Fernmeldegeheimnis am Arbeitsplatz

Das Thema „Fernmeldegeheimnis am Arbeitsplatz“ ist ein Dauerbrenner im Arbeitnehmer-Datenschutzrecht, das bereits mehrere gesetzliche Neuregelungen überdauert hat. Bis 2021 galt das TKG (Telekommunikationsgesetz), seit dem 01.12.2021 das TTDSG (Telekommunikation-Telemedien-Datenschutzgesetz), welches seit dem 13.05.2024 den Namen Telekommunikation-Digitale-Dienste-Datenschutz-Gesetz (TDDDG) trägt. Doch egal unter welchem Namen, das Problem bleibt das gleiche. Sind Arbeitgeber Telekommunikationsanbieter und haben somit das Fernmeldegeheimnis zu beachten, wenn Sie ihren Mitarbeitern die Privatnutzung betrieblicher Kommunikationsmittel erlauben?

Zur Wahrung des Fernmeldegeheimnisses sind nach dem Telekommunikation-Digitale-Dienste-Datenschutz-Gesetz (TDDDG) Anbieter von öffentlich zugänglichen und von geschäftsmäßig angebotenen Telekommunikationsdiensten sowie Betreiber von öffentlichen Telekommunikationsnetzen und von geschäftsmäßig ausgerichteten Telekommunikationsanlagen verpflichtet.

Ob der Arbeitgeber gegenüber seinen Beschäftigten als eben solcher „geschäftsmäßiger Telekommunikationsanbieter“ anzusehen ist, der das Fernmeldegeheimnis einzuhalten hat, wenn er die Privatnutzung des betrieblichen Internet- und Telefon-Anschlusses oder des betrieblichen E-Mail-Accounts erlaubt, ist seit jeher umstritten.

Während in der arbeits- und verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung in den vergangenen Jahren die Tendenz zu beobachten war, den Arbeitgeber nicht als „geschäftsmäßigen Telekommunikationsdienstleister“ anzusehen, gingen die Datenschutz-Aufsichtsbehörden und die vorherrschende Meinung in der Literatur von einer Anwendbarkeit des Fernmeldegeheimnisses aus.

Die Geister scheiden sich unter anderem am Tatbestand der „geschäftsmäßigen Erbringung“, den § 3 Abs. 2 Nr. 2 TDDDG voraussetzt. Die eine Ansicht geht davon aus, dass kein geschäftsmäßiges Erbringen von Telekommunikationsdienstleistungen vorliegt, wenn der Arbeitgeber seinen Mitarbeitern Telekommunikationsdienste zur Verfügung stellt, da die „geschäftsmäßige Erbringung“ voraussetzen würde, dass das Angebot von Telekommunikation an außerhalb der Sphäre des Diensteanbieters liegende Dritte gerichtet ist. Arbeitnehmer des jeweiligen Arbeitgebers sind jedoch nicht außerhalb der Sphäre des Arbeitgebers stehende Dritte. Nach der Gegenansicht erfordert ein „geschäftsmäßiges Erbringen“ lediglich das nachhaltige Angebot von Telekommunikation einschließlich des Angebots von Übertragungswegen für Dritte. Dies ist bei der Bereitstellung von betrieblichen Kommunikationsmitteln durch den Arbeitgeber meist der Fall.

Auch die Datenschutz-Aufsichtsbehörden folgten bisher dieser Ansicht und gingen somit bislang von der Anwendbarkeit des Fernmeldegeheimnisses bei erlaubter Privatnutzung aus.

Nun zeichnet sich jedoch ein Kurswechsel ab. Die Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationssicherheit in NRW (LDI NRW), Frau Bettina Gayk hat am 08.07.2024 den jährlichen Tätigkeitsbericht der Aufsichtsbehörde für das Jahr 2023 veröffentlicht. Darin äußert sich die LDI NRW unter anderem auch zu privaten E-Mails und Telefonaten am Arbeitsplatz (S. 76, 12.2):

Für Arbeitgeber*innen gilt nicht mehr das Fernmeldegeheimnis, wenn sie die private Nutzung der betrieblichen E-Mail- oder Internetdienste erlauben oder dulden.“

Nach Inkrafttreten des Telekommunikation-Telemedien-Datenschutz-Gesetzes (TTDSG) gehen deutsche Aufsichtsbehörden (Bundesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, LDI NRW sowie weitere Landesdatenschutzbehörden) davon aus, dass sich eine rechtliche Bewertung geändert hat: Arbeitgeber*innen, die ihren Beschäftigten die private Nutzung von Internet und E-Mail erlauben oder dulden, unterliegen nicht mehr dem Telekommunikationsrecht. Deshalb haben sie gegenüber ihren Beschäftigten auch nicht das Fernmeldegeheimnis zu garantieren.“

