/22 des Magazins „FRANCHISE Connect“ stellte unsere Partnerin Ruth Dünisch ausgewählte Neuerungen der neuen Vertikal-GVO vor. So gibt es neben Einschränkungen des dualen Vertriebs nunmehr unter anderem Klarstellungen zur Preisgestaltung, einen flexibleren Gebietsschutz, Änderungen beim Wettbewerbsverbot sowie neue Kernbeschränkungen für den Online-Vertrieb.

Die neuen Regeln schränken einerseits den Anwendungsbereich des kartellrechtlich geschützten Bereichs ein, bieten Unternehmern aber auch völlig neue Möglichkeiten zur Geschäftsentwicklung und Gestaltung ihres Vertriebs.

Den gesamten Beitrag finden Sie hier: https://avr-emags.de/emags/Franchise-Connect/franchise-connect042022/#38

TCI ist Sponsor des 9. Göttinger Forum IT-Recht 2023

TCI Rechtsanwälte sponsern zum wiederholten Mal das Göttinger Forum IT-Recht, eine der führenden juristischen Fachtagungen zum IT- und Datenschutzrecht. Die Veranstaltung findet am 16. und 17. Februar 2023 hybrid statt und steht unter dem Motto „Mit Recht in die digitale Zukunft – Vom Datenschutz zu Cybersecurity“. Themen sind u.a. Data Sharing im internationalen Konzern, Cybersecurity und EU Cyber Resilience Act sowie Datenlizenzverträge. Dr. Thomas Stögmüller, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Informationstechnologierecht und Partner von TCI Rechtsanwälte München, wird einen Slot zum Datenschutzrecht moderieren.

Nähere Informationen und Anmeldung unter: https://www.goettingen-itrecht.de/

Dr. Thomas Stögmüller berichtet über die Entwicklung des IT-Rechts im Jahr 2022

Dr. Thomas Stögmüller, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Informationstechnologierecht und Partner von TCI Rechtsanwälte München, berichtet in der angesehenen „Neuen Juristischen Wochenschrift“ (NJW) über „Die Entwicklung des IT-Rechts im Jahr 2022“. Der Beitrag ist in NJW 2022, 3757 – 3764 veröffentlicht und gibt einen Überblick über wesentliche Rechtsprechung, Gesetzesvorhaben und Literatur zu IT-Sicherheit, IT-Vertragsrecht, Urheberrecht sowie weiterer Rechtsgebiete mit IT-Bezug. Dargestellt werden u.a. die jüngsten Entscheidungen des EuGH zur Vorratsdatenspeicherung und des BGH zur Providerhaftung sowie aktuelle Urteile zum Urheberrechtsschutz von Computerprogrammen und zu Nutzungsverträgen sozialer Netzwerke.

EuGH: Deutsche Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung sind EU-rechtswidrig

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) (verbundene Rechtssachen C-793/19 und C-794/19) hat am 20.9.2022 entschieden, dass die deutschen Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung EU-rechtswidrig sind. Er verweist hierbei auf seine bisherige Rechtsprechung, wonach EU-Recht nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht, die präventiv zur Bekämpfung schwerer Kriminalität und zur Verhütung schwerer Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten vorsehen. Die Regelungen des deutschen Telekommunikationsgesetzes (TKG) zur Vorratsdatenspeicherung erstrecken sich dem EuGH zufolge auf einen umfangreichen Satz von Verkehrs- und Standortdaten, der sehr genaue Schlüsse auf das Privatleben der Personen, deren Daten gespeichert wurden – etwa auf Gewohnheiten des täglichen Lebens, ständige oder vorübergehende Aufenthaltsorte, tägliche oder in anderem Rhythmus erfolgende Ortsveränderungen, ausgeübte Tätigkeiten, soziale Beziehungen dieser Personen und das soziale Umfeld, in dem sie verkehren –, und insbesondere die Erstellung eines Profils dieser Personen ermöglichen kann. Allerdings lässt der EuGH spezielle näher beschriebene Ausnahmen zu, um den nationalen Sicherheitsinteressen der Mitgliedstaaten gerecht zu werden.

