Erkennbarkeit von Vergaberechtsverstößen, Wertungsregeln bei Einzel-, Kombinations- und Gesamtpreisen mehrerer Lose sowie zum Leistungsbestimmungsrecht des Auftraggebers
Sachverhalt
Gegenstand des Vergabenachprüfungsverfahrens, war eine Ausschreibung der Länder Berlin und Brandenburg aus dem Jahr 2020 über Aufträge zur Lieferung, Instandhaltung und Bereitstellung von Schienenfahrzeugen und deren Betrieb für die Teilnetze Nord-Süd und Stadtbahn zwischen West und Ost ab den 2030er-Jahren.
Der Auftraggeber sieht vor, dass Bieter individuell gesonderte Angebote auf einen der vier ausgeschriebenen Aufträge (Lose), also Lieferung, Instandhaltung und Bereitstellung der Schienenfahrzeuge sowie deren Betrieb, abgeben dürfen (Einzelangebote). Weiterhin können Bieter ergänzend Angebote für weitere Aufträge (Kombinationsangebote) sowie Angebote für sämtliche Aufträge (Gesamtangebote) abgeben.
Die Antragstellerin sah sich insbesondere durch die Leistungsbeschreibung und Wertungskriterien gegenüber dem bisherigen Anbieter der ausgeschriebenen Leistung als möglichen Konkurrenten im Vergabeverfahren benachteiligt.
Inhalt des Beschlusses
Das Kammergericht verhandelte über insgesamt 25 Rügepunkte, lehnte einen Großteil der bemängelten Punkte jedoch als unzulässig und/oder unbegründet ab (vgl. KG, Beschluss vom 01.03.2024 – Verg 11/22). Nur in wenigen Punkten müssen die Auftraggeber bei den Vergabeunterlagen nachbessern. Nachfolgend werden aus der Gesamtentscheidung nur die aus hiesiger Sicht bemerkenswerten Punkte der Entscheidung herausgegriffen.
Preispositionen und Gleichbehandlung
Eine der für den Wertungspreis relevanten Preispositionen bestand in den Kosten für die Gleisanschlüsse der für die Errichtung von Werkstätten zur Instandsetzung der Schienenfahrzeuge zu nutzenden Grundstücke.
Dies stellt nach Ansicht des Kammergerichtes eine mit dem vergaberechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz aus § 97 Abs. 2 GWB unvereinbare Benachteiligung gegenüber dem Bestandsunternehmen als möglichen Bieter dar, da es dem Bestandsunternehmen erlaubt ist, auf seine bestehenden Werkstattgrundstücke und den dort bereits vorhandenen Gleisanschluss zuzugreifen, sodass ihm die insgesamt einen zweistelligen Millionenbetrag ausmachenden Kosten für die Erstellung eines Gleisanschlusses nicht entstehen. Im Ergebnis führe dies zu einer Bevorzugung des Bestandunternehmens, die diesem aufgrund des konkret bestehenden geringeren Kostenaufwandes ein günstigeres Angebot möglich sei.
Dieser Ausstattungsvorteil des Bestandsunternehmens beruhe gerade nicht auf einer im freien Wettbewerb errungenen Marktstellung, sondern darauf, dass es aufgrund seiner langjährigen Stellung als Bestandsunternehmen eine konkret auf den Beschaffungsbedarf bezogene günstigere Ausgangsposition habe. Solche Vorteile dürften sich in einem Vergabeverfahren für Wettbewerber des Bestandsunternehmens nicht nachteilig auswirken und sind zur Vermeidung eines Verstoßes gegen den vergaberechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz aus § 97 Abs. 2 GWB daher auszugleichen.
Der Senat hat die Auftragsgeber im Ergebnis daher dazu angewiesen, die Gleisanschlusskosten bei dem Wertungspreis nicht zu berücksichtigen.
Wertungsregeln bei Einzel-, Kombinations- und Gesamtpreisen
Die ausgeschriebenen Leistungen waren differenziert nach Lieferung, Instandhaltung und Bereitstellung der Schienenfahrzeuge einerseits sowie den Betrieb andererseits und dies jeweils aufgeteilt in zwei unterschiedliche Regionen. Die Vergabeunterlagen sahen dabei vor, dass jeweils Einzelangebote zu einzelnen Leistungen (also z.B. nur für den Betrieb in einer Region, Kombinationsangebote (also z.B. Lieferung und Betrieb in einer Region) und auch ein Gesamtangebot für alle Leistungen möglich war. Alle Angebote sollten dabei vergleichend gewertet werden.
