Erkenntnisse der Aussagenpsychologie im Kündigungsschutzprozess

Erkenntnisse der Aussagenpsychologie im Kündigungsschutzprozess

01.08.2025 Arbeitsrecht

Nach einer Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen (vom 26.05.2025 – 4 SLa 442/24) sind die Erkenntnisse der Aussagenpsychologie, die bisher vor allem im Strafprozess Anwendung fanden, auch im Arbeitsgerichtsverfahren anzuwenden.

Der Fall

In dem Kündigungsschutzprozess war der Zugang der schriftlichen Kündigung strittig. Seitens der Beklagten wurde behauptet, der Geschäftsführer  habe der Klägerin die Kündigung im Beisein von drei Zeugen aushändigen wollen. Da sich die Klägerin aber geweigert habe, das Schreiben anzunehmen und den Empfang zu bestätigen, sei die Kündigung auf ihren Schreibtisch gelegt worden. Das Arbeitsgericht Hannover hat den drei Zeugen, die den Vortrag der Beklagten übereinstimmend bestätigten, nicht geglaubt. Das LAG Niedersachsen hat dieses Ergebnis der Beweiswürdigung mit den Erkenntnissen der Aussagenpsychologie nachvollzogen und das erstinstanzliche Urteil bestätigt.

Prozessrechtlicher Kontext

Nach § 286 Abs. 1 ZPO hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten ist. Dabei muss die richterliche Überzeugung mit den Denk-, Natur- und Erfahrungssätzen in Einklang stehen, zu denen nach Auffassung des LAG Niedersachsen auch die wissenschaftlichen Erfahrungssätze der Aussagenpsychologie zählen.

Aussagenpsychologie

Die Aussagenpsychologie beschäftigt sich mit der Analyse und Bewertung von Zeugenaussagen. Dabei werden verschiedene Kriterien herangezogen, um die Glaubhaftigkeit einer Aussage zu überprüfen. Zu diesen Kriterien gehören unter anderem die Konsistenz der Aussage, der Detailreichtum und die Plausibilität der geschilderten Ereignisse. Ziel ist es, festzustellen, ob eine Aussage auf tatsächlichen Erlebnissen basiert oder möglicherweise durch andere Faktoren (Suggestion, bewusste Falschaussage) beeinflusst wurde.

Die Methoden der Aussagenpsychologie können zwar keine objektive Wahrheit garantieren, aber (auch im Kündigungsschutzprozess) dazu beitragen, die Glaubwürdigkeit von Zeugenaussagen besser einzuschätzen, v.a. in Fällen, in denen Aussage gegen Aussage steht und keine anderen Beweismittel zur Verfügung stehen.

So konnte das Arbeitsgericht aufgrund der aussagepsychologischen Analyse Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Zeugenaussagen nicht ausschließen. Die Aussagen wiesen nicht genügend Realkennzeichen auf, die für eine erlebnisbasierte Schilderung sprachen. Infolgedessen wurde der Zugang der Kündigung als nicht bewiesen angesehen.

Autor

Harald Krüger
Harald Krüger

Partner, Fach­an­walt für Ar­beits­recht

TCI Rechts­an­wäl­te Mün­chen

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