Zur Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (und was sie Wert ist)

Streiten sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber um Entgeltfortzahlung, geht es im Kern zumeist um die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AUB) und ihren Beweiswert. So auch in einem jüngst vom BAG entschiedenen Fall (Urteil vom 13.12.2023 – 5 AZR 137/23, zu dem bislang nur die Pressemitteilung vorliegt), der Anlass gibt, sich an folgende Grundsätze zu erinnern:

1.    Die AUB ist das gesetzlich ausdrücklich vorgesehene und insoweit wichtigste Beweismittel des Arbeitnehmers für das Vorliegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit ist (BAG 8.9.2021 – 5 AZR 149/21).

2.    Eine AUB begründet aber keine gesetzliche Vermutung einer tatsächlich bestehenden Arbeitsunfähigkeit i.S.d. § 292 ZPO mit der Folge, dass nur der Beweis des Gegenteils zulässig wäre (BAG 8.9.2021 – 5 AZR 149/21).

3.    Die Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie (AU-RL, zuletzt geändert am 7.12.2023) ist für Arbeitnehmer und Arbeitgeber als Parteien des Arbeitsverhältnisses nicht verbindlich.

Dennoch können Verstöße gegen Regelungen der AU-RL, die auf medizinischen Erkenntnissen zur sicheren Feststellbarkeit der Arbeitsunfähigkeit beruhen, nach den Umständen des Einzelfalls geeignet sein, den Beweiswert einer AUB im Rahmen der nach § 286 ZPO vorzunehmenden Beweiswürdigung zu erschüttern (BAG Urt. v. 28.6.2023 – 5 AZR 335/22).

       Gemeint sind insbesondere die folgenden Regelungen:

  • Die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit setzt die Befragung der oder des Versicherten durch die Vertragsärztin oder den Vertragsarzt zur aktuell ausgeübten Tätigkeit und den damit verbundenen Anforderungen und Belastungen voraus (§ 2 Abs. 5 AU-RL).
  • Die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit darf nur auf Grund einer ärztlichen Untersuchung erfolgen. Diese erfolgt unmittelbar persönlich oder mittelbar persönlich im Rahmen einer Videosprechstunde oder nach telefonischer Anamnese nach Maßgabe von Absatz 5a. (§ 4 Abs. 5 AU-RL).
  • Die Arbeitsunfähigkeit soll für eine vor der ersten ärztlichen Inanspruchnahme liegende Zeit grundsätzlich nicht bescheinigt werden. Eine Rückdatierung des Beginns der Arbeitsunfähigkeit auf einen vor dem Behandlungsbeginn liegenden Tag ist ebenso wie eine rückwirkende Bescheinigung über das Fortbestehen der Arbeitsunfähigkeit nur ausnahmsweise und nur nach gewissenhafter Prüfung und in der Regel nur bis zu drei Tagen zulässig (§ 5 Abs. 3 AU-RL).
  • Die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit soll nicht für einen mehr als zwei Wochen im Voraus liegenden Zeitraum bescheinigt werden (§ 5 Abs. 4 AU-RL).

4.    Der Beweiswert einer AUB kann demnach erschüttert sein, wenn

  • der Arzt den Arbeitnehmer vor der Ausstellung der AUB nicht untersucht (BAG, 11.8.1976 – 5 AZR 422/75);
  • der Arzt die AUB entgegen der Vorgaben der AU-RL zurückdatiert (LAG Köln, 21.11.2003 – 4 Sa 588/03; LAG Rheinland-Pfalz, 13.1.2015 – 8 Sa 373/14).

5.    Der Beweiswert einer AUB ist außerdem erschüttert, wenn nach Maßgabe eines verständigen Arbeitgebers Tatsachen vorhanden sind, die erhebliche Zweifel an der tatsächlichen Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers belegen.

Dies kann z.B. der Fall sein, wenn

  • der arbeitsunfähige Arbeitnehmer nach Zugang der Kündigung des Arbeitgebers eine oder mehrere Folgebescheinigungen vorlegt, die passgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfassen, und er unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine neue Beschäftigung aufnimmt (BAG, 13.12.2023 – 5 AZR 137/23);
  • ein Arbeitnehmer zeitgleich mit seiner Eigenkündigung eine solche Bescheinigung einreicht, die passgenau die noch verbleibende Dauer des Arbeitsverhältnisses abdeckt (BAG, 8.9.2021 – 5 AZR 149/21);
  • der Arbeitnehmer seine “Krankmeldung” ankündigt (LAG Köln, 17.4.2002 – 7 Sa 462/01);
  • der Arbeitnehmer während der Arbeitsunfähigkeit einer Nebenbeschäftigung bei einem anderen Arbeitgeber nachgeht (BAG, 26.8.1993 – 2 AZR 154/93);
  • der Arbeitnehmer Freizeitaktivitäten nachgeht, die mit der Arbeitsunfähigkeit nur schwer in Einklang zu bringen sind (BAG, 2.3.2006 – 2 AZR 53/05 (Skiurlaub trotz Hirnhautentzündung);

Arbeitsunfähigkeit ist aber nicht gleichzusetzen mit Bettlägerigkeit oder häuslicher Ruhe. Es kommt allein darauf an, ob der Arbeitnehmer in der Lage ist, seine Arbeit auszuüben, nicht, ob er einkaufen, spazieren gehen, Sport treiben, Freunde treffen oder ins Kino gehen kann.

