Vergabekammer Berlin: Strenge Abgrenzung von Nachforderung und Aufklärung – fehlerhafter Ausschluss eines Angebots

Mit Beschluss vom 28. April 2025 (Az. VK B 1-73/24) hat die Vergabekammer Berlin eine praxisrelevante Entscheidung zur rechtlichen Trennlinie zwischen der Nachforderung nach § 56 VgV und der Aufklärung des Angebotsinhalts nach § 15 Abs. 5 VgV im Vergabeverfahren getroffen. Anlass war ein europaweites offenes Verfahren zur Schülerbeförderung für ein Berliner Bezirksamt. Die Antragstellerin hatte ihr Angebot vollständig eingereicht und, wie gefordert, eine Tourenplanung auf Grundlage von Google Maps beigelegt. Nachdem die Vergabestelle Zweifel an der Schlüssigkeit äußerte, reichte die Antragstellerin überarbeitete Tourenpläne ein. Diese wurden von der Vergabestelle als Angebotsänderung gewertet, woraufhin sie das Angebot ausschloss. Die Vergabekammer stellte fest, dass dieser Ausschluss rechtswidrig war. Sie betonte zunächst, dass die rechtlichen Voraussetzungen für Nachforderungen und Aufklärungen unterschiedlich zu bewerten sind.

Grenzen der Nachforderung und Voraussetzungen der Aufklärung

Eine Nachforderung ist nur in den Grenzen des § 56 Abs. 2 und 3 VgV zulässig. Nachforderungen dürfen sich nur auf leistungsbezogene Unterlagen, die nicht die Wirtschaftlichkeitsbewertung betreffen, und unternehmensbezogene Unterlagen beziehen. Bei unternehmensfremden Unterlagen, die der Bewertung der Wirtschaftlichkeit dienen, wie es bei der Tourenplanung der Fall war, ist eine Nachforderung der Unterlagen deshalb unzulässig, wie die Vergabekammer feststellt. Ist bereits die Nachforderung als solche unzulässig und hätte nicht erfolgen dürfen, können aus den nachgeforderten Unterlagen keine negativen Rechtsfolgen für den Bieter gezogen werden.

Zwar wäre im vorliegenden Fall eine zulässige Aufklärung durchaus möglich gewesen, diese wurde aber von der Vergabestelle nicht vorgenommen. Insoweit stellt die Vergabekammer auf den aus Sicht des objektiven Empfängers auszulegenden Inhalt der Aufforderung ab. Dieser sei klar auf eine Nachforderung und nicht auf eine Aufklärung gerichtet gewesen. Im Übrigen erlaube die Aufklärung nach § 15 Abs. 5 VgV keine Änderung des Angebots, also keine Nachreichung von Unterlagen und auch weder die Anforderung fehlender Bestandteile des Angebots noch die Korrektur von Angebotsunterlagen. Die Aufklärung ist nur zulässig, soweit die Angaben für die ordnungsgemäße Prüfung des Angebots benötigt werden und der Klärung des Angebotsinhalts dient. Dies ist der Fall, wenn nach rechtlicher, technischer und wirtschaftlicher Prüfung noch Zweifel bezüglich des Angebotsinhalts bestehen.

Zudem setzt die Aufklärung eine konkrete Aufforderung zur Klarstellung einer durch den Auftraggeber eindeutig zu benennenden und tatsächlich bestehenden Unklarheit voraus. Im vorliegenden Fall konnte die Vergabestelle nicht konkret darlegen, welche Unklarheiten im Angebot tatsächlich bestanden. Eine bloße pauschale Bitte zur Überarbeitung oder Erläuterung genügt nicht, um eine Aufklärung im Sinne des § 15 Abs. 5 VgV zu rechtfertigen.

Keine Angebotsänderung durch überarbeitete Tourenpläne

Zudem war die Frage relevant, ob sich durch die erneute Einreichung der Tourenpläne der Angebotspreis geändert hatte. Dies war durch Auslegung der Erklärung der Antragstellerin aus der Perspektive eines objektiven Empfängers zu ermitteln. Die Kammer verneinte dies. Zwar kam es zu geringen Abweichungen bei der Kilometerzahl, diese resultierten jedoch aus der dynamischen Streckenberechnung von Google Maps und waren nicht auf eine Änderung der Preisstruktur durch die Antragstellerin zurückzuführen. Eine bewusste Änderung des Angebotsinhalts habe nicht vorgelegen. Selbst wenn ein Klärungsbedarf bestanden hätte, hätte die Vergabestelle vor einem Ausschluss zunächst eine ordnungsgemäße Aufklärung durchführen müssen. Der Ausschluss der Antragstellerin erfolgte daher zu Unrecht.

Die Kammer ordnete an, dass das Verfahren in den Stand vor der Angebotswertung zurückversetzt werden muss. Der Auftraggeber hat die Angebotswertung unter Beachtung der Rechtsauffassung der Kammer neu vorzunehmen.

Fazit

Die Entscheidung unterstreicht die praktische Bedeutung der präzisen Trennung von Nachforderung und Aufklärung im Vergabeverfahren und gibt wichtige Hinweise für die rechtssichere Durchführung von Vergabeverfahren. Vergabestellen sind gehalten, in ihrer Kommunikation mit Bietern während des Verfahrens Sorgfalt walten zu lassen. Unklare oder undifferenzierte Anforderungen bergen die Gefahr erheblicher Verfahrensfehler. Für Bieter wiederum stärkt die Entscheidung die Rechtssicherheit: Der Ausschluss eines Angebots darf nur unter engen Voraussetzungen erfolgen. Insbesondere wenn keine objektive Angebotsänderung vorliegt und die Ursachen für etwaige Abweichungen nachvollziehbar erklärt werden können, kann ein vorschneller Angebotsausschluss durch den Bieter angegriffen werden.

  • LinkedIn