Auch wenn es für die Entscheidung nicht darauf ankam, da die Rüge insoweit präkludiert war (siehe dazu unten zur Erkennbarkeit von Vergaberechtsverstößen), hat das Kammergericht implizit die Auffassung der Vergabekammer Berlin in ihrer vorangegangenen Entscheidung (B. v. 31.10.2023, VK-B1 28/21) bestätigt, dass das Auswertungsvorgehen in diesen Fällen sicherstellen muss, dass alle denkbaren Kombinationen von Einzellosangeboten mit den entsprechenden Kombinations- und Gesamtangeboten verglichen werden. Ist dies nicht gegeben, verstößt das Auswertungsvorgehen gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des § 97 Abs. 2 GWB.
Vorgabe von Fremd- oder Drittsystemen
Ein weiterer Rügepunkt, den das Kammergericht als begründet ansieht, betrifft die Vorgabe eines in die Schienenfahrzeuge einzubauenden Zugbeeinflussungssysteme (ZBS). Hierzu hatte der Auftraggeber zwar das Produkt vorgegeben, ansonsten aber keinerlei verbindliche Zusagen z.B. hinsichtlich der (Zu-)Lieferfristen für das ZBS gemacht.
Ansatzpunkt für die Argumentation des Kammergerichtes ist vor diesem Hintergrund, dass der Lieferant des ZBS gleichzeitig auch Bewerber/Bieter des Vergabeverfahrens sein könnte.
Zwar sei es an sich unproblematisch, wenn Lieferfristen noch nicht feststehen und der potenzielle (Zu-)Lieferer sich im Vorfeld nur unverbindlich zu seinen Lieferzeitpunkten bzw. –fristen geäußert habe. Die daraus folgenden Leistungsrisiken seien mit entsprechenden kalkulatorischen Risikozuschlägen auf den Angebotspreis durch die Bieter beherrschbar. Allerdings bestehe dieses Risiko für den Lieferanten des ZBS als möglichem unmittelbaren oder mittelbaren Teilnehmer an dem Vergabeverfahren nicht. Er muss bei einem etwaigen eigenen Angebot daher insoweit keine Risikozuschläge kalkulieren und hätte daher bei seinem Angebotspreis einen entsprechenden Preisvorteil. Dies stellt aus Sicht des Kammergerichts einen Verstoß gegen den vergaberechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz aus § 97 Abs. 2 GWB dar. Zur vergaberechtskonformen Beseitigung der Ungleichbehandlung müssten durch entsprechende Leistungs- und Vertragsbedingungen alle Bieter von dem Zulieferrisiko freigestellt werden.
Leistungsbestimmungsrecht des Auftraggebers
Obwohl das Kammergericht den Nachprüfungsantrag in der Hinsicht als unbegründet ansieht, äußert sich das Gericht nochmal ausführlich zum Leistungsbestimmungsrecht des Auftraggebers.
Es bekräftigt, dass das, was der öffentliche Auftraggeber beschaffen möchte, grundsätzlich im Bereich seiner Beschaffungsautonomie liegt. Der öffentliche Auftraggeber darf so beschaffen, wie es seinem Bedarf entspricht. Er ist nicht verpflichtet, so zu beschaffen, wie es den Bietern oder Teilen von ihnen angenehm wäre, soweit er sich an die wenigen, seine Beschaffungsautonomie einschränkenden kartellvergaberechtlichen Vorgaben hält (KG, a.a.O., Rn. 96.
Vergaberechtlich bedenklich seien allenfalls Vorteile, die einem Bestandsunternehmen aus seiner bisherigen Leistungsbeziehung zum Auftraggeber erwachsen wären und deswegen zur Vermeidung einer Ungleichbehandlung ausgleichspflichtig sein könnten. Allgemeine Bestimmungen zum Leistungsgegenstand, auf die sich sämtliche am Vergabeverfahren teilnehmende Unternehmen mit ihrem unterschiedlichen Leistungsspektrum und ihren Schwächen und Stärken mehr oder weniger einstellen müssen, sind dagegen vom Leistungsbestimmungsrecht des Auftraggebers gedeckt (KG, a.a.O, Rn. 127).