Die Inflationsausgleichsprämie – eine Halbzeit-Bilanz

Millionen Arbeitnehmer haben sie bereits erhalten: eine steuer- und abgabenfreie „Inflationsausgleichsprämie“ (IAP). Alle anderen bleibt noch bis zum 31.12.2024 die Hoffnung, dass ihnen ihr Arbeitgeber zur Abmilderung der gestiegenen Verbraucherpreise freiwillig bis zu 3.000.- Euro zusätzlich zum Arbeitslohn gewährt.  

Da die Halbzeit des Begünstigungszeitraums bald erreicht ist, ziehen wir eine kurze Zwischenbilanz:

1.    Die IAP wird flächendeckend umgesetzt, von unzähligen kleinen Betrieben bis hin zu den Dax-Konzernen. Die Voraussetzungen und Gestaltungsoptionen sind dabei weitgehend geklärt und bekannt:

  • Die IAP muss zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn gewährt werden. Dies ist gemäß § 8 Abs. 4 Satz 1 EStG (nur) der Fall, wenn

1. die Leistung nicht auf den Anspruch auf Arbeitslohn angerechnet,

2. der Anspruch auf Arbeitslohn nicht zugunsten der Leistung herabgesetzt,

3. die verwendungs- oder zweckgebundene Leistung nicht anstelle einer bereits vereinbarten künftigen Erhöhung des Arbeitslohns gewährt und

4. bei Wegfall der Leistung der Arbeitslohn nicht erhöht wird.

Somit darf (z.B.) ein vereinbartes Weihnachts- oder Urlaubsgeld nicht in eine IAP „umgewidmet“ werden.

  • Begünstigt sind nur Leistungen an Arbeitnehmer. Für Leistungen an freie Mitarbeiter oder arbeitnehmerähnliche Selbständige sieht § 3 Nummer 11c EStG keine Steuerfreiheit vor.
  • Schwankungen des Verbraucherpreisindex bzw. der Inflationsrate während des Begünstigungszeitraums sind irrelevant. Fragen der individuellen Betroffenheit des einzelnen Arbeitnehmers oder der Angemessenheit der Leistung spielen ebenfalls keine Rolle.
  • Antworten auf zahlreiche weitere Fragen finden sich in den vom Bundesministerium der Finanzen erstellten „FAQ zur Inflationsausgleichsprämie gemäß § 3 Nr. 11c EStG“ i.d.F. vom 24.05.2023 (abrufbar unter https://www.bundesfinanzministerium.de).

2.    Weiterhin nicht abschließend geklärt ist insb., ob und inwieweit

  • es arbeitsrechtlich zulässig ist, die IAP an bestimmte Auszahlungs- oder Rückzahlungsbedingungen wie z.B. bestandene Probezeit, ungekündigtes Arbeitsverhältnis, Betriebstreue, etc. zu knüpfen.  – Dass solche Bedingungen steuerunschädlich sind, steht zumindest fest.
  • die IAP der Pfändung unterliegt.  – Nach Auffassung des AG Köln (Beschl. vom 4.1.2023 – 70 k IK 226/20) soll die IAP dem Pfändungsschutz des § 850c ZPO unterliegen, weil sie das Kriterium einer „wiederkehrend zahlbaren Vergütung für persönlich geleistete Arbeiten“ erfüllt.
<strong>Das ewige Problem mit den Abmahnungen</strong>

ist nach einer aktuellen Entscheidung des LAG Köln vom 20.10.2022 – 8 Sa 465/22 um eine Facette reicher geworden:

Ein Arbeitnehmer war wiederholt zu spät zur Arbeit erschienen. Der Arbeitgeber hat jedoch nicht auf jeden einzelnen Verstoß unmittelbar reagiert, sondern erst abgewartet, dann drei Verspätungen gleichzeitig abgemahnt, und die nächste Verspätung dann zum Anlass für die Kündigung genommen.

Keine gute Idee, wie sich herausstellte.

Die drei Abmahnungen, so das LAG Köln, entsprechen bzgl. ihrer Warnfunktion einer (!) Abmahnung – und unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes hätte es vor dem Ausspruch der Kündigung einer weiteren vierten (einschlägigen) Abmahnung bedurft.

Was daraus folgt, ist einmal mehr die Erkenntnis, dass sich die Warnfunktion einer Abmahnung derart abschwächen kann, dass eine Kündigung nicht mehr ohne weiteres möglich ist.

