Bis zum Dezember des letzten Jahres waren die Anforderungen, die bei der Ausschreibung von Rahmenverträgen zur Angabe des Auftragsvolumens des Rahmenvertrages zu erfüllen sind, in der deutschen Vergaberechtsprechung relativ klar. Die Rechtsprechung orientierte sich am Wortlaut des § 21 Abs. 1 S. 2 VgV. Danach ist das in Aussicht genommene Austragsvolumen so genau wie möglich zu ermitteln und bekannt zu geben, braucht aber nicht abschließend festgelegt zu werden (so z.B. VK Bund, B. v. 07.12.2017, VK 1 – 131/17; OLG Düsseldorf, B. v. 21.10.2015, VII – Verg 28/14).
Diese scheinbare Gewissheit hat der europäische Gerichtshof mit seiner Entscheidung vom 19.12.2018 (C-216/17) erheblich erschüttert. In dieser allerdings auf der alten Richtlinie 2004/18/EG beruhenden Entscheidung hat der EuGH festgestellt, dass im Rahmen der Ausschreibung eines Rahmenvertrages eine Höchstmenge für die unter dem Rahmenvertag abrufbare Leistung festgelegt werden muss und der Rahmenvertrag mit Erreichen dieser Höchstmenge endet (Rz. 61ff). Der EuGH ist in dieser Entscheidung auch explizit darauf eingegangen, dass die Definition einer Rahmenvereinbarung Richtlinie in Art. 1 Abs. 5 davon spricht, dass in einem Rahmenvertrag nur „gegebenenfalls“ die in Aussicht genommene Menge festgelegt werden soll. Der EuGH weist insoweit in seiner Entscheidung ausdrücklich darauf hin, dass dieses „gegebenenfalls“ keinesfalls so zu interpretieren ist, dass die Angabe der Mengen der Leistungen, die die Rahmenvereinbarung umfasst, nur fakultativ sei (Rz. 58).
Die VK Bund hat in ihrem Beschluss vom 19.07.2019 (VK 1 – 39/19) entschieden, diese Rechtsauffassung des EuGH sei auf die neue Rechtslage unter der Richtlinie 2014/24/EU nicht anwendbar. Zur Begründung führt die VK Bund aus, dass Art. 33 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie wie folgt lautet:
„Bei einer Rahmenvereinbarung handelt es sich um eine Vereinbarung zwischen einem oder mehreren öffentlichen Auftraggebern und einem oder mehreren Wirtschaftsteilnehmern, die dazu dient, die Bedingungen für die Aufträge, die im Laufe eines bestimmten Zeitraums vergeben werden sollen, festzulegen, insbesondere in Bezug auf den Preis und gegebenenfalls die in Aussicht genommene Menge.“ (Unterstreichung durch den Verfasser)
Was die VK Bund dabei – im Zweifel ergebnisorientiert – offensichtlich übersehen hat, ist der Umstand, dass Art. 33 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU wortgleich zu Art. 1 Abs. 5 der Richtlinie 2004/18/EG ist, also auch bereits das Wort „gegebenenfalls“ enthält und der EuGH zur Auslegung bzw. (Nicht-)Bedeutung dieses „gegebenenfalls“ sich in seiner Entscheidung vom 19.12.2018 ausdrücklich geäußert hat (s.o.). Auch soweit die VK Bund im Anschluss auf die vermeintlich unterschiedlichen Vorschriften zum Inhalt der Bekanntmachungen in beiden Richtlinien abstellt, verfängt die Argumentation bei näherem Hinsehen nicht. So heißt es in Anhang V Teil C Nr. 10a der Richtlinie 2014/24/EU:
„Soweit möglich, Angabe des Werts oder der Größenordnung und der Häufigkeit der zu vergebenden Aufträge sowie gegebenenfalls vorgeschlagene Höchstzahl der teilnehmenden Wirtschaftsteilnehmer.“ (Unterstreichung durch den Verfasser)
Die entsprechende Regelung der Richtlinie 2004/18/EG Anhang VII Teil A zu Bekanntmachungen dort Nr. 6. b) – lit. a) bzw. c) unterschieden sich nur dadurch, dass dort Bau- bzw. Dienstleistungen geregelt sind – hat folgenden Wortlaut:
„Bei Rahmenvereinbarungen ferner Angabe der vorgesehenen Laufzeit der Vereinbarung, des für die gesamte Laufzeit der Rahmenvereinbarung veranschlagten Gesamtwerts der Lieferungen sowie – wann immer möglich – des Wertes und der Häufigkeit der zu vergebenden Aufträge.“ (Unterstreichung durch den Verfasser)
Auch insoweit ist also festzustellen, dass die neue Richtlinie im Vergleich zur alten Regelung die zwar nicht wort-, aber inhaltsgleiche Regelung im Hinblick auf die unter dem Rahmenvertrag zu vergebenden Aufträge enthält. Die alte Richtlinie enthielt dazu lediglich noch eine weitere Aussage zum veranschlagten Gesamtwert. Ob allein dieses schlichte Fehlen dieser Aussage zum notwendigen Inhalt der Bekanntmachung es rechtfertigt, die Entscheidung des EuGH zur alten Richtlinie als auf die neue Richtlinie nicht anwendbar zu erklären, darf bezweifelt werden, zumal die VK Bund auf diesen einzigen Unterschied gerade nicht abstellt.
Die VK Berlin hat die Frage der Anwendbarkeit der Entscheidung des EuGH auch auf die neue Rechtslage/Richtlinie explizit offen gelassen (B. v. 13.09.2019, VK – B 1 – 13/19).
Im Hinblick auf die wenig überzeugende Begründung der VK Bund bleibt also abzuwarten, wann und wie das erste Beschwerdegericht diese Frage beantworten wird. Im Interesse aller Vergabestellen ist zu hoffen, dass dieses Beschwerdegericht die entsprechenden Rechtsfragen erneut dem EuGH zur Vorabentscheidung über die Auslegung nunmehr der neuen Richtlinie vorlegt, um hier Rechtssicherheit für die Vergabestellen zu schaffen.