Insbesondere kann er eine bewährte Lösung zum Gegenstand der Ausschreibung eines Anschlussauftrags machen, auch wenn die möglicherweise dem Unternehmen zugutekommt, das bisher für ihn tätig geworden ist. (KG, a.a.O, Rn. 127). Dies stelle weder einen Verstoß gegen das Gebot produktneutraler Ausschreibung gem. § 31 Abs. 6 S. 1 VgV noch gegen das Gleichbehandlungsgebot des § 97 Abs. 2 GWB dar. Die gerügten Beschaffungsvorgaben würden keine Vorteile darstellen, die dem Bestandsunternehmen aus seiner bisherigen Leistungsbeziehung zu dem Auftraggeber erwachsen wären und „deswegen zur Vermeidung einer Ungleichbehandlung ausgleichspflichtig sein könnten, sondern um allgemeine Bestimmungen zum Leistungsgegenstand, auf die sich unabhängig von der Vorbefassung des Bestandsunternehmens sämtliche am Vergabeverfahren teilnehmende Unternehmen mit ihrem unterschiedlichen Leistungsspektrum und ihren Schwächen und Stärken mehr oder weniger einstellen müssen.“ (KG, a.a.O., Rn. 127)
Es bestehe auch „kein Erfahrungssatz, dass Bestandsunternehmen bei der fortgeschriebenen Beschaffung von Leistungen stets einen Wettbewerbsvorteil hätten. Vielmehr können Bestandsunternehmen aufgrund der von ihnen gewählten Lösungen auch Wettbewerbsnachteile haben, weil sie nicht so wie neu anbietende Unternehmen unbefangen von der bisherigen Auftragsdurchführung anbieten können, sondern in ihren alten Lösungen, die nicht notwendig die wirtschaftlichsten sein müssen, verhaftet sind. Dass diese Nachteile von den Vorteilen aus der Kenntnis des Auftraggebers und Auftragsgegenstandes auch nur aufgewogen würden, lässt sich nicht ohne weiteres feststellen.“ (KG, a.a.O., 3362, Rn. 128)
Erkennbarkeit von Vergaberechtsverstößen
Das Kammergericht weist zunächst darauf hin, dass für die Frage der Erkennbarkeit grundsätzlich immer auf alle zum jeweiligen Zeitpunkt veröffentlichte Vergabeunterlagen abzustellen ist. Werden daher bereits im Teilnahmewettbewerb Vergabeunterlagen veröffentlicht, die für die Bieter eigentlich erst für die Angebotsphase relevant sind, muss der Bewerber diese trotzdem bereits sichten, auf erkennbare Vergaberechtsverstöße prüfen und im Zweifel vor Ablauf der Teilnahmefrist rügen (KG, a.a.O., Rn. 24).
Darüber hinaus hält das Kammergericht fest, dass in der Regel Mängel in der Aus- und Bewertungsmethodik, die zu einer Ungleichbehandlung führen können, von jedem durchschnittlich fachkundigen Bewerber/Bieter erkannt werden können. Von einem auch nur durchschnittlich sorgfältigen Unternehmen kann erwartet werden, dass es sich mit Basisfragen einer Ausschreibung, nämlich der Frage, wie die Wertung der Angebote nach den Vorgaben des öffentlichen Auftraggebers vorgenommen werden soll, auseinandersetzt (KG, a.a.O., Rn. 22). Auch aus einer laienhaften Sicht sind in dieser Weise insbesondere alle Bedingungen erkennbar, die laienhaft „ungerecht”, „unfair” oder „unverständlich” sind, die „dem Bieter Unmögliches abverlangen”, insbesondere ihm „die Erstellung und Kalkulation eines Angebotes unmöglich machen oder unzumutbar erschweren” oder ihn „unübersehbaren Risiken” aussetzen (KG, a.a.O., Rn. 37).
Fazit
Die Entscheidung enthält insbesondere zum Leistungsbestimmungsrecht und zur Erkennbarkeit von Verfahrensmängeln noch einmal wertvolle Präzisierungen und Klarstellungen.