Bundesarbeitsgericht verpflichtet Arbeitgeber zur Arbeitszeiterfassung

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat mit Urteil vom 13.09.2022 – 1 ABR 22/21 entschieden, dass der Arbeitgeber nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG verpflichtet, ein System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann. Bei unionsrechtskonformer Auslegung dieser Vorschrift ist er gesetzlich verpflichtet, die Arbeitszeiten der Arbeitnehmer zu erfassen.

Bereits am 14. Mai 2019 hatte der EuGH entschieden (C-55/18), dass die Mitgliedstaaten die Arbeitgeber verpflichten müssen, ein System einzurichten, mit dem die tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann.

Sowohl der deutsche Gesetzgeber als auch die allgemeine Praxis sind bis zuletzt davon ausgegangen, dass es noch keine entsprechende gesetzliche Verpflichtung im nationalen Recht gibt, die Arbeitgeber in Deutschland dazu verpflichtet. Das Bundesarbeitsministerium arbeitet daher bereits an einer gesetzlichen Vorlage.  Anders sieht es das BAG, das in § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG genau diese Verpflichtung sieht.

Arbeitgeber dürfen deshalb nicht mehr eine spezialgesetzliche Regelung abwarten. Die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung besteht ab sofort. Wie weit diese Pflicht geht, ist noch nicht ersichtlich, da aktuell nur eine Pressemeldung des BAG-Urteils veröffentlicht wurde. Es bleibt abzuwarten, ob die Entscheidungsgründe mehr Informationen dazu geben werden.

Ein geeignetes System ist ab sofort einzuführen. Dabei dürfte es egal sein, ob dies auf Papier, mittels Stechkartensystem oder einfach mit einer excel-Tabelle erfolgt. Möglich dürfte es auch sein, dem Arbeitnehmer im Rahmen des Direktionsrechts anzuweisen, die Arbeitszeiten jeden Tag in diesem System zu erfassen. Wie weit eine etwaige Überprüfungspflicht des Arbeitgebers geht und welche konkreten Auswirkungen dieses Urteil auf Vertrauensarbeitszeit, Home-Office und mobiles Arbeiten hat, kann noch nicht abschließend gesagt werden.

Wir werden hierauf zurückkommen, sobald die Entscheidungsgründe des BAG vorliegen.

Änderungen durch das neue Nachweisgesetz

Die Änderung des Nachweisgesetzes erfolgte zur Umsetzung der EU-Richtlinie über transparente und verlässliche Arbeitsbedingungen. Ziel dieser Richtlinie ist es eine transparente und vorhersehbare Beschäftigung zu fördern und zugleich die Anpassungsfähigkeit des Arbeitsmarktes zu gewährleisten.

I. Rechtslage bis 31.07.2022

Bis 31.07.2022 hatten Arbeitgeber folgende wesentliche Vertragsbedingungen innerhalb eines Monats schriftlich niederzulegen und dem Arbeitnehmer auszuhändigen. Ausgenommen hiervon waren Arbeitnehmer, die zur vorübergehenden Aushilfe von höchstens einem Monat eingestellt wurden.

  • Name und Anschrift der Vertragsparteien
  • Zeitpunkt des Beginns des Arbeitsverhältnisses
  • Dauer des Arbeitsverhältnisses bei Befristung
  • Arbeitsort
  • Bezeichnung oder Beschreibung der Tätigkeit
  • Zusammensetzung und Höhe des Arbeitsentgelts
  • Arbeitszeit
  • Dauer des jährlichen Erholungsurlaubs
  • Kündigungsfristen
  • Allgemeiner Hinweis auf Tarifverträge, Betriebs- und Dienstvereinbarungen, die auf das Arbeitsverhältnis anwendbar sind.

Kam der Arbeitgeber dieser Pflicht nicht nach, konnte der Arbeitnehmer eine den Anforderungen des Nachweisgesetztes genügende Niederschrift über die wesentlichen Vertragsbedingungen vom Arbeitgeber verlangen. Im Einzelfall kam ein Schadenersatzanspruch des Arbeitnehmers in Betracht, soweit ihm aus dem Pflichtverstoß des Arbeitgebers ein unmittelbarer finanzieller Schaden entstanden war. Bußgeldbewährt war ein Verstoß des Arbeitgebers gegen das Nachweisgesetz bislang nicht.

II. Neue Rechtslage seit dem 01.08.2022

Seit dem 01. August 2022 umfasst der Anwendungsbereich des Nachweisgesetzes alle Arbeitnehmer. Die Ausnahme für vorübergehend und kurzzeitig beschäftigte Aushilfen entfällt.