Auf das Urteil des EuGH folgt nun noch die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, das dem EuGH das Verfahren vorgelegt hatte (siehe https://www.tcilaw.de/eugh-muss-ueber-die-rechtsmaessigkeit-der-deutschen-vorratsdatenspeicherung-entscheiden/). Zudem bleibt abzuwarten, ob es in Deutschland einen weiteren Anlauf gibt, die Vorratsdatenspeicherung in Einklang mit den detaillierten Vorgaben des EuGH zu regeln.

Unwirksame Preisanpassungsklausel in AGB eines Streaming-Anbieters

Das LG Berlin hat entschieden, dass die Klausel in den Nutzung-AGB eines Streaming-Anbieters, die eine einseitige Anpassung der Preise des Streaming-Abonnements vorsieht, AGB-rechtlich unwirksam ist (Urteil vom 16.12.2021 – 52 O 157/21, MMR 2022, 912, nicht rechtskräftig). Die Klausel sieht insbesondere vor, dass der Anbieter die Preise für das Abonnement „von Zeit zu Zeit“ und „nach billigem Ermessen“ ändern darf, um die Auswirkungen von Änderungen der mit dem Dienst verbundenen Gesamtkosten widerzuspiegeln. In der Klausel wurden sodann exemplarisch Kostenfaktoren wie etwa Produktions- und Lizenzkosten, Personalkosten, Kosten für Marketing, Finanzierung oder für IT-Systeme aufgeführt.

Nach zutreffender Auffassung des Gerichts sind diese Regelungen intransparent. Eine Preisanpassungsklausel muss so gestaltet werden, dass für den Vertragspartner eine Änderung der Vergütung nachvollziehbar ist und auf Plausibilität überprüft werden kann. Die Klausel ist auch insofern unangemessen, als der klarstellende Hinweis fehlt, dass nicht nur eine Preiserhöhung vorgenommen werden darf, sondern der Anbieter auch zu einer Kostensenkung verpflichtet ist, wenn sich für den Anbieter in der Gesamtsaldierung die Kosten für die Bereitstellung des Streaming-Dienstes reduzieren. Der Anbieter hat gegen das Urteil Berufung vor dem Kammergericht Berlin eingelegt.

Praxishinweis: Die Möglichkeiten der Gestaltung von Preisanpassungsklauseln haben im Hinblick auf die aktuelle Inflation besondere Relevanz. Die Entscheidung reiht sich ein in die ständige Rechtsprechung zur Unwirksamkeit von Preisanpassungsklauseln in AGB und verdeutlicht erneut, wie schwierig es für Anbieter ist, AGB-feste Preisanpassungsklauseln zu gestalten. Für die Vertragsgestaltung ist insbesondere darauf hinzuweisen, dass derartige Klauseln die wesentlichen Preisfaktoren konkret bezeichnen müssen und eine Vergütungsanpassung von der Saldierung der Gesamtkosten abhängig gemacht werden muss. Auch wenn die Entscheidung im Kontext von Verbraucherverträgen erging, sind diese Erwägungen grundsätzlich auch im unternehmerischen Verkehr im Rahmen der Prüfung gemäß § 307 Abs. 1 BGB zu berücksichtigen.