Das hat praktisch relevante Folgen:

Bisher galt: ist das Fernmeldegeheimnis einschlägig, so besteht ein umfassendes Verarbeitungsverbot des Arbeitgebers für private Kommunikationsinhalte des Arbeitnehmers. Dieses schlägt sogar auf die ansonsten zulässige Verarbeitung der dienstlichen Kommunikationsinhalte durch und „infiziert“ diese, da erst nach Einsichtnahme erkennbar ist, ob es sich um eine private oder dienstliche Nachricht handelt.

Sollte das Fernmeldegeheimnis nicht einschlägig sein, beurteilt sich die Zulässigkeit eines Zugriffs des Arbeitsgebers auf Kommunikationsinhalte seiner Mitarbeiter nur nach allgemeinen datenschutzrechtlichen Maßstäben. Gem. § 26 Abs. 1 BDSG können Arbeitgeber dienstliche Kommunikation nach Maßgabe der Verhältnismäßigkeit grundsätzlich einer Überprüfung unterziehen.

Es zeigt, wie kompliziert der Umgang mit privater Nutzung betrieblicher Telekommunikationsmittel am Arbeitsplatz ist. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Gerichte, insbesondere das BAG, zu der Problematik positionieren werden. Bis dahin sollten Arbeitgeber entsprechend vorsorgen und eine schriftliche Regelung über die betriebliche und/oder private Nutzung der Telekommunikationsmittel im Betrieb treffen.

govdigital eG vergibt großen Cloud-Auftrag mit Hilfe von TCI

Die govdigital eG hat mit Unterstützung durch TCI Rechtsanwälte erfolgreich das „Cloud-Broker“-Verfahren beendet und den Zuschlag an die Business Technology Consulting AG (BTC) erteilt.Die Genossenschaft der öffentlichen IT-Dienstleister mit 28 Mitgliedern erhält dadurch Zugriff auf das Serviceportfolio sowohl der „Hyperscaler“ Amazon Web Services (AWS), Google Cloud und Microsoft Azure als auch der nationalen Cloud-Provider IONOS und StackIT.

Der Cloud Broker-Ansatz ermöglicht es den govdigital-Mitgliedern und deren Trägern, je nach spezifischem Projektbedarf die Services eines oder mehrerer Anbieter auszuwählen. Dadurch wird einem „Lock-In-Effekt“ zugunsten einzelner Provider entgegengewirkt. Die Abrechnungsprozesse bleiben dabei aufgrund des einheitlichen Vertragspartners dennoch vergleichsweise schlank. Über ein zentrales Broker-Portal können die Mitglieder jederzeit Einsicht in Reporting- und Abrechnungsdaten nehmen sowie die Zugänge zu den einzelnen Anbietern verwalten.

Mit einem geschätzten Auftragswert von 256.000.000 EUR handelte es sich bei dem Cloud-Broker-Verfahren der govdigital eG um eine der bislang größten Cloud-Ausschreibungen im Bundesgebiet. Zu den Trägern der öffentlichen IT-Dienstleister zählen zahlreiche Gebietskörperschaften und damit Behörden auf Bundes-, Länder- und Kommunalebene, sodass die Ausschreibung einen wesentlichen Meilenstein für die Digitalisierung der Verwaltung darstellt. Das u.a. auf große Vergabeverfahren im IT-Bereich spezialisierte Berliner Büro der TCI Rechtsanwälte (www.tcilaw.de) hat die govdigital eG bei der Konzeption und Durchführung der Ausschreibung sowie als externe Vergabestelle unterstützt.

Aktuelles zur Bewertung von Konzepten im Vergabeverfahren

Die Abfrage von Konzepten im Vergabeverfahren bietet die Möglichkeit, Aspekte der Qualität und Innovationsfähigkeit besser berücksichtigen zu können, wenn die Wirtschaftlichkeit nicht allein anhand konkreter Leistungsmerkmale und des Preises beurteilt werden kann oder soll. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn bestimmte Aspekte der Leistung einen hohen Grad an Fachkunde und Kreativität des Bieters und/oder eine intensive Auseinandersetzung mit konkreten Besonderheiten des Auftraggebers erfordert (z.B. bei der Ausschreibung eines komplexen und auf die individuellen Kundenbedürfnisse anzupassenden IT-Fachverfahrens).

Die Gestaltung von Konzeptkriterien sowie die Bewertung eingereichter Konzepte der Bieter gehören jedoch zu den schwierigeren Aufgaben bei der Vorbereitung und Durchführung umfangreicher Vergabeverfahren. Eine aktuelle Entscheidung der Vergabekammer Westfalen (Beschluss vom 01.02.2023 – VK 1-49/22) verdeutlicht, dass insbesondere eine in sich schlüssige und transparente Methodik und Dokumentation bei der Bewertung von Konzepten unabdingbar ist.

Der Beschluss der Vergabekammer Westfalen vom 01.02.2023 – VK 1-49/22

Die Vergabekammer Westfalen hatte über einen Nachprüfungsantrag eines Bieters zu entscheiden, der mit der Bewertung seines Konzepts zur Betreuung und Beratung von Flüchtlingen nicht einverstanden war. Die Auftraggeberin, eine nordrhein-westfälische Universitätsstadt, hatte Beratungs- und Betreuungsdienstleistungen im Zusammenhang mit Flüchtlingen ausgeschrieben. Dabei sollten Bieter u.a. ein „Konzept zur Betreuung und Beratung“ einreichen.

Zur Bewertung des Konzepts wurde mit den Vergabeunterlagen ein abgestufter Erwartungshorizont veröffentlicht. Maßgeblich war danach, ob die Ausführungen des Bieters nachvollziehbar sind und „inhaltlich mit Blick auf die beschriebene Zielsetzung eine zuverlässige und kompetente Betreuung und Beratung der zugewanderten Menschen in jeder Hinsicht erwarten lassen“.

Der Antragsteller hatte im Gegensatz zum erstplatzierten Bieter (dem Beigeladenen) nicht die volle Punktzahl für das eingereichte Konzept erhalten. Der Antragsteller war der Auffassung, dass sein Konzept nicht nachvollziehbar bewertet worden sei und dass die Auftraggeberin gegen das Transparenzgebot verstoßen habe. Er beantragte daher die Aufhebung des Zuschlagsbeschlusses und die Neubewertung seines Konzepts.

Die Vergabekammer wies den Antrag zurück. Allerdings seien nicht alle Bewertungsaspekte in einer den Anforderungen des § 8 VgV genügenden Form vollständig in der Vergabeakte dokumentiert worden. Sowohl bei den Konzepten des Antragsstellers als auch der Beigeladenen erlaube die Dokumentation der Bewertung durch die Antragsgegnerin keine Überprüfung der vorgenommenen Bewertung für bestimmte Konzeptteile. Weder das Bewertungsprotokoll noch die im Verfahren ergänzten Erwägungen würden durchgehend nachvollziehbar erkennen lassen, welche Vor- und Nachteile der einzelnen Angebote die Antragsgegnerin gegenübergestellt habe.

Diese Mängel seien aber letztlich nicht ausschlaggebend, da der Antragsteller nicht in eine realistische Zuschlagsnähe käme. Im Übrigen sei die Bewertung vertretbar, in sich konsistent und nachvollziehbar anhand der aufgestellten Bewertungskriterien bewertet worden.

Bedeutung der Entscheidung für Vergabestellen

Auch wenn die Entscheidung hier zugunsten der öffentlichen Auftraggeberin ausgefallen ist, verdeutlicht sie die Bedeutung einer in sich schlüssigen und transparenten Methodik und Dokumentation bei der Bewertung von Konzepten. Insbesondere die festgestellten Dokumentationsmängel hinsichtlich einzelner Bewertungsaspekte hätten bei einem engeren Abstand zwischen den beteiligten Bietern zu einer Aufhebung des Vergabeverfahrens durch die Vergabekammer führen können.

Bereits in der Vorbereitung einer Ausschreibung sollten daher hinsichtlich ggf. geforderter Bieterkonzepte frühzeitig Überlegungen zu den folgenden Aspekten erfolgen:

Welche inhaltlichen Aspekte sollen in den Konzepten jeweils aufgegriffen werden?

Zwar müssen und sollten den Bietern nicht sämtliche inhaltlichen Einzelheiten eines Konzepts vorgegeben werden. Im Rahmen der Konzepte sollen im Regelfall gerade auch die Kreativität des Bieters und die Fähigkeit zur Schwerpunktsetzung unter Berücksichtigung der konkreten Maßgaben der Leistungsbeschreibung bewertet werden. Allerdings ist für eine Vergleichbarkeit der eingereichten Konzepte und für eine Transparenz der Bewertung erforderlich, dass die wesentlichen zu betrachtenden Fragen klar aus den Vergabeunterlagen hervorgehen. Dabei kann und sollte auch auf weitere Inhalte Leistungsbeschreibung Bezug genommen werden.

Welche Aspekte sollen für die Bewertung der Konzepte heranzogen werden?

Im Hinblick auf die Bewertung des Konzepts hat der Auftraggeber einen weiten Beurteilungsspielraum. Nach der Rechtsprechung kann grundsätzlich sogar auf eine konkrete Darstellung von Bewertungsaspekten insgesamt verzichtet werden und z.B. anhand von Schulnoten bewertet werden. Dies führt aber umgekehrt zu deutlich höheren Anforderungen hinsichtlich der Dokumentation der eigentlichen Bewertungsentscheidungen (s.u.).

Um die vergaberechtliche Angreifbarkeit der Wertungsentscheidungen zu reduzieren und die Bewertung transparenter zu gestalten, sollten u.E. im Regelfall bereits in den Vergabeunterlagen bestimmte inhaltliche Qualitätsmerkmale definiert werden, die für die Bewertung der Konzepte ausschlaggebend sind. Dies hat auch den praktischen Vorteil, dass Bieter mit Rügen hinsichtlich der Bewertungsmethodik und der konkreten Qualitätsmerkmale selbst im späteren Verfahren präkludiert sind, da diese Aspekte bereits innerhalb der Rügefrist nach § 160 Abs. 3 GWB, d.h. im Regelfall bereits kurz nach Veröffentlichung der Unterlagen gerügt werden müssten.

Möglich und in der Praxis verbreitet ist etwa die Bereitstellung eines Erwartungshorizonts mit bestimmten qualitativen Mindestanforderungen je Notenstufe bzw. Punktespanne (z.B. 0 – 3 Punkte, 4 – 7 Punkte, 8 – 10 Punkte). Die Bewertungsaspekte sollten allerdings einen hinreichenden Bewertungsspielraum des Auftraggebers beibehalten. Insbesondere sollte vermieden werden, die Bewertung lediglich daran zu knüpfen, dass bestimmte Aspekte in dem Konzept enthalten sind. Eine echte qualitative Differenzierung ist in diesem Fall kaum noch möglich.

Bei der späteren Auswertung der Angebote ist im Hinblick auf die eingereichten Konzepte insbesondere folgendes zu beachten:

  • Die tatsächliche Bewertung muss sich eng an der in den Vergabeunterlagen festgelegten Methodik orientieren. Insbesondere müssen die Bewertungsentscheidungen auf Basis der veröffentlichen Bewertungsmaßstäbe erfolgen. Für die Bieter dürfen die für die Wertung herangezogenen Aspekte im Hinblick auf das Transparenzgebot nicht überraschend sein.
  • Auch im Übrigen muss die Begründung der Bewertung in einem sachlichen Zusammenhang zum konkreten Leistungsgegenstand stehen. Liegen objektiv sachfremde Erwägungen der Wertungsentscheidung zugrunde, ist der Beurteilungsspielraums des Auftraggebers überschritten.
  • Die Entscheidung der VK Westfalen verdeutlicht zudem, dass im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens sämtliche Aspekte, die zu einer Auf- oder Abwertung des Konzepts geführt haben, nachvollziehbar aus der Vergabeakte hervorgehen müssen. Dies gilt umso mehr, je weniger konkret die Bewertungsmaßstäbe in den Vergabeunterlagen dargelegt wurde. Die Erwägungen können zwar im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens noch ergänzt werden, eine gänzlich unzureichende oder nicht nachvollziehbare Dokumentation lässt sich aber in diesem Stadium nicht mehr heilen.
  • Inhaltlich ist zudem erforderlich, dass die eingereichten Konzepte auch zueinander ins Verhältnis gesetzt werden. Die Bewertung eines Konzepts erfolgt nie rein isoliert, sondern auch unter Berücksichtigung der Vor- und Nachteile gegenüber den anderen eingereichten Konzepten. Im Hinblick auf das Gleichbehandlungsgebot ist zudem entscheidend, dass Aspekte, die bei dem Konzept eines Bieters zur Auf- oder Abwertung geführt haben, auch gleichermaßen bei der Bewertung der weiteren Konzepte berücksichtigt werden.

Bei Berücksichtigung dieser Maßgaben kann die Abfrage von Konzepten insbesondere bei komplexen Ausschreibungsgegenständen ein entscheidendes Mittel sein, um die inhaltliche Qualität der Angebote besser einschätzen und bewerten zu können und so „die Spreu vom Weizen zu trennen“.

Bewertung der Qualität des Vortrags bei mündlichen Präsentationen – Beschluss der VK Südbayern

Insbesondere im Rahmen komplexer IT-Projekte mit einem hohen konzeptionellen Anteil hängt der Projekterfolg oftmals maßgeblich von der Qualität des eingesetzten Personals ab. Neben der Abfrage von konkreten Mitarbeiterprofilen bieten Bieterpräsentationen im Rahmen von Vergabeverfahren die Möglichkeit, einen unmittelbaren Eindruck von der Befähigung des von den Bietern für die Auftragsausführung vorgesehenen Personals zu erhalten. Gemäß § 58 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 VgV handelt es sich bei der Qualität des Personals im Grundsatz um ein berücksichtigungsfähiges Zuschlagskriterium:

Neben dem Preis oder den Kosten können auch qualitative, umweltbezogene oder soziale Zuschlagskriterien berücksichtigt werden, insbesondere (…) die Organisation, Qualifikation und Erfahrung des mit der Ausführung des Auftrags betrauten Personals, wenn die Qualität des eingesetzten Personals erheblichen Einfluss auf das Niveau der Auftragsausführung haben kann (…)

Keine abschließende Klarheit besteht allerdings dahingehend, welche konkreten Aspekte der Präsentation zur Bewertung der Qualität des Personals im Rahmen von Bieterpräsentationen herangezogen werden können. Insbesondere könnten sich Zweifel ergeben, ob auch rein formale Aspekte, etwa der Vortragsstil, tatsächlich einen „erheblichen Einfluss auf das Niveau der Auftragsausführung“ haben können. U.a. mit dieser Frage hat sich die VK Südbayern in der nachfolgend skizzierten Entscheidung vom 28.10.2021 auseinandergesetzt.

Sachverhalt:

Der Entscheidung lag eine Ausschreibung eines apothekenrechtlichen Versorgungsvertrags für eine kommunale Klinik im Wege eines Verhandlungsverfahrens mit Teilnahmewettbewerb zugrunde. Als Zuschlagskriterien wurden dabei neben dem Preis und der Qualität und der von den Bietern einzureichenden Konzepten auch der „Gesamteindruck des vorgesehenen Projektleiterteams aus der Bieterpräsentation“ herangezogen. Als dieser Bewertung zugrundeliegende Aspekte wurden „Struktur und Verständlichkeit des Vortrags“, „Darstellung der persönlichen Arbeitsweise“, „Eingehen auf Rückfragen“, „Eindruck bei der fachlichen Erläuterung“ sowie „Team- und Kommunikationsfähigkeit“ des Personals benannt. Der Maßstab für die Erreichung der Höchstpunktzahl wurde dabei wie folgt angegeben:

„gut strukturierter und fachlich weitestgehend überzeugender Vortrag, nachvollziehbare Ausdrucksweise, hohes Maß an Kommunikationsfähigkeit, gutes Zusammenwirken der Einzelvorträge zu einer weitestgehend schlüssigen Bieterpräsentation insgesamt, Eindruck eines hohen Maßes an Teamfähigkeit vermittelt“

(U.a.) diese Bewertungsmethodik griff ein unterlegender Bieter im Rahmen einer Rüge und eines daran anschließenden Nachprüfungsverfahrens an. Der Auftraggeber habe aufgrund der „vagen, rein subjektiven Kriterien“ eine unzulässige, uneingeschränkte Wahlfreiheit, da lediglich das „Wie“ des Präsentierens, nicht aber die Inhalte des Vortrags selbst bewertet werden könnten.

Entscheidung:

Die Kammer stellt zunächst klar, dass § 58 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 VgV im Grundsatz auf den streitgegenständlichen Auftrag anwendbar sei. Der Auftraggeber habe nachvollziehbar dargelegt, dass es für die Auftragsausführung ganz wesentlich auf die Fähigkeiten des eingesetzten Projektleiterteams ankomme, um eine „vertrauensvolle, professionelle und fachlich ausgezeichnete Zusammenarbeit in dem äußerst sensiblen Bereich der Klinikversorgung“ sicherzustellen.

Bedenken äußert die Kammer allerdings daran, ob die aufgestellten Bewertungskriterien geeignet sind, die Qualifikation des Projektleitungsteams im Hinblick auf den konkreten Aufgabenzuschnitt zu bewerten. Insbesondere der Aspekt eines „gut strukturierten Vortrags“ weise bei einer Bewertung der Qualität des eingesetzten Personals im Rahmen einer Bieterpräsentation grundsätzlich nur dann den erforderlichen konkreten Auftragsbezug auf, wenn die Tätigkeit der referierenden Personen im zu vergebenden Auftrag gerade auch das Präsentieren bzw. Vortragen beinhalte. Andernfalls sei kaum vorstellbar, dass die (zu bewertende) Qualität gemäß § 58 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 VgV „erheblichen Einfluss auf das Niveau der Auftragsausführung“ haben könne.

Der streitgegenständliche Auftrag umfasse zwar auch Beratungstätigkeiten, die von der Vortrags- bzw. Präsentationsqualifikation des hierfür eingesetzten Personals abhängen können. Dass diese Beratungstätigkeiten (auch) durch die Projektleiter erbracht werden sollen, gehe aber aus den Vergabeunterlagen nicht hervor. Damit liege der hinreichende Auftragsbezug des Zuschlagskriteriums „Gesamteindruck des vorgesehenen Projektleiterteams aus der Bieterpräsentation“ in der konkreten Ausgestaltung der Bewertungsaspekte nicht vor.

Darüber hinaus stellt die Kammer eine ermessensfehlerhafte Wertungsentscheidung des Auftraggebers fest: An einer streitgegenständlichen Präsentation hätten neben den zu bewertenden Mitarbeitenden, die für die Rolle der Projektleitung vorgesehen waren, auch weitere Mitarbeiter des Bieters fachliche Wortbeiträge im Rahmen der Präsentationen geleistet. Zudem sei nicht das gesamte vorgesehene Projektleitungsteam bei der Präsentation anwesend gewesen. Aus der Dokumentation der Bewertung ergebe sich, dass diese Umstände nicht hinreichend berücksichtigt worden seien und insbesondere nicht stringent darauf geachtet worden sei, ausschließlich das benannte Projektleiterteam zu bewerten.

Praxishinweis:

Die Entscheidung der VK Südbayern bestätigt, dass auch formale Aspekte wie etwa die Strukturiertheit und der Vortragsstil bei der Bewertung der Qualität des Personals anhand einer Bieterpräsentation geeignete Zuschlagskriterien darstellen können. Dabei muss aber zum einen darauf geachtet werden, dass diese formalen Aspekte für das jeweils konkret bewertete Personal von unmittelbarer Relevanz für die Auftragsausführung sind. Dies ist im Zweifel bei denjenigen Rollen der Fall, deren Aufgaben eine (auch) mündliche Beratung des Auftraggebers zu komplexen Fragestellungen beinhaltet. Im Rahmen von IT-Projekten liegt ein Auftragsbezug daher am ehesten bei der Rolle eines Fachberaters, im Zweifel aber nicht bei der Rolle eines Entwicklers vor.

Darüber hinaus verdeutlicht die Entscheidung, dass bei der Bewertung des angebotenen Personals im Rahmen von Bieterpräsentationen ein besonderes Augenmerk darauf gelegt werden muss, dass tatsächlich nur die Qualität des konkret zu bewertenden Personals Berücksichtigung findet. Auch ist die Bewertung des Personals von der Angebotsbewertung im Übrigen klar zu differenzieren. Beides muss aus der Dokumentation des Bewertungsprozesses zweifelsfrei hervorgehen. Hierbei wird erneut deutlich, dass insbesondere bei Bieterpräsentationen und Verhandlungen eine detaillierte Dokumentation wesentlich ist, um späteren vergaberechtlichen Angriffen substantiiert entgegentreten zu können.

Die Vereinbarung von Selbstkostenpreisen im Lichte des Vergaberechts

Die Verordnung über die Preise bei öffentlichen Aufträgen (VO PR Nr. 30/53, im Folgenden kurz PreisV) ist seit fast 70 Jahren im Wesentlichen unverändert geblieben. In diesem Zeitraum hat sich das Recht der öffentlichen Aufträge im Übrigen erheblich geändert, insbesondere durch die Einführung und mehrmalige Reformierung des EU-Kartellvergaberechts. Nunmehr liegt ein Referentenentwurf des BMI zu einer Erneuerung der PreisV vor (hier abrufbar).  Dieser soll die zwischenzeitlich zur PreisV ergangene Rechtsprechung kodifizieren und insbesondere das Verhältnis zum Vergaberecht eindeutiger hervorheben. Da das öffentliche Preisrecht in Vergabestellen oftmals wenig präsent ist, nehmen wir den Referentenentwurf zum Anlass, die PreisV und deren Bedeutung im Rahmen der Vergabe öffentlicher Aufträge kurz zu skizzieren.

Grundsatz des öffentlichen Preisrechts ist die Geltung von Höchstpreisen im Rahmen der öffentlichen Beschaffung. Die entscheidende Vorschrift enthält § 1 Abs. 3 PreisV:


Für Leistungen auf Grund öffentlicher Aufträge dürfen höhere Preise nicht gefordert, versprochen, vereinbart, angenommen oder gewährt werden, als nach den Bestimmungen dieser Verordnung zulässig ist.

Primär maßgeblich ist dabei der Marktpreis (§ 4 PreisV). Damit sollte eine Abkehr von der in der Nachkriegszeit zunächst verbreiteten Preisreglementierung hin zu einer marktwirtschaftlichen Auftragsvergabe erfolgen. Eine Zahlung überhöhter Preise durch öffentliche Auftraggeber gegenüber sonstigen Marktteilnehmern sollte verhindert werden.

Dem Marktpreis gegenübergestellt wird der Selbstkostenpreis, der nur in Ausnahmefällen Anwendung findet (§ 5 PreisV). Die Anwendung des Selbstkostenpreises ist gemäß § 5 Abs. 2 PreisV nur möglich, wenn entweder

  • die Ermittlung eines Marktpreises nicht möglich ist oder
  • eine Mangellage (bedingt etwa durch einen Krisenfall)oder ein beschränkter Wettbewerb (etwa durch unzulässige Preisabsprachen) vorliegt, der die Preisbildung nicht nur unerheblich beeinträchtigt.

In der Praxis am bedeutsamsten dürfte die erste Alternative sein. Die Ermittlung eines Marktpreises setzt zunächst marktgängige Leistungen voraus (§ 4 Abs. 1 PreisV).  Dabei kann auch eine Marktgängigkeit vergleichbarer Leistungen ausreichend sein, wobei ggf. entsprechende Auf- oder Abschläge erforderlich sind (§ 4 Abs. 2 PreisV). Während die PreisV für die Marktgängigkeit bislang keine eigene Definition vorsieht, stellt der Referentenentwurf die folgende Definition voran:

(2) Marktgängig sind Leistungen, für die zum Zeitpunkt der Auftragsvergabe ein Markt mit funktionierendem Wettbewerb und wettbewerblicher Preisbildung existiert, auf dem diese Leistungen angeboten und nachgefragt werden (allgemeiner Markt). Marktgängig sind Leistungen auch, wenn zu deren Beschaffung durch ein Vergabeverfahren ein Markt geschaffen wurde, auf dem mehrere Anbieter geeignete Angebote abgegeben haben (besonderer Markt).

Gefordert wird demnach für eine Marktgängigkeit auf dem allgemeinen Markt, dass die Leistung tatsächlich im Wettbewerb gehandelt wird. Die Konkretisierung der Definition hinsichtlich des „besonderen Marktes“ stellt die Umsetzung u.a. eines Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 13.04.2016 (BVerwG 8 C 2.15) dar. Danach ist für die Marktgängigkeit der Leistung regelmäßig ausreichend, wenn für die Beschaffung dieser Leistung eine wettbewerbliche Ausschreibung erfolgt ist, an der mehrere Bieter teilgenommen haben. Dies gilt selbst dann, wenn es sich um sehr spezielle Leistungen handelt, bei denen auf Seiten des öffentlichen Auftraggebers ein Nachfragemonopol für die Leistungenbesteht.

Liegt danach eine marktgängige Leistung vor, muss für die Bildung eines Marktpreises gemäß § 4 Abs. 1 PreisV zusätzlich ein verkehrsüblicher Preis ermittelbar sein. Dies ist zunächst dann der Fall, wenn ein für die Leistung ein bestimmter Preis regelmäßig von sämtlichen Anbietern auf dem Markt erzielt wird („objektiver Marktpreis“). Da dieser Fall eines „vollkommenen Marktes“ in der Praxis selten vorliegt, ist maßgeblich in der Regel der „betriebssubjektive Marktpreis“. Dies ist der Preis, den der jeweilige Anbieter selbst mehrmals unter Wettbewerbsbedingungen erzielt hat. Wohl zur Vereinfachung stellt der Referentenentwurf von vornherein auf diese Variante ab, die neu in § 4 eingefügte Definition der Verkehrsüblichkeit lautet:

(3) Verkehrsüblich ist der für die Leistung auf dem allgemeinen Markt gezahlte Preis, den der Anbieter für die Leistung im Wettbewerb zu anderen Anbietern regelmäßig durchsetzen konnte.

Im Hinblick auf den „besonderen Markt“, also den durch ein Vergabeverfahren geschaffenen Markt sieht der Referentenentwurf (ebenfalls in Anknüpfung an die ergangene Rechtsprechung) folgende Ergänzung vor:

(4) Ist die Verkehrsüblichkeit des Preises nicht bereits auf dem allgemeinen Markt nachweisbar, ist ein Preis, der auf einem besonderen Markt für eine Leistung angeboten wird, verkehrsüblich, wenn er sich unter den Bedingungen eines Wettbewerbs herausgebildet hat.

Ein verkehrsüblicher Preis kann demnach auch dann bestehen, wenn dieser im Rahmen von ordnungsgemäßen Vergabeverfahren mit mehreren (zulässigen) Angeboten durchgesetzt wurde. Eine Verkehrsüblichkeit des Preises entfällt unter diesen Voraussetzungen lediglich bei Vorliegen eines faktischen Angebotsmonopols oder anderer Wettbewerbsverzerrungen, etwa unzulässiger Preisabsprachen, bloßer Scheinangebote oder Angebote in wettbewerbswidriger Verdrängungsabsicht.

Lässt sich nach den vorangehenden Maßgaben ein Marktpreis nicht ermitteln, sieht die PreisV den Selbstkostenpreis als Höchstpreis vor. Der Selbstkostenpreis muss auf den „angemessenen Kosten des Auftragnehmers“ beruhenUnverändert durch den Referentenentwurf bleibt dabei die Rangfolgeder möglichen Selbstkostenpreise. Vorrangig ist danach der Selbstkostenfestpreis (§ 6 Abs. 1 PreisV). Dazu sind die voraussichtlichen Kosten des Anbieters anhand bestimmter Maßgaben im Vorfeld zu kalkulieren. Für diese Kalkulation sind in den „Leitsätzen für die Preisermittlung auf Grund von Selbstkosten“ (LSP) als Anlage zur PreisV weitere Vorgaben dargelegt.

(Nur) wenn eine Kalkulation im Vorfeld wegen vorhandener Unwägbarkeiten nicht abschließend möglich ist, gilt der Selbstkostenrichtpreis. Ändern sich wesentliche Grundlagen der Kalkulation im Laufe der Umsetzung, ist danach der Preis entsprechend anzupassen. Erst wenn weder der Selbstkostenfestpreis noch der Selbstkostenrichtpreises in Betracht kommt, gilt der Selbstkostenerstattungspreis. Dieser sieht eine nachträgliche Offenlegung der Kosten des Anbieters vor, wobei ebenfalls nur „angemessene“ Kosten erstattet werden.

Nach § 9 Abs. 1 PreisV hat der Auftragnehmer den Preisüberwachungsbehörden das Zustandekommen des Preises auf Verlangen nachzuweisen. Eine entsprechende Überprüfung kann auf eigene Initiative der Behörde sowie auf Antrag des Auftraggebers oder des Auftragnehmers erfolgen. Die Regelungen der PreisV sind auch im Übrigen bindend. Ein Verstoß kann gemäß § 11 PreisV i.V.m. § 3 WiStG als eine Ordnungswidrigkeit geahndet werden. Im Einzelfall ist zudem eine (Haushalts-)Untreue nach § 266 StGB denkbar, wenn das öffentliche Preisrecht in bewusst vermögensschädigender Absicht missachtet wird.

Abschließend lässt sich feststellen, dass der Referentenentwurf u.a. eine Klarstellung hinsichtlich wesentlicher Begriffe der PreisV sowie des Verhältnisses des öffentlichen Preisrechts zum Vergaberecht beabsichtigt. Ob dies bereits durch die Ergänzung von Definitionen für die „Marktgängigkeit“ und die „Verkehrsüblichkeit“ gelungen ist, halten wir zumindest für zweifelhaft, da diese (knappen) Definitionen ihrerseits neue Fragen aufwerfen könnten. Die oben dargestellten Grundsätze gelten aber unabhängig von der tatsächlichen Umsetzung des Entwurfs bereits heute, da der Referentenentwurf auf der einschlägigen Rechtsprechung zur PreisV beruht. Insbesondere der Vereinbarung von Selbstkostenpreisen sollte daher in jedem Fall eine genaue Prüfung der Voraussetzungen und möglicher Alternativen vorangehen. Bestehen Anzeichen für einen nicht funktionierenden Markt hinsichtlich der zu beschaffenden Leistung, kann auch die zivilrechtliche Vereinbarung von Preisprüfungsrechten auf Basis der Vorschriften der PreisV sinnvoll sein.