Arbeitgeber sind verpflichtet, zusätzlich zu den o.g. Bedingungen folgende Bedingungen schriftlich niederzulegen:

  • Enddatum des Arbeitsverhältnisses
  • Ggf. freie Wahl des Arbeitsorts durch den Arbeitnehmer
  • Sofern vereinbart, die Dauer der Probezeit
  • Die Zusammensetzung und die Höhe des Arbeitsentgelts einschließlich der Vergütung von Überstunden, der Zuschläge, der Zulagen, Prämien und Sonderzahlungen sowie anderer Bestandteile des Arbeitsentgelts, die jeweils getrennt anzugeben sind und deren Fälligkeit sowie die Art der Auszahlung
  • Die vereinbarte Arbeitszeit, vereinbarte Ruhepausen und Ruhezeiten sowie bei vereinbarter Schichtarbeit das Schichtsystem, der Schichtrhythmus und die Voraussetzungen für Schichtänderungen
  • Sofern vereinbart, die Möglichkeit der Anordnung von Überstunden und deren Voraussetzungen
  • Ein etwaiger Anspruch auf vom Arbeitgeber bereitgestellte Fortbildung
  • Wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine betriebliche Altersversorgung über einen Versorgungsträger zusagt, der Name und die Anschrift dieses Versorgungsträgers; die Nachweispflicht entfällt, wenn der Versorgungsträger zu dieser Information verpflichtet ist.
  • Das bei der Kündigung des Arbeitsverhältnisses vom Arbeitgeber und Arbeitnehmer einzuhaltende Verfahren, mindestens das Schriftformerfordernis und die Fristen für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses, sowie die Frist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage; § 7 des Kündigungsschutzgesetzes ist auch bei einem nicht ordnungsgemäßen Nachweis der Frist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage anzuwenden.

Die bisher geltenden Fristen werden verkürzt.

Bei Arbeitsverhältnissen, die ab dem 01. August 2022 geschlossen werden, hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die folgenden Informationen schriftlich,

spätestens am ersten Arbeitstag

  • Name und die Anschrift der Vertragsparteien
  • Arbeitsentgelt und seine Zusammensetzung
  • Arbeitszeit

innerhalb von sieben Tagen

  • Zeitpunkt des Beginns des Arbeitsverhältnisses
  • Dauer einer etwaig vereinbarten Probezeit
  • Möglichkeit der Anordnung von Überstunden, sofern vereinbart
  • Bei Arbeit auf Abruf nach § 12 Teilzeit- und Befristungsgesetz: Arbeitsleistung nach Arbeitsanfall zu erbringen ist, die Zahl der mind. zu vergüteten Stunden, der Zeitrahmen der für die Erbringung der Arbeitsleistung festgelegt ist, die Frist innerhalb der der Arbeitgeber die Lage der Arbeitszeit im Voraus mitzuteilen hat

sowie alle übrigen Informationen spätestens einen Monat nach dem vereinbarten Beginn des Arbeitsverhältnisses schriftlich zukommen zu lassen.

Die Niederschrift, der im Nachweisgesetz genannten Bedingungen, wird in der Regel im Arbeitsvertrag erfolgen, dies ist jedoch nicht zwingend erforderlich. Es ist ebenso möglich dem Arbeitnehmer ein entsprechendes Schriftstück (Informationsblatt o.ä.) auszuhändigen.

Beschäftigte, die bereits vor dem 01. August 2022 beschäftigt waren, haben das Recht ihren Arbeitgeber aufzufordern, sie über die wesentlichen Vertrags- und Arbeitsbedingungen zu Informieren. Wesentliche Vertragsbedingungen sind dem Arbeitnehmer innerhalb von sieben Tagen, alle weiteren Informationen innerhalb eines Monats schriftlich auszuhändigen. Eine Änderung oder Ergänzung des Arbeitsvertrages ist hierfür nicht zwingend erforderlich. Auch hier kann die Mitteilung durch ein Informationsblatt erfolgen.

Für die Dokumentation der im Nachweisgesetz genannten Bedingungen gilt ein strenges Schriftformerfordernis. Das heißt, für Arbeitsverträge, dass diese ausgedruckt, von beiden Seiten eigenhändig unterzeichnet und persönlich übergeben oder postalisch zugesandt werden müssen.

Eine digitale Unterschrift, wie sie in vielen Unternehmen bereits gang und gäbe ist, reicht nicht aus. Die elektronische Form (qualifizierte elektronische Signatur) ausgeschlossen. Ebenso verhält es sich, wenn die Dokumentation durch ein Informationsblatt erfolgt. Dieses ist im Original durch den Arbeitgeber zu unterzeichnen und dem Arbeitnehmer auszuhändigen. Den Erhalt des Originaldokuments ist vom Arbeitnehmer quittieren zu lassen, da nur so der Nachweis geführt werden kann, dass die Schriftform eingehalten wurde.

Des Weiteren ist ein Verstoß gegen das Nachweisgesetz seit dem 01. August 2022 bußgeldbewehrt und kann pro Verstoß mit einem Bußgeld von bis zu 2.000 € geahndet werden.

Insofern sind entsprechenden Informationen vollständig sowie form- und fristgerecht den Arbeitnehmern zukommen zu lassen.

