Dualer Vertrieb nach der neuen Vertikal-GVO – Welche Informationen können in Franchise-Systemen noch ausgetauscht werden?

Dualer Vertrieb nach der neuen Vertikal-GVO – Welche Informationen können in Franchise-Systemen noch ausgetauscht werden?

Am 1. Juni 2022 trat die neue EU Vertikal-Gruppenfreistellungsverordnung (VGVO) und die sie ergänzenden neuen Vertikal-Leitlinien (VLL) in Kraft, die für die nächsten zwölf Jahre auch im deutschen Recht gelten und den kartellrechtlichen Rahmen für Vertriebsverträge vorgeben. Die neuen VGVO/VLL sehen mehrere wesentliche Änderungen vor, die das Kartellrecht im Bereich des Vertriebs modernisieren, für mehr Flexibilität sorgen und wichtige Fragen klären.

Ein Thema, das besonders in der Franchise-Wirtschaft im Vorfeld für viel Aufsehen sorgte, waren die geplanten Neuregelungen zum sogenannten „Dualen Vertrieb“, die gerade auch in Franchise-Systemen eine nicht unwesentliche Rolle spielen. Dualer Vertrieb liegt vor, wenn ein Anbieter seine Produkte nicht ausschließlich über Händler, sondern parallel dazu auch selbst direkt an Endkunden vertreibt, beispielsweise über ein eigenes Filialnetz oder über einen eigenen Onlineshop. Anbieter und Händler sind hier – wenn auch über verschiedene Vertriebswege – Wettbewerber im Kundenmarkt.

Zahlreiche Franchise-Systeme vertreiben Waren oder Dienstleistungen nicht ausschließlich über die stationären Standorte ihrer Franchise-Nehmer, sondern heute mehr denn ja auch noch über einen zentralen Onlineshop, den regelmäßig der Franchise-Geber betreibt. Damit sind die Voraussetzungen des „dualen Vertriebs“ erfüllt.

Die drei Freistellungsvoraussetzungen vom Kartellverbot und damit das grundsätzliche Prüfschema sind auch in der neuen VGVO geblieben. Freigestellt vom Kartellverbot des Art. 101 AEUV sind danach auch künftig

  • vertikale Vereinbarungen zwischen Unternehmen, z.B. Franchise-Geber – Franchise-Nehmer
  • mit jeweils Marktanteilen bis maximal 30 %, die
  • keine Kernbeschränkungen enthalten – Art. 2–4 VGVO.

Während der duale Vertrieb bislang ohne jegliche Einschränkung freigestellt war, gibt es in der neuen VGVO eine Einschränkung. Die Freistellung gilt nicht für den Informationsaustausch zwischen Anbietern und Abnehmern, der entweder nicht direkt die Umsetzung der vertikalen Vereinbarung betrifft oder nicht zur Verbesserung der Produktion oder des Vertriebs der Vertragswaren oder -dienstleistungen erforderlich ist oder keine dieser beiden Voraussetzungen erfüllt (Art. 2 V VGVO).

„Vertikaler Informationsaustausch“ ist aber gerade in Franchise-Systemen von erheblicher Bedeutung. So werden häufig die Verkaufszahlen und Umsätze des Onlinevertriebs mit denen des stationären Vertriebs verglichen, gesplittet nach Warengruppen, Eigenmarken, Fremdmarken usw. Der Franchise-Nehmer muss im Rahmen des Controlling und Benchmarking monatlich betriebswirtschaftliche Kennzahlen an den Franchise-Geber liefern, ferner Informationen über die Markt- und Wettbewerbssituation vor Ort.

Der Franchise-Geber benötigt die Daten nicht nur zur Berechnung der laufenden Franchise-Gebühr, sondern auch zur Steuerung der Produktentwicklung, der Verbesserung der Dienstleistungsqualität, im Rahmen des Marketings, zu Optimierung der Warenwirtschaft und Logistik u.v.m.

