Neue BGH-Rechtsprechung zur Umarbeitung von Computerprogrammen
In zwei Entscheidungen hat der für das Urheberrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs am 31. Juli 2025 zur Umarbeitung von Computerprogrammen Stellung genommen.
Werbeblocker (Urteil vom 31. Juli 2025, Az. I ZR 131/23 – Werbeblocker IV)
Ein Betreiber von mehreren Online-Portalen wehrte sich gegen den Vertreiber eines Plug-ins für Webbrowser, das der Unterdrückung von Werbeanzeigen auf Webseiten dient.
Funktionsweise des Werbeblockers
Der Werbeblocker funktioniert so, dass er die Datenstrukturen beeinflusst, die der Browser nach Abruf und Speicherung der HTML-Datei im Arbeitsspeicher des Endgeräts des Nutzers erzeugt. Er ändert zum einen die Objektstruktur (den DOM-Knotenbaum) und zum anderen die zur Formatierung der Website aufgebauten CSS-Strukturen (CSSOM) und sorgt dafür, dass als Werbung erkannte Elemente nicht auf dem Bildschirm des Nutzers erscheinen. Dies wird dadurch erreicht, dass entweder die Werbeinhalte nicht von den Werbeservern abgerufen werden oder ein Werbeelement zwar in den Arbeitsspeicher geladen, aber nicht angezeigt wird.
Urheberrechtsverletzung bei Eingriff in urheberrechtlich geschützten Code
Der BGH entschied, dass das ausschließliche Recht zur Umarbeitung eines Computerprogramms gemäß § 69c Nr. 2 Satz 1 UrhG und das Vervielfältigungsrecht gemäß § 69c Nr. 1 Satz 1 UrhG verletzt sein kann, wenn der Browser und die in ihm enthaltenen Engines nicht durch einen Objektcode gesteuert werden, sondern durch einen Bytecode, durch den die virtuellen Maschinen des Browsers einen Objektcode erstellen. Der Bytecode oder der von ihm geschaffene Code ist unter Umständen als Computerprogramm geschützt, und ein Werbeblocker, der diesen Code im Zuge der Vervielfältigung abändert, greift in das daran bestehende ausschließliche Recht ein.
Entscheidung
Der BGH verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück, damit dieses weitere Feststellungen dazu treffen kann, welcher Teil der Website (Bytecode oder Objektcode) betroffen ist, ob dieser urheberrechtlich geschützt ist, und unter welchen Umständen ein Eingriff gerechtfertigt sein kann.
Cheat-Software (Urteil vom 31. Juli 2025, Az. I ZR 157/21 – Action Replay II)
Der Vertreiber von PlayStation-Spielkonsolen und hierfür konzipierten Computerspielen wehrte sich gegen die Software „Action Replay PSP“, mittels derer man die Originalspiele so manipulieren kann, dass Beschränkungen wie beispielsweise beim Einsatz von „Boostern“ entfallen.
Funktionsweise der Cheat-Software
Um die Software „Action Replay PSP“ benutzen zu können, muss die PlayStationPortable (PSP) mit einem PC verbunden und in die PSP ein Memory Stick eingelegt werden. Nach dem Neustart der PSP kann der Nutzer auf der Spielkonsole einen zusätzlichen Menüpunkt „Action Replay“ aufrufen, über den die im Spiel vorhandenen Beschränkungen deaktiviert werden können.
Die Software „Action Replay PSP” läuft parallel und gleichzeitig mit der Spielesoftware ab. Dabei verändert sie weder die Programmdaten des Objekt- und Quellcodes noch die innere Struktur und Organisation der auf der PSP eingesetzten Spielesoftware. Die Software „Action Replay PSP“ verändert vielmehr während des Ablaufs des Spiels den Inhalt von Variablen, die die Spielesoftware im Arbeitsspeicher der Spielkonsole angelegt haben und die sie in ihrem Ablauf verwendet. Dadurch wird bewirkt, dass die Computerspiele auf Basis dieses veränderten Inhalts der Variablen ablaufen.