III. To-Dos für Arbeitgeber

Arbeitsvertragsmuster, die ab dem 01. August 2022 Verwendung finden, sind, um die o.g. zusätzlichen Bedingungen zu ergänzen. Ein Informationsblatt in Schriftform sollte dann vorbereitet und dem Arbeitnehmer übergeben werden, wenn Arbeitsverträge nur noch in Textform oder in elektronischer Form geschlossen werden. Der Erhalt des Informationsblattes sollte vom Arbeitnehmer zu Beweiszwecken quittiert werden.

Für Arbeitnehmer, die bereits vor dem 01. August 2022 beschäftigt waren, sollte ein entsprechendes Informationsblatt vorbereitet werden, um eine fristgerechte schriftliche Mitteilung zu ermöglichen.

Sollten sich außerdem im laufenden Betrieb wesentliche Arbeitsbedingungen ändern, ist der Arbeitgeber verpflichtet die Belegschaft initiativ bereits am Tag der Änderung schriftlich davon zu unterrichten. Die Einhaltung des Schriftformerfordernisses ist in jedem Fall sicherzustellen

(K)ein Dienstwagen für Betriebsratsvorsitzende?

Mitglieder des Betriebsrats dürfen gemäß § 78 Satz 2 BetrVG „wegen ihrer Tätigkeit nicht benachteiligt oder begünstigt werden“. Was so einfach klingt, kann in der Praxis erheblich kompliziert und sogar strafrechtlich riskant sein, wie etwa ein aktuelles Urteil des LG Braunschweig (v. 28.09.2021 – 16 KLs 85/19) zeigt.

§ 78 BetrVG soll die innere und äußere Unabhängigkeit der Betriebsratsmitglieder gewährleisten, die ihr Amt gemäß § 37 Abs. 1 BetrVG unentgeltlich als Ehrenamt führen.

„Unentgeltlich“ bedeutet freilich nicht, dass Mitglieder des Betriebsrats keinen Anspruch auf Vergütung hätten. Im Gegenteil, schützt § 37 Abs. 4 BetrVG die Betriebsratsmitglieder gerade davor, dass sich die Bemessungsgrundlage ihres Arbeitsentgelts wegen der Übernahme des Amtes verschlechtert. Das Betriebsratsmitglied soll hinsichtlich der Höhe des Arbeitsentgelts (in all seinen Bestandteilen, wie z.B. Zulagen, Sozialleistungen, vermögenswirksame Leistungen, Gewinnbeteiligungen, Leistungen der betrieblichen Altersvorsorge etc.) vielmehr so gestellt werden, wie es stehen würde, wenn es das Betriebsratsamt nicht übernommen hätte, woraus (notwendig) auch ein Anspruch auf Gehaltserhöhung folgt, und zwar in dem Umfang, in dem die Gehälter vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung erhöht werden. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) spricht insoweit vom Erfordernis einer „fiktiven Laufbahnnachzeichnung“ (z.B. Urteil v.  14.07.2010 – 7 AZR 359/09).

Gleichzeitig verbietet das Gesetz aber jegliche Gewährung eines Entgelts für die Betriebsratstätigkeit bzw. jegliche Bemessung des Entgelts nach der Bewertung der Betriebsratstätigkeit.

Genau hier beginnt die Gradwanderung.

Denn nach ständiger Rechtsprechung des BAG ist jede objektive Besserstellung im Vergleich zu anderen Arbeitnehmern, die nicht auf sachlichen Gründen, sondern auf der Tätigkeit als Betriebsratsmitglied beruht, eine untersagte Begünstigung (z.B. Urteil v. 29.08.2018 – 7 AZR 206/17).

Betriebsräte „kraft Amtes“ als „Co-Manager“ zu betrachten und auf „Führungskräfteniveau“ zu vergüten, liegt demnach deutlich außerhalb des Korridors hypothetischer Betrachtung!

Entlang dieser Linie, aber erheblich niederschwelliger, entschied z.B. das LAG Berlin-Brandenburg (Urteil v. 11.02.2020 – 7 Sa 997/19) und jüngst auch das LAG Nürnberg (Urteil v. 05.04.2022 – 7 Sa 238/21), dass es (auch) einen Verstoß gegen das Begünstigungsverbot des § 78 Satz 2 BetrVG darstellt, wenn einem Betriebsratsvorsitzenden ein Dienstwagen auch zur privaten Nutzung überlassen wird, der ihm ohne diese Funktion nicht überlassen worden wäre und auch sonst kein sachlicher Grund dafür ersichtlich ist. Eine solche Vereinbarung ist infolgedessen nach § 138 BGB nichtig.

Eine allgemeingültige Regel nach dem Motto „Kein Dienstwagen für Betriebsratsvorsitzende“ folgt hieraus gleichwohl nicht. Denn auch ein „überobligatorischer“ Dienstwagen muss nicht zwangsläufig eine Begünstigung sein, wenn und soweit er für die Betriebsratsarbeit förderlich und somit – auch im Interesse des Arbeitgebers – sachlich gerechtfertigt ist (z.B., weil der Betriebsratsvorsitzende damit nicht mehr auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen ist, wodurch Wartezeiten und Verzögerungen entfallen und die Betriebsratsaufgaben zeitlich zuverlässiger und schneller erledigen werden können).