Insbesondere die Ausführungen des Kammergerichtes zu Preispositionen und Gleichbehandlung führen allerdings in der Konsequenz zu massiven praktischen Abgrenzungsproblemen. Bislang wurde überwiegend davon ausgegangen, dass Angebotsvorteile, die der Bestandslieferant aus seiner Stellung als Bestandslieferant hat, vergaberechtlich hinzunehmen sind. Auch das Kammergericht scheint hiervon nicht generell abrücken zu wollen und führt dazu die Kategorie der „aufgrund seiner langjährigen Stellung als Bestandsunternehmen konkret auf den Beschaffungsbedarf bezogenen günstigeren Ausgangsposition“ ein. Wann ein solcher Vorteil in Abgrenzung zur „auf einer im freien Wettbewerb errungenen Marktstellung“ vorliegt, bleibt völlig unklar, da das Kammergericht hinsichtlich objektiver Abgrenzungskriterien keinerlei konkrete Aussagen macht. Dies gilt umso mehr, wenn die Tätigkeit als Bestandsunternehmen im freien Wettbewerb, d.h. in einem ordnungsgemäßen Vergabeverfahren errungen wurde. Im vorliegenden Fall war das nicht der Fall, da es sich bei dem Bestandsunternehmen um eine mehrere Jahrzehnte alte und daher noch nicht nach den Grundsätzen des heutigen Vergaberechts vergebenen Leistungsbeziehung handelt. Dies wäre aus hiesiger Sicht zumindest ein nachvollziehbares und praktikables Abgrenzungskriterium. Ob dies allerdings auch aus Sicht des Kammergerichtes der entscheidende Faktor war, wird in dem Beschluss leider nicht ausgeführt.
Vergabestellen versuchen teilweise leider nach wie vor, sich vergaberechtswidrig durch eine bewusste, mindestens aber fahrlässige Falscheinordnung der Leistungsgegenstände das Vergabeverfahren zu erleichtern. In krassen Fällen erfolgt dies durch eine ersichtlich unzutreffende Angabe von CPV-Codes, häufiger ist jedoch die Einordnung von Liefer- und Dienstleistungen als Bauleistungen mit dem Ziel aufgrund des eklatant höheren Schwellenwertes für Bauleistungen ein europaweites Vergabeverfahren und insbesondere den wirksamen Rechtsschutz des 4. Teils des GWB zu umgehen.
Das OLG Schleswig (OLG Schleswig, Beschluss vom 05.12.2023, 54 Verg 8 / 23) hat dazu in einer wenige Wochen alten Entscheidung (OLG Schleswig, Beschluss vom 05.12.2023, 54 Verg 8 / 23) deutliche Worte gefunden und insbesondere noch einmal die Leitlinien für eine korrekte Abgrenzung zwischen Bauleistungen einerseits und Liefer- bzw. Dienstleistungen andererseits dargestellt:
Gegenstands des Nachprüfungsverfahrens
Leistungsgegenstand des verfahrensgegenständlichen Vergabeverfahrens war der Aufbau einer prototypischen Sensor-Infrastruktur zur Datenerfassung und Weiterleitung an einen zentralen Datenspeicher. Das System sollte an insgesamt 15 Standorten installiert werden, um die Gesamtanwendung für eine mögliche anschließende Umsetzungsphase zu erproben.
Der Auftraggeber hat diesen Leistungsgegenstand als Bauleistung eingestuft. Damit lag die geschätzte Auftragssumme (260.000 €) zwar über dem Schwellenwert für Liefer- und Dienstleistungen (215.000 €), aber unter dem Schwellenwert für die europaweite Ausschreibung von Bauleistungen (5.382.000€). Der Auftraggeber hat die Auftragsbekanntmachung daher nur national nach VOB/A vorgenommen. Auf den Nachprüfungsantrag und entsprechende Beschwerde hin hat der Vergabesenat richtigerweise eine Liefer- und Dienstleistung angenommen und den Antragsgegner verpflichtet, bei Fortdauer der Beschaffungsabsicht eine europaweite Ausschreibung nach VgV vorzunehmen.