SAP Cloud-Verträge: Vortrag auf dem DSAG-Jahreskongress 2022

Dr. Michael Karger referiert am 12.10.2022 auf dem DSAG-Jahreskongress in Leipzig zu SAP Cloud-Verträgen. Themen sind u.a.:

  • Einordnung der Cloud-Verträge in die SAP-Vertragslandschaft
  • Unterschiede zu On-Premise-Verträgen
  • Aufbau eines SAP Cloud-Vertrags
  • Wesentliche Vertragsdokumente
  • Problematische Vertragsklauseln
  • Regulatorische Vorgaben
  • Themen aus der Vertragspraxis

Hier der Link zum Programm des DSAG-Jahreskongresses: https://dsag-jahreskongress.plazz.net/

BGH zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen: Es kann an einer angemessenen Geheimhaltungsmaßnahme fehlen, wenn eine Umgehung möglich ist

Intellectual Property zählt zu den Kern-Assets eines jeden Unternehmens. Die klassischen gesetzlichen Schutzsysteme hierfür finden sich u.a. im Patentrecht, im Markenrecht, im Urheberrecht und im gesetzlichen Schutz von Geschäftsgeheimnissen nach dem Geschäftsgeheimnisgesetz (GeSchGehG).

Nach § 2 GeschGehG ist eine Information als Geschäftsgeheimnis geschützt, die in den Kreisen, die üblicherweise mit dieser Art von Informationen umgehen, nicht allgemein bekannt oder ohne Weiteres zugänglich ist, die daher einen wirtschaftlichem Wert aufweist, die Gegenstand von den Umständen nach angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen durch ihren rechtmäßigen Inhaber ist und bei der ein berechtigtes Interesse der Geheimhaltung besteht. Will das Unternehmen den Geheimnisschutz nicht verlieren, muss es also angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen ergreifen und diese erforderlichenfalls darlegen und nachweisen.

Nach einer neueren Entscheidung des BGH kann es an angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen jedenfalls dann fehlen, wenn Umstände dafür sprechen, dass die getroffenen Geheimhaltungsmaßnahmen umgangen werden können (BGH, Hinweisbeschluss vom 16.12.2021 – I ZR 186/20).

Im konkreten Fall verdächtigte der Inhaber des Geschäftsgeheimnisses ehemalige Mitarbeiter, bei ihrem Ausscheiden aus dem Unternehmen vertrauliche Konstruktionsunterlagen kopiert und mitgenommen zu haben. Allerdings ergab sich im Prozess, dass die vertraulichen Konstruktionsunterlagen bei einem Drittunternehmen vorlagen, ohne dass genau geklärt werden konnte, wie dieser Dritte an die Dokumente gelangt war. Es gab aber auch keine Beweise dafür, dass sich das Drittunternehmen die Unterlagen auf rechtswidrige Weise beschafft hatte.

Das Gericht folgerte aus dem Umstand, dass ein Dritter über die vertraulichen Unterlagen verfügte, dass die Geheimhaltungsmaßnahmen beim Inhaber des Geschäftsgeheimnisses nicht angemessen waren, weil sie sonst nicht auf nicht aufklärbare Weise an den Dritten gelangen hätten können.

Um zu vermeiden, dass ein Geheimnisschutz auf diese Weise verloren geht bzw. nicht durchsetzbar ist, sollten Unternehmen fortlaufend überprüfen, ob ihre Geheimhaltungsmaßnahmen aktuell noch angemessen sind. Dabei reicht es nicht aus, lediglich Vertraulichkeitsvereinbarungen zu treffen. Diese müssen auch gelebt werden. Außerdem sollte bei sensiblen vertraulichen Informationen genau darauf geachtet werden, wem diese zu welchem Zeitpunkt und zu welchen Konditionen zugänglich gemacht werden. Es empfiehlt sich, entsprechende Maßnahmen zu dokumentieren, um nachweisen zu können, dass eine Umgehung der Maßnahmen ausgeschlossen ist.

(K)ein Dienstwagen für Betriebsratsvorsitzende?

Mitglieder des Betriebsrats dürfen gemäß § 78 Satz 2 BetrVG „wegen ihrer Tätigkeit nicht benachteiligt oder begünstigt werden“. Was so einfach klingt, kann in der Praxis erheblich kompliziert und sogar strafrechtlich riskant sein, wie etwa ein aktuelles Urteil des LG Braunschweig (v. 28.09.2021 – 16 KLs 85/19) zeigt.