Ist eine bestimmte Zuwendung aber sachlich begründet, ist zudem auch der Vorwurf der Untreue, § 266 StGB, entkräftet und eine entsprechende Strafdrohung somit unverhältnismäßig.

Gewerbliche Miete und Corona

Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass bei einer pandemiebedingten Geschäftsschließung dem Gewerberaummieter grundsätzlich ein Anspruch auf Reduzierung der Miete zusteht (BGH, Urteil vom 12. Januar 2022, XII ZR 8/21). Der BGH hat dieses Recht mit einer Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 Abs. 1 BGB) begründet, nachdem er das Vorliegen eines Mangels des Mietgegenstandes abgelehnt hatte.

Prüfung aller Umstände des Einzelfalls

Allerdings muss, so der BGH, unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, geprüft werden, ob dem Mieter das Festhalten am unveränderten Vertrag unzumutbar ist.

Eine Reduzierung der Miete um die Hälfte hat der BGH als zu pauschal abgelehnt: Weil das Risiko einer pandemiebedingten Gebrauchsbeschränkung der Mietsache keine der beiden Vertragsparteien allein treffe, seien bei der vorzunehmenden Abwägung

  • die konkreten Nachteile, die dem Mieter durch die Geschäftsschließung entstanden sind,
  • die Maßnahmen, die der Mieter ergriffen hat oder ergreifen konnte, um die drohenden Verluste zu mindern,
  • die finanziellen Vorteile, die der Mieter aus staatlichen Leistungen zum Ausgleich der pandemiebedingten Nachteile erlangt hat,
  • Leistungen einer einstandspflichtigen Betriebsversicherung und
  • die Interessen des Vermieters

zu berücksichtigen.

Auswirkungen für Folgen des Ukraine-Krieges

Das Urteil ist wegweisend für die Verteilung nicht vorhersehbarer Risiken zwischen den Parteien eines Vertrages und dürfte über die Covid-19-Pandemie hinaus auch Bedeutung für im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses nicht vorhersehbare Folgen des Ukraine-Krieges haben.

Zeitpunkt des Vertragsabschlusses

Ist allerdings das Risiko im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bereits bekannt, kommt eine Anpassung des Vertrages über § 313 BGB nicht mehr in Betracht. Denn dann fehlt es bereits an einer Veränderung „nach Vertragsschluss“, die § 313 Abs. 1 BGB voraussetzt. Daraus folgt: Für Verträge, die nach Erlass der ersten Lockdown-Allgemeinverfügungen der Landesregierungen im März 2020 geschlossen wurden, kommt eine Vertragsanpassung wegen Geschäftsschließung infolge der Covid-19-Pandemie ebenso wenig in Betracht wie für nach dem 24. Februar 2022 geschlossene Verträge wegen Folgen des Ukraine-Krieges.

Vertragliche Risikoverteilung

Für Verträge, die später abgeschlossen wurden und in Zukunft noch abgeschlossen werden, steht § 313 BGB wegen Auswirkungen des Ukraine-Krieges und der Covid-19-Pandemie, beispielsweise im Falle einer neuen Infektionswelle mit neuen Virusvarianten und erneuten Lockdowns, oder im Falle weiterer Preisexplosionen aufgrund weiterer Wirtschaftssanktionen gegen Russland, nicht zur Verfügung. In diesen Fällen kommt nur eine vertragliche Risikoverteilung in Betracht.

Wegen der strengen AGB-Rechtsprechung des BGH ist der Spielraum für vertragliche Risikoverteilungsklauseln auch in B2B-Verträgen sehr eng.

TCI Rechtsanwälte berät Gesellschafterin der DGO-Deutsche Gesellschaft für Online-Innovationen GmbH beim Verkauf an die eduPRO Gruppe


Der Mainzer TCI Partner Stephan Breckheimer hat gemeinsam mit dem TCI Partner Stephan Schmidt (Datenschutz) und der Kanzlei Covington & Burling LLP, Frankfurt (M&A, Gesellschaftsrecht), der Mainzer Steuerkanzlei Vogelsberger und der MA-Solutions GmbH, Wincheringen (Transaktionsberater) die Gesellschafterin der DGO-Deutsche Gesellschaft für Online-Innovationen GmbH, Mainz beim Verkauf an die eduPRO Gruppe, Wien beraten.

Mainz, 04.04.2022. Die eduPRO Gruppe, Wien beteiligt sich mehrheitlich an der DGO-Deutsche Gesellschaft für Online-Innovationen GmbH, Mainz.

Im Rahmen der Wachstumsfinanzierung hat sich der österreichische Bildungsanbieter über seine deutsche Landesgesellschaft die Mehrheit an dem innovativen Marktteilnehmer gesichert. Gemeinsam möchten die Partner die sehr gute Marktposition der DGO im Markt für onlinebasierte Arbeitsmarktdienstleistungen kontinuierlich ausbauen.