Begründung
Ein Bauauftrag ist im § 103 Abs. 3 GWB definiert. Demnach ist ein Bauauftrag ein Vertrag über die Ausführung oder gleichzeitige Planung und Ausführung von Bauleistungen im Zusammenhang mit den in Anhang II der RL 2014/24 EU genannten Tätigkeiten oder eines Bauwerkes, das Ergebnis von Tief- oder Hochbauarbeiten ist und eine wirtschaftliche oder technische Funktion erfüllen soll, beziehungsweise nach § 1 Abs. 1 VOB/A ein Vertrag über die Ausführung oder die gleichzeitige Planung und Ausführung eines Bauvorhabens oder eines Bauwerks, das Ergebnis von Tief- oder Hochbauarbeiten ist und eine wirtschaftliche oder technische Funktion erfüllen soll. Die Begriffe Bauleistung und Bauwerk sollen dabei synonym sein.
Typengemischte Aufträge, d.h. Aufträge, die unterschiedliche Kategorien von Leistungen enthalten, sind gemäß § 110 Abs. 1 S. 1 GWB nach dem Hauptgegenstand des Auftrags einzuordnen. Das OLG Schleswig hat im konkreten Fall dazu ausgeführt:
„Die von der Antragsgegnerin ausgeschriebene Hauptleistung ist keine Bauleistung. Als Bauleistung kann allenfalls die Montage von Sensoren angesehen werden. Auch dabei dürfte eine Bauleistung aber allenfalls vorliegen, wenn der Auftragnehmer eigene Masten errichten soll, um daran Sensoren zu befestigen. […]
Jedenfalls ist die Montage der Sensoren nicht die Hauptleistung des ausgeschriebenen Beschaffungsvorhabens. Dabei sind alle vier Lose zu betrachten, da es um ein einheitliches Vorhaben geht. Ziel ist nicht allein die Montage von Sensoren, sondern die Schaffung eines Systems aus Sensoren, die Daten erfassen und diese an die Datenplattform weiterleiten, wo sie weiterverarbeitet werden. Die bloße Montage von Sensoren wäre für die Antragsgegnerin wertlos.
Auch die Auftragnehmer der Lose 1 bis 3 haben umfangreiche Leistungen zu erbringen, die über die bloße Montage der Sensoren hinausgehen. Unter den anzubietenden Leistungen macht die Montage bloß einen Punkt aus. […]Die Bieter müssen das System planen und für eine fehlerfreie Erfassung und Weitergabe der Daten sorgen. Mit ihnen soll kein Bauvertrag, sondern ein EVB-IT Kaufvertrag abgeschlossen werden. Das zeigt, dass IT-Leistungen von der Antragsgegnerin als wesentliche angesehen wurden. Dementsprechend hat etwa die Antragstellerin (Angebot abgebildet S. 7 der Beschwerdebegründung, Bl. 7 d. A.) nicht nur die Sensoren selbst angeboten, sondern auch Software von beträchtlichem Wert. An dem Schwerpunkt der ausgeschriebenen Leistungen ändert es nichts, dass die Bieter ein Montagekonzept vorlegen mussten. Dieses befasste sich vor allem mit den vorgesehenen Befestigungen, damit diese mit den Eigentümern etwa der Masten abgestimmt werden konnten. Auch dass der Betrieb des Systems erst später starten sollte, ändert nichts daran, dass das System aus Sensoren bereits implementiert werden sollte und die Umsetzung der Show Cases erreicht werden sollte.“
Das OLG hat damit zutreffend herausgearbeitet, dass insbesondere Aufträge, die im wesentlichen IT-Leistungen umfassen als Liefer- bzw. Dienstleistung zu qualifizieren sind, auch wenn sie Montageleistungen einschließen. Im Vordergrund steht hier im Zweifel die Lieferung von Hard- und Software und zugehörige technische Installations- und Einrichtungsleistungen.