§ 78 BetrVG soll die innere und äußere Unabhängigkeit der Betriebsratsmitglieder gewährleisten, die ihr Amt gemäß § 37 Abs. 1 BetrVG unentgeltlich als Ehrenamt führen.

„Unentgeltlich“ bedeutet freilich nicht, dass Mitglieder des Betriebsrats keinen Anspruch auf Vergütung hätten. Im Gegenteil, schützt § 37 Abs. 4 BetrVG die Betriebsratsmitglieder gerade davor, dass sich die Bemessungsgrundlage ihres Arbeitsentgelts wegen der Übernahme des Amtes verschlechtert. Das Betriebsratsmitglied soll hinsichtlich der Höhe des Arbeitsentgelts (in all seinen Bestandteilen, wie z.B. Zulagen, Sozialleistungen, vermögenswirksame Leistungen, Gewinnbeteiligungen, Leistungen der betrieblichen Altersvorsorge etc.) vielmehr so gestellt werden, wie es stehen würde, wenn es das Betriebsratsamt nicht übernommen hätte, woraus (notwendig) auch ein Anspruch auf Gehaltserhöhung folgt, und zwar in dem Umfang, in dem die Gehälter vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung erhöht werden. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) spricht insoweit vom Erfordernis einer „fiktiven Laufbahnnachzeichnung“ (z.B. Urteil v.  14.07.2010 – 7 AZR 359/09).

Gleichzeitig verbietet das Gesetz aber jegliche Gewährung eines Entgelts für die Betriebsratstätigkeit bzw. jegliche Bemessung des Entgelts nach der Bewertung der Betriebsratstätigkeit.

Genau hier beginnt die Gradwanderung.

Denn nach ständiger Rechtsprechung des BAG ist jede objektive Besserstellung im Vergleich zu anderen Arbeitnehmern, die nicht auf sachlichen Gründen, sondern auf der Tätigkeit als Betriebsratsmitglied beruht, eine untersagte Begünstigung (z.B. Urteil v. 29.08.2018 – 7 AZR 206/17).

Betriebsräte „kraft Amtes“ als „Co-Manager“ zu betrachten und auf „Führungskräfteniveau“ zu vergüten, liegt demnach deutlich außerhalb des Korridors hypothetischer Betrachtung!

Entlang dieser Linie, aber erheblich niederschwelliger, entschied z.B. das LAG Berlin-Brandenburg (Urteil v. 11.02.2020 – 7 Sa 997/19) und jüngst auch das LAG Nürnberg (Urteil v. 05.04.2022 – 7 Sa 238/21), dass es (auch) einen Verstoß gegen das Begünstigungsverbot des § 78 Satz 2 BetrVG darstellt, wenn einem Betriebsratsvorsitzenden ein Dienstwagen auch zur privaten Nutzung überlassen wird, der ihm ohne diese Funktion nicht überlassen worden wäre und auch sonst kein sachlicher Grund dafür ersichtlich ist. Eine solche Vereinbarung ist infolgedessen nach § 138 BGB nichtig.

Eine allgemeingültige Regel nach dem Motto „Kein Dienstwagen für Betriebsratsvorsitzende“ folgt hieraus gleichwohl nicht. Denn auch ein „überobligatorischer“ Dienstwagen muss nicht zwangsläufig eine Begünstigung sein, wenn und soweit er für die Betriebsratsarbeit förderlich und somit – auch im Interesse des Arbeitgebers – sachlich gerechtfertigt ist (z.B., weil der Betriebsratsvorsitzende damit nicht mehr auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen ist, wodurch Wartezeiten und Verzögerungen entfallen und die Betriebsratsaufgaben zeitlich zuverlässiger und schneller erledigen werden können).