Die DGO-Deutsche Gesellschaft für Online-Innovationen GmbH, Mainz wird auch weiterhin mit ihrem eigenen Firmennamen und ihrem gewohnten Erscheinungsbild von Mainz aus agieren. Die bestehenden Verträge zwischen dem Unternehmen und seinen Kunden sowie seinen Mitarbeiter:innen laufen nahtlos weiter. „Die Ansprechpartner bleiben gleich und können wie gewohnt kontaktiert werden“, versichert Anna Johannsen, geschäftsführende Gesellschafterin der DGO, die am Unternehmen beteiligt bleiben und auch weiterhin als Geschäftsführerin fungieren wird. Mit ihr gemeinsam bildet Dr. Bernd Curtius die alte sowie auch neue Geschäftsführung des Unternehmens. Die DGO führt bundesweit Online-Coachings für Arbeitslose durch und verhilft ihnen zu einer neuen beruflichen Perspektive. Die DGO besteht seit 2020 und beschäftigt bereits über 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Gemeinsam mit dem neuen Partner möchte das bereits erfolgreich am Markt etablierte Unternehmen seinen Wachstumskurs fortsetzen.

<strong>Corona-Lockerungen!</strong>

Und was bleibt vom Home-Office?

Die gegenwärtige (bis 19.03.2022) geltende Home-Office-Pflicht (§ 28b Abs. 4 IfSG) soll nach den aktuellen Beschlüssen des Bundes und der Länder vom 16.02.2022 nicht mehr verlängert werden.

Ab 20.03.2022 können Arbeitgeber zwar weiterhin im Einvernehmen mit den Beschäftigten die Arbeit im Home-Office anbieten, wenn keine betrieblichen Gründe entgegenstehen und diese im Interesse des betrieblichen Infektionsschutzes liegt (z. B. bei Tätigkeit in Groß­raum­büros). Eine Pflicht besteht dann aber nicht mehr.

Viele Arbeitnehmer werden – je nach persönlicher Situation – die Möglichkeit zur Rückkehr ins Büro dankbar annehmen. Es gibt aber auch solche, die das Home-Office als „Besitzstand“ schätzen und nicht mehr hergeben wollen. Dabei gab es nie einen gesetzlichen Anspruch – und auch Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen gehen zumeist vom Prinzip der Freiwilligkeit aus, mit der Unternehmer entscheiden, ob sie die Betriebsorganisation zu Gunsten des Home-Office öffnen und den Arbeitnehmern wiederum die freie Entscheidung überlassen, diese Option anzunehmen.

Dass Arbeitnehmer – selbst in Pandemie-Zeiten – nicht gegen ihren Willen zu einer Tätigkeit im Home-Office gezwungen werden können, wäre sogar ohne Art. 13 GG, der den privaten Wohnbereich schützt und dem Zugriff des Arbeitgebers entzieht, einleuchtend. Aber ist es denkbar, dass sich die Pandemie-bedingte Tätigkeit im Home-Office inzwischen derart „etabliert“ hat, dass daraus ein individueller Rechtsanspruch des Arbeitnehmers werden konnte (bzw. kann)?

Nach einhelliger Auffassung nein, weil Arbeitgeber, die ihre Arbeitnehmer in der Pandemie ins Homeoffice „versetzt“ haben, damit nur ihren gesetzlichen Schutzpflichten aus § 28 b IfSG und § 2 Abs. 4 Corona-ArbSchV aF nachgekommen sind. Der objektive „Erklärungswert“ ihres Verhaltens erschöpft sich somit in der bloßen Beachtung gesetzlicher Ge- und Verbote. 

Daran ändert sich – nach einer Entscheidung des LAG München v. 26.08.2021 – 3 SaGa 13/21 – selbst dann nichts, wenn Arbeitgeber ihre Arbeitnehmer nach Ende der Pandemie nicht sofort wieder ins Büro zurückbeordern, sondern diese dort „zunächst“ weiterarbeiten lassen. Auch dies lässt regelmäßig noch keinen Vertrauenstatbestand entstehen, aus dem wiederum ein individuelles Recht entstehen könnte.

Wenn außerdem kein Arbeitnehmer per Weisung in sein Home-Office „verbannt“ werden kann, kann folglich auch kein Arbeitgeber verpflichtet sein, ein nicht bestehendes Weisungsrecht nach „billigem“ Ermessen dahingehend auszuüben, seinen Arbeitnehmern die Tätigkeit im Home-Office gestatten zu müssen.

Damit ist aber noch nicht die Frage beantwortet, unter welchen Voraussetzungen ein Arbeitgeber seine ( ggf. unbefristet) erteilte Zustimmung zur Tätigkeit im Home-Office widerrufen kann bzw. er einen im Home-Office befindlichen Arbeitnehmer an den betrieblichen Arbeitsplatz zurückbeordern kann.