Insoweit dürfte die Entscheidung auch für andere Auftragsgegenstände anwendbar sein, die zwar zur Ausstattung von Immobilien gehören, ihrem Kern nach aber die Lieferung von IT-Systemen umfassen. Hier sind z.B. Zutrittskontroll- oder Zeiterfassungssysteme zu nennen. Auch hier wird die Montageleistung in aller Regel deutlich hinter der Datenerfassungs-, -speicherungs- und Auswertungsfunktionalität des Systems zurücktreten. Gleiches gilt auch für IT-Komponenten, wie z.B. Monitore, Displays, Whiteboards o.ä. die am Aufstellungsort nur zusätzlich z.B. an Wand oder Decke bzw. sonstigen Trägervorrichtungen montiert werden sollen, selbst wenn auch die Montage von einfachen Trägervorrichtungen zum Leistungsumfang gehört. Das OLG hat insoweit nicht einmal das Errichten ganzer Freiluftmasten unzweifelhaft („allenfalls“) als eine maßgebliche Bauleistung eingeordnet.
Am 15.11.2023 hat die Europäische Kommission die ab 01.01.2024 im Vergaberecht für europaweite Vergabeverfahren geltenden Schwellenwerte veröffentlicht. Danach gelten für die Jahre 2024/2025 folgende Schwellenwerte:
Vergabeverordnung (VgV)
Bauleistungen | 5.538.000 EUR |
Liefer- und Dienstleistungsaufträge (obere und oberste Bundesbehörden) | 143.000 EUR |
Liefer- und Dienstleistungen (alle übrigen öffentlichen Auftraggeber) | 221.000 EUR |
SektVO und VSVgV
Bauleistungen | 5.538.000 EUR |
Liefer- und Dienstleistungsaufträge | 443.000 EUR |
Konzessionen (KonzVgV)
Konzessionen | 5.538.000 EUR |
Die EU-Kommission hat eine Anpassung der Schwellenwerte für EU-weite Vergabeverfahren vorgenommen. Demnach gelten ab dem 1. Januar 2022 die folgenden Schwellenwerte:
Im Einzelnen:
Bauleistungen:
Alle öffentlichen Aufträge: EUR 5.382.000,00 (bis 31.12.2021: EUR 5.350.000,00)
Liefer- und Dienstleistungen:
Aufträge oberster und oberer Bundesbehörden: EUR 140.000,00 (bis 31.12.2021: EUR 139.000,00)
Aufträge im Sektorenbereich: EUR 431.000,00 (bis 31.12.2021: EUR 428.000,00)
Sonstige Aufträge: EUR 215.000 ,00 (bis 31.12.2021: EUR 214.000,00)
Dieser Schwellenwert ist entscheidend für die Vergabe von IT-Projekten – diese sind in der Regel Liefer- und Dienstleistungsaufträge im Sinne der VgV!
Konzessionen:
Alle öffentlichen Aufträge: EUR 5.382.000,00 (bis 31.12.2021: EUR 5.350.000,00)
Praktische Bedeutung:
Entscheidend für den anzuwendenden Schwellenwert ist das Datum der Ausschreibung, nicht etwa die erstmalige Einleitung des Vergabeverfahrens.
Hintergründe:
Die neuen Schwellenwerte sind ab dem 1. Januar 2022 aufgrund der Rechtsform einer Verordnung ohne weiteren Umsetzungsakt unmittelbar in allen EU-Ländern einschließlich Deutschland wirksam. Hintergrund ist eine turnusmäßige Anpassung an den Wechselkurs sog. „Sonderziehungsrechte“. Die nächste Anpassung wird die Europäische Kommission erst nach Ablauf eines Zeitraums von zwei Jahren vornehmen.
Öffentliche Auftraggeber müssen in allen Vergabeverfahren prüfen, ob Ausschlussgründe gemäß §§ 123, 124 GWB vorliegen. Das bundesweite Wettbewerbsregister ermöglicht es nunmehr öffentlichen Auftraggebern ab dem 1. Dezember 2021 über ein Web-Portal des Registers zu prüfen, ob es bei einem Bieter zu einschlägigen Rechtsverstößen gekommen ist und vereinfacht damit die Prüfung des Nichtvorliegens von Ausschlussgründen im Rahmen eines Vergabverfahrens.
Strafverfolgungs- und Bußgeldbehörden sind ab dem 1. Dezember 2021 zur Mitteilung registerrelevanter Entscheidungen an das Bundeskartellamt verpflichtet.