Ist eine bestimmte Zuwendung aber sachlich begründet, ist zudem auch der Vorwurf der Untreue, § 266 StGB, entkräftet und eine entsprechende Strafdrohung somit unverhältnismäßig.

Dualer Vertrieb nach der neuen Vertikal-GVO – Welche Informationen können in Franchise-Systemen noch ausgetauscht werden?

Am 1. Juni 2022 trat die neue EU Vertikal-Gruppenfreistellungsverordnung (VGVO) und die sie ergänzenden neuen Vertikal-Leitlinien (VLL) in Kraft, die für die nächsten zwölf Jahre auch im deutschen Recht gelten und den kartellrechtlichen Rahmen für Vertriebsverträge vorgeben. Die neuen VGVO/VLL sehen mehrere wesentliche Änderungen vor, die das Kartellrecht im Bereich des Vertriebs modernisieren, für mehr Flexibilität sorgen und wichtige Fragen klären.

Ein Thema, das besonders in der Franchise-Wirtschaft im Vorfeld für viel Aufsehen sorgte, waren die geplanten Neuregelungen zum sogenannten „Dualen Vertrieb“, die gerade auch in Franchise-Systemen eine nicht unwesentliche Rolle spielen. Dualer Vertrieb liegt vor, wenn ein Anbieter seine Produkte nicht ausschließlich über Händler, sondern parallel dazu auch selbst direkt an Endkunden vertreibt, beispielsweise über ein eigenes Filialnetz oder über einen eigenen Onlineshop. Anbieter und Händler sind hier – wenn auch über verschiedene Vertriebswege – Wettbewerber im Kundenmarkt.

Zahlreiche Franchise-Systeme vertreiben Waren oder Dienstleistungen nicht ausschließlich über die stationären Standorte ihrer Franchise-Nehmer, sondern heute mehr denn ja auch noch über einen zentralen Onlineshop, den regelmäßig der Franchise-Geber betreibt. Damit sind die Voraussetzungen des „dualen Vertriebs“ erfüllt.

Die drei Freistellungsvoraussetzungen vom Kartellverbot und damit das grundsätzliche Prüfschema sind auch in der neuen VGVO geblieben. Freigestellt vom Kartellverbot des Art. 101 AEUV sind danach auch künftig

  • vertikale Vereinbarungen zwischen Unternehmen, z.B. Franchise-Geber – Franchise-Nehmer
  • mit jeweils Marktanteilen bis maximal 30 %, die
  • keine Kernbeschränkungen enthalten – Art. 2–4 VGVO.

Während der duale Vertrieb bislang ohne jegliche Einschränkung freigestellt war, gibt es in der neuen VGVO eine Einschränkung. Die Freistellung gilt nicht für den Informationsaustausch zwischen Anbietern und Abnehmern, der entweder nicht direkt die Umsetzung der vertikalen Vereinbarung betrifft oder nicht zur Verbesserung der Produktion oder des Vertriebs der Vertragswaren oder -dienstleistungen erforderlich ist oder keine dieser beiden Voraussetzungen erfüllt (Art. 2 V VGVO).

„Vertikaler Informationsaustausch“ ist aber gerade in Franchise-Systemen von erheblicher Bedeutung. So werden häufig die Verkaufszahlen und Umsätze des Onlinevertriebs mit denen des stationären Vertriebs verglichen, gesplittet nach Warengruppen, Eigenmarken, Fremdmarken usw. Der Franchise-Nehmer muss im Rahmen des Controlling und Benchmarking monatlich betriebswirtschaftliche Kennzahlen an den Franchise-Geber liefern, ferner Informationen über die Markt- und Wettbewerbssituation vor Ort.

Der Franchise-Geber benötigt die Daten nicht nur zur Berechnung der laufenden Franchise-Gebühr, sondern auch zur Steuerung der Produktentwicklung, der Verbesserung der Dienstleistungsqualität, im Rahmen des Marketings, zu Optimierung der Warenwirtschaft und Logistik u.v.m.