Die gute Nachricht: Die EU-Kommission hat ihre ursprünglich restriktive Haltung zum Thema „vertikaler Informationsaustausch im Dualvertrieb“ aufgegeben, der Informationsaustausch wird jetzt grundsätzlich positiv bewertet.

Der Informationsaustausch umfasst alle Arten von Austausch, sei es vertraglicher Natur oder außerhalb der vertraglichen Vereinbarung, sei es schriftlich, mündlich, einseitig oder gegenseitig. Ob der Informationsaustausch „erforderlich“ ist, hängt vom jeweiligen Vertriebsmodell ab. Bei Franchise-Systemen kann es nach Ansicht der EU-Kommission erforderlich sein, dass Franchise-Geber und Franchise-Nehmer Informationen austauschen, die sich auf die Anwendung eines einheitlichen Geschäftsmodells über das gesamte Franchise-Netzwerk beziehen (LL 98).

Die Leitlinien enthalten eine Liste von nicht abschließenden Beispielen, welche Informationen im Rahmen dualer Vertriebssysteme in der Regel zulässigerweise ausgetauscht werden müssen, d.h. erforderlich sind, und welche nicht (vgl. LL 99, 100).

Erforderlich und zulässig ist danach der Austausch von

  • technischen Informationen über Vertragswaren und –dienstleistungen
  • logistischen Informationen über Produktion und den Vertrieb der Vertragswaren oder –dienstleistungen
  • aggregierten Informationen über Käufer der Vertragswaren oder –dienstleistungen sowie Kundenpräferenzen und Kundenfeedback
  • Abgabepreisen des Anbieters, zu denen Vertragswaren oder –dienstleistungen an Absatzmittler verkauft werden
  • unverbindlichen Preisempfehlungen oder Höchstpreisen bzw. Wiederverkaufspreisen, wobei die Preishoheit zu beachten ist
  • Marketinginformationen zu den Vertragswaren oder –dienstleistungen einschließlich Informationen zu Werbekampagnen oder Produktneueinführungen
  • aggregierten Informationen über Marketing- und Verkaufsaktionen anderer Abnehmer sowie Informationen über das Volumen oder den Wert der Verkäufe des Absatzmittlers der Vertragswaren oder -dienstleistungen im Verhältnis zu seinen Verkäufen von konkurrierenden Waren oder Dienstleistungen.

Nicht erforderlich und regelmäßig unzulässig ist danach der Austausch von

  • Informationen über den künftigen Verkaufspreis des Absatzmittlers
  • kundenspezifischen Informationen, ausgenommen, der Austausch ist erforderlich, um (1) spezielle Anforderungen eines bestimmten Endverbrauchers zu erfüllen, dem Endverbraucher Sonderkonditionen zu gewähren (z.B. Kundenbindungsprogramm) oder Vor- / Nachverkaufsleistungen einschließlich Garantieleistungen zu erbringen, oder (2) die Einhaltung der Vertriebsvereinbarung, in deren Rahmen bestimmte Kunden zugewiesen werden, zu überwachen
  • Informationen über Waren, die vom Absatzmittler als Eigenmarken verkauft werden, gegenüber einem Hersteller konkurrierender Markenwaren, wenn nicht der Hersteller gleichzeitig Produzent dieser Eigenmarken ist

Franchise-Geber haben den Vorteil der Pronuptia Rechtsprechung des EuGH. Danach liegt schon keine Wettbewerbsbeschränkung im Sinne von Art. 101 AEUV vor, wenn eine Vereinbarung zum Schutz des Know-hows oder zum Schutz der Identität und des Ansehens des Franchise-Systems unerlässlich ist. Ob auch der Informationsaustausch, der erforderlich ist, um die Produktion oder den Vertrieb der Vertragswaren oder –dienstleistungen zu verbessern, darunterfällt, bleibt noch abzuwarten.

Ruth Dünisch

Rechtsanwältin

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