Öffentliche Auftraggeber und Konzessionsgeber sind dann ab dem 1. Juni 2022 ab einem Auftragswert von 30.000,00 Euro verpflichtet, vor Erteilung des Zuschlags für einen öffentlichen Auftrag beim Wettbewerbsregister elektronisch abzufragen, ob das Unternehmen, das den Auftrag erhalten soll, eingetragen ist. Die bisher bestehenden Abfragepflichten (Korruptionsregister der Länder, Gewerbezentralregister) bleiben bis zum Beginn der Abfragepflicht bestehen. Die Abfrage des Gewerbezentralregisters wird noch für drei Jahre nach Anwendbarkeit der Pflicht zur Abfrage des Wettbewerbsregisters erhalten bleiben.
Die Abfrage beim Wettbewerbsregister erfolgt durch den Auftraggeber über ein Web-Portal des Registers, dessen Nutzung eine Registrierung des Auftraggebers voraussetzt. Die Registrierung ist daher für alle zur Abfrage des Wettbewerbsregisters verpflichteten Auftraggeber eröffnet. Dazu gehören:
- Öffentliche Auftraggeber auf Bundesebene und auf Landesebene, d.h. oberste, obere, mittlere und untere Bundes- bzw. Landesbehörden und deren Beteiligungsgesellschaften sowie die bundes- bzw. landesunmittelbaren juristischen Personen des öffentlichen Rechts gemäß § 99 Nr. 2 GWB
- Öffentliche Auftraggeber auf kommunaler Ebene, also Städte, Gemeinden, Kreise, Kommunalverbände und kommunale Beteiligungsgesellschaften gemäß § 99 Nr. 2 GWB
- Mischfinanzierte öffentliche Auftraggeber wie z. B. privatrechtlich organisierte Forschungsinstitute.
Für die Abfrage des Wettbewerbsregisters sollten daher – wenn noch nicht geschehen – die organisatorischen und technischen Vorbereitungen für die Abfrage des Wettbewerbsregisters getroffen werden.
Von dem Unternehmen, das den Zuschlag erhalten soll, benötigt der Auftraggeber für die Abfrage des Wettbewerbsregisters den Firmennamen, die Rechtsform, die Anschrift, die Register-Nummer, Registerart, Registergericht sowie die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer. Es ist daher ratsam, diese Punkte bereits in den Vergabeunterlagen abzufragen.
Die Frage, ob eine Höchstmenge in der Bekanntmachung anzugeben ist oder nicht, ist erneut Gegenstand einer Entscheidung des EuGH geworden. Bis zum Dezember 2018 waren die Anforderungen, die bei der Ausschreibung von Rahmenverträgen zur Angabe des Auftragsvolumens des Rahmenvertrages zu erfüllen sind, in der deutschen Vergaberechtsprechung noch relativ klar. Die Rechtsprechung orientierte sich am Wortlaut des § 21 Abs. 1 S. 2 VgV. Danach war das in Aussicht genommene Austragsvolumen so genau wie möglich zu ermitteln und bekannt zu geben, brauchte aber nicht abschließend festgelegt zu werden (so z.B. VK Bund, B. v. 07.12.2017, VK 1 – 131/17; OLG Düsseldorf, B. v. 21.10.2015, VII – Verg 28/14).
Mit seinem Urteil vom 19.12.2018 hatte der EuGH – allerdings noch zu der alten Richtlinie 2004/18/EG – bereits festgestellt, dass im Rahmen der Ausschreibung eines Rahmenvertrages eine Höchstmenge für die unter dem Rahmenvertag abrufbare Leistung festgelegt werden muss und der Rahmenvertrag mit Erreichen dieser Höchstmenge endet (Rz. 61ff).
Die Vergabekammer des Bundes (Beschluss vom 19.07.2019 – VK 1 – 39/19) sowie das Berliner Kammergericht (Beschluss vom 20.03.2020 – Verg – 7/19) hatten hingegen in der Folgezeit mit wenig überzeugender Begründung entschieden, dass sich eine Pflicht zur Angabe von Höchstmengen/-werten den Vergaberichtlinien nicht entnehmen lasse; vielmehr sei die Rechtsauffassung des EuGH auf die neue Rechtslage unter der Richtlinie 2014/24/EU nicht anwendbar (siehe hierzu auch unsere kritische Stellungnahme vom 2. Dezember 2019).
Mit der Entscheidung vom 17. Juni 2021 – C-23/20 – bestätigt der EuGH nunmehr im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens seine Rechtsprechung auch für die derzeit geltende Richtlinie 2014/24. Der öffentliche Auftraggeber habe danach bei der Vergabe von Rahmenvereinbarungen in der Auftragsbekanntmachung sowohl die Schätzmenge und/oder den Schätzwert als auch eine Höchstmenge und/oder einen Höchstwert der gemäß der Rahmenvereinbarung zu liefernden Waren anzugeben. Zudem entschied der Gerichtshof, dass die Rahmenvereinbarung ihre Wirkung verliere, wenn diese Menge bzw. dieser Wert erreicht ist.
Die Entscheidung
Der Gerichtshof verweist in seiner Begründung auf die in Art. 18 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24/EU genannten Grundsätze der Gleichbehandlung und der Transparenz sowie auf die allgemeine Systematik der Richtlinie; es sei nicht hinnehmbar, dass öffentliche Auftraggeber keine Angaben zu einer Höchstgrenze der abrufbaren Waren machen. Die Angabe der Schätzmenge und/oder des Schätzwertes sowie eine Höchstmenge und/oder eines Höchstwertes der gemäß einer Rahmenvereinbarung zu liefernden Waren sei für den Bieter von erheblicher Bedeutung, da der Bieter nur auf der Grundlage dieser Schätzung seine Leistungsfähigkeit zur Erfüllung der Verpflichtungen aus der Rahmenvereinbarung beurteilen könne.
Wäre der Höchstwert oder die Höchstmenge der Rahmenvereinbarung nicht angegeben oder die Angabe nicht rechtlich verbindlich, würden sich öffentliche Auftraggeber über diese Höchstmenge hinwegsetzen können. Dies würde dazu führen, dass Zuschlagsempfänger wegen Nichterfüllung der Rahmenvereinbarung vertraglich haftbar gemacht werden könnten, wenn sie die von den öffentlichen Auftraggebern geforderten Mengen nicht liefern könnten, selbst wenn diese Mengen die Höchstmenge in der Bekanntmachung überschreiten. Dies würde nach den Ausführungen des Gerichtshofs den Transparenzgrundsatz verletzen.
Wie bereits in der Entscheidung vom Dezember 2018 stellt der Gerichtshof auch im Hinblick auf die geltende Vergaberichtlinie klar, dass öffentliche Auftraggeber, die von Anbeginn an an der Rahmenvereinbarung beteiligt sind, sich nur bis zu der angegebenen Höchstmenge bzw. dem angegebenen Höchstwert verpflichten können, und dass die Rahmenvereinbarung ihre Wirkung verliere, wenn diese Menge oder dieser Wert erreicht sei.
Fazit
Um keine Rüge befürchten zu müssen, sollten öffentliche Auftraggeber nun bei der Vergabe von Rahmenvereinbarungen einen Schätzwert und/oder eine Schätzmenge sowie einen Höchstwert und/oder eine Höchstgrenze angeben. Dennoch dürften nun weitere Fragen zu klären sein, z. B. wie sich die erforderliche Angabe von Höchstgrenzen auf die Auftragsänderungen gemäß § 132 GWB auswirken wird oder welche Möglichkeiten sich für öffentliche Auftraggeber bieten, wenn die Höchstgrenze erreicht, die zeitliche Geltungsdauer der Rahmenvereinbarung aber noch nicht abgelaufen ist.
Weiterhin stellt sich die Frage, wie sich das Verhältnis zwischen der Höchstmenge bzw. des Höchstwerts gegenüber dem geschätzten Auftragswert darstellt. Da der EuGH zumindest ausdrücklich zwischen beiden Angaben differenziert, ist u. E. davon auszugehen, dass die Berechnung eines „Sicherheitszuschlags“ bei der Angabe des Höchstwerts bzw. der Höchstmenge zulässig ist. Ob sich die Angabe des Höchstwerts bzw. der Höchstmenge hingegen gänzlich von dem Schätzwert entkoppeln darf, ist zumindest zweifelhaft, da die Angabe so möglicherweise ihren Zweck verfehlen würde. Hier ist die weitere Rechtsprechung abzuwarten.