Die gute Nachricht: Die EU-Kommission hat ihre ursprünglich restriktive Haltung zum Thema „vertikaler Informationsaustausch im Dualvertrieb“ aufgegeben, der Informationsaustausch wird jetzt grundsätzlich positiv bewertet.

Der Informationsaustausch umfasst alle Arten von Austausch, sei es vertraglicher Natur oder außerhalb der vertraglichen Vereinbarung, sei es schriftlich, mündlich, einseitig oder gegenseitig. Ob der Informationsaustausch „erforderlich“ ist, hängt vom jeweiligen Vertriebsmodell ab. Bei Franchise-Systemen kann es nach Ansicht der EU-Kommission erforderlich sein, dass Franchise-Geber und Franchise-Nehmer Informationen austauschen, die sich auf die Anwendung eines einheitlichen Geschäftsmodells über das gesamte Franchise-Netzwerk beziehen (LL 98).

Die Leitlinien enthalten eine Liste von nicht abschließenden Beispielen, welche Informationen im Rahmen dualer Vertriebssysteme in der Regel zulässigerweise ausgetauscht werden müssen, d.h. erforderlich sind, und welche nicht (vgl. LL 99, 100).

Erforderlich und zulässig ist danach der Austausch von

  • technischen Informationen über Vertragswaren und –dienstleistungen
  • logistischen Informationen über Produktion und den Vertrieb der Vertragswaren oder –dienstleistungen
  • aggregierten Informationen über Käufer der Vertragswaren oder –dienstleistungen sowie Kundenpräferenzen und Kundenfeedback
  • Abgabepreisen des Anbieters, zu denen Vertragswaren oder –dienstleistungen an Absatzmittler verkauft werden
  • unverbindlichen Preisempfehlungen oder Höchstpreisen bzw. Wiederverkaufspreisen, wobei die Preishoheit zu beachten ist
  • Marketinginformationen zu den Vertragswaren oder –dienstleistungen einschließlich Informationen zu Werbekampagnen oder Produktneueinführungen
  • aggregierten Informationen über Marketing- und Verkaufsaktionen anderer Abnehmer sowie Informationen über das Volumen oder den Wert der Verkäufe des Absatzmittlers der Vertragswaren oder -dienstleistungen im Verhältnis zu seinen Verkäufen von konkurrierenden Waren oder Dienstleistungen.

Nicht erforderlich und regelmäßig unzulässig ist danach der Austausch von

  • Informationen über den künftigen Verkaufspreis des Absatzmittlers
  • kundenspezifischen Informationen, ausgenommen, der Austausch ist erforderlich, um (1) spezielle Anforderungen eines bestimmten Endverbrauchers zu erfüllen, dem Endverbraucher Sonderkonditionen zu gewähren (z.B. Kundenbindungsprogramm) oder Vor- / Nachverkaufsleistungen einschließlich Garantieleistungen zu erbringen, oder (2) die Einhaltung der Vertriebsvereinbarung, in deren Rahmen bestimmte Kunden zugewiesen werden, zu überwachen
  • Informationen über Waren, die vom Absatzmittler als Eigenmarken verkauft werden, gegenüber einem Hersteller konkurrierender Markenwaren, wenn nicht der Hersteller gleichzeitig Produzent dieser Eigenmarken ist

Franchise-Geber haben den Vorteil der Pronuptia Rechtsprechung des EuGH. Danach liegt schon keine Wettbewerbsbeschränkung im Sinne von Art. 101 AEUV vor, wenn eine Vereinbarung zum Schutz des Know-hows oder zum Schutz der Identität und des Ansehens des Franchise-Systems unerlässlich ist. Ob auch der Informationsaustausch, der erforderlich ist, um die Produktion oder den Vertrieb der Vertragswaren oder –dienstleistungen zu verbessern, darunterfällt, bleibt noch abzuwarten.

Ruth Dünisch

Rechtsanwältin