Keine Urheberrechtsverletzung ohne Eingriff in urheberrechtlich geschützten Code
Der BGH entschied, dass das ausschließliche Recht zur Umarbeitung eines Computerprogramms gemäß § 69c Nr. 2 Satz 1 UrhG und das Vervielfältigungsrecht gemäß § 69c Nr. 1 Satz 1 UrhG nicht verletzt ist, wenn die Cheat-Software nicht die Programmdaten des Objekt- oder Quellcodes der auf der Spielkonsole eingesetzten Spielesoftware verändert, sondern nur andere Elemente des Programms verändert, wie etwa die variablen Daten, die die Spielesoftware bei ihrer Ausführung im Arbeitsspeicher der Spielkonsole ablegt. Wenn auf diese Weise nur der Ablauf des Programms beeinflusst wird, stellt dies keinen Eingriff in den Schutzbereich des Rechts an der Spielesoftware dar.
Bedeutung der Entscheidungen
Das Ergebnis, dass einerseits ein Werbeblocker unter Umständen die Urheberrechte an der Website verletzt, obwohl dabei nur bestimmte Inhalte der Website nicht angezeigt werden, während andererseits eine Software, die den vom Spielehersteller intendierten Programmablauf ändert, als nicht verletzend eingestuft wird, mag auf den ersten Blick überraschen. Der Unterschied zwischen den durch den Werbeblocker manipulierten Strukturen und den variablen Daten im Arbeitsspeicher, die durch die Cheat-Software manipuliert werden, leuchtet nicht unmittelbar ein.
Kriterium: Eingriff in Code
Der BGH nimmt hier eine recht formale Abgrenzung danach vor, ob in den Code eingegriffen wird. Der Urheber des Computerprogramms schafft den Code, und nur wenn dieser verändert wird, ist dessen Recht verletzt.
Während der BGH im Fall Action Replay II annahm, dass kein Code verändert wird, entschied er im Fall Werbeblocker IV, dass als urheberrechtlich geschützter Code nicht nur der vom Programmierer geschaffene Quellcode und der durch Kompilierung des Quellcodes erzeugte Objektcode in Betracht kommt, sondern auch ein Bytecode, der auf einer virtuellen Maschine läuft, die dann wiederum den Bytecode in Maschinencode übersetzt.
Exkurs: Programmiersprachen ohne Objektcode und plattformunabhängige Programme
Wenn beispielsweise ein Computerprogramm in der Programmiersprache Java geschrieben wurde, dann wird dieser Quellcode bei der Kompilierung nicht unmittelbar in Objektcode umgewandelt. Vielmehr werden in Java geschriebene Programme mittels eines Bytecode-Compilers in Bytecode kompiliert, und dieser Bytecode wird sodann auf einer virtuellen Maschine ausgeführt, die Bestandteil der Java-Laufzeitumgebung ist.
Auf diese Weise erreicht man eine Plattformunabhängigkeit des Programms. Es muss nicht für jedes Betriebssystem (z.B. Windows, Linux, macOS) eine eigene Version der Software erstellt werden, sondern es genügt, dass auf dem Rechner die entsprechende Laufzeitumgebung installiert ist. Der Bytecode läuft dann auf der virtuellen Maschine, die den Bytecode kurz vor der Ausführung in Maschinencode (echten Binärcode) übersetzt, der sodann auf der physischen CPU ausgeführt wird (sog. „Just-in-time Kompilierung“).
Erweiterung auf nicht vom Urheber geschaffenen Code
Interessant ist, dass der BGH Code in den Schutzbereich des Urheberrechts einbezieht, der nicht unmittelbar vom Urheber des Computerprogramms geschaffen wurde, sondern nur mittelbar, indem nämlich der Urheber Code geschaffen hat, der seinerseits Code erzeugt.
Anwendung auf Computerprogramme, die von KI geschaffen wurden?
Dies ist deshalb interessant und möglicherweise für die Zukunft wegweisend, weil aus dieser Rechtsprechung abgeleitet werden könnte, dass auch Computerprogramme, die mittels künstlicher Intelligenz geschaffen wurden, urheberrechtlich geschützt sind. Dabei stellt sich dann die Frage, wer als Urheber dieser Computerprogramme anzusehen ist: Derjenige, der das KI-Modell programmiert hat, derjenige, der das KI-System programmiert hat, derjenige, der das KI-System trainiert hat, oder derjenige, der die Trainingsdaten geschaffen hat, die zum Training des KI-Systems verwendet wurden?
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