Soweit im Einzelfall kein entsprechender Vorbehalt vereinbart wurde, kommt es auf das Direktionsrecht gemäß § 106 GewO an, und somit auf eine Abwägung der persönlichen Interessen des Arbeitnehmers gegen die betrieblichen oder wirtschaftlichen Interessen des Arbeitgebers. Dass sich der Arbeitgeber hierbei nur auf „hinreichend gewichtige“ Gründe berufen darf, die  – etwa in Anlehnung an § 8 Abs. 4 Satz 2 TzBfG – voraussetzten würden, dass „die Organisation, der Arbeitsablauf oder die Sicherheit im Betrieb wesentlich beeinträchtigt ist oder unverhältnismäßige Kosten verursacht“ werden, wäre u.E. unvereinbar mit dem wesentlichen Inhalt der freien unternehmerischen Entscheidung, zu der auch die Gestaltungsfreiheit bezüglich der betrieblichen Organisation gehört, insbesondere die Festlegung, an welchem Standort welche arbeitstechnischen Ziele verfolgt werden (BAG v. 27. 9. 2001 – 2 AZR 246/00).

Ein plausibler und im Rahmen „billigen Ermessens“ vorrangig zu berücksichtigender Grund könnte also z.B. darin liegen, dass die technische Ausstattung im Home-Office keinen Dauerzustand erlaubt, dass die Datenschutzvorkehrungen nicht dauerhaft eingehalten werden können oder dass im Home-Office des Arbeitnehmers keine gemäß § 2 Abs. 2 lit. b GeschGehG erforderlichen Geheimhaltungsmaßnahmen umsetzbar sind.

Fehlende Umsetzung der Whistleblower-Richtlinie: Folgen für Unternehmen

Mit der EU-Whistleblower-Richtline EU 2019/1937 vom 23.10.2019 verpflichteten sich die Mitgliedsstaaten Unternehmen mit mindestens 250 Mitarbeitern* vorzuschreiben, eine Hinweisgeberstelle für Rechtsverstöße im Unternehmen einzurichten. Ab dem 17.12.2023 soll die Verpflichtung auch auf kleinere Unternehmen, mit mehr als 50 Mitarbeitern, erweitert werden.

Die Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht sollte bis zum 17.12.2021 erfolgen. Diese Frist wurde allerdings vom deutschen Gesetzgeber verpasst, u. a., weil keine Einigung über den Umfang der zu meldenden Verstöße herrschte. Wegen fehlender Umsetzungen leitete die Europäische Kommission anschließend gegen Deutschland sowie gegen 25 weitere Mitgliedsstaaten Vertragsverletzungsverfahren ein. Die fehlenden Umsetzungen erzeugen nun eine gewisse Rechtsunsicherheit für Unternehmen.

Inhalt der Whistleblower-Richtlinie

Die Richtlinie sieht vor, dass Mitarbeiter bei den einzurichtenden Hinweisgeberstellen anonym melden können, wenn sie im Unternehmen Verstöße gegen EU-Recht empfinden. Hierdurch sollen Rechtsverstöße besser aufgedeckt und unterbunden werden und die Möglichkeiten der Rechtsdurchsetzung für die Betroffenen verbessert werden.

Eine weitergehende Verpflichtung kann die Europäische Union mangels Gesetzgebungskompetenz nicht vorschreiben. Den Mitgliedsstaaten soll es aber freistehen, die Hinweisgeberstellen auch auf Verstöße gegen nationales Recht zu erweitern.

Die neue Bundesregierung kündigte an, die Richtlinie im ersten Quartal 2022 durch den Erlass eines „Hinweisgeberschutzgesetzes“ (HinSchG) umsetzen zu wollen. Dabei sollen Mitarbeiter tatsächlich die Möglichkeit erhalten, nicht nur empfundene Verstöße gegen EU-Recht, sondern auch gegen deutsches Recht oder sonstiges erhebliches Fehlverhalten melden zu können.

Da Hinweisgeber sich beim Bekanntwerden von Meldungen innerhalb ihres Unternehmens unbeliebt machen könnten, sieht die Whistleblower-Richtlinie in Art. 19, 20 und 21 einen Schutz vor Repressalien wie Kündigungen oder Versetzungen vor. Auch diese Schutzmaßnahmen sollen im „HinSchG“ wohl inhaltlich noch erweitert werden.

Weder die Details der geplanten Ausgestaltung dieses Schutzes und hierdurch entstehender zusätzlicher Pflichten eines Arbeitgebers noch die weitere Ausgestaltung der deutschen Umsetzung sind jedoch bisher bekannt. Etwa ob innerhalb eines Konzerns eine zentrale Hinweisgeberstelle für die Mitarbeiter sämtlicher Gesellschaften ausreicht oder jede Gesellschaft eine eigene Stelle einrichten muss.

Folgen der fehlenden Umsetzung

Da Deutschland die Frist zur Umsetzung und Ausgestaltung der Richtlinie in deutsches Recht verpasst hat, stellt sich für Unternehmen hierzulande nun die Frage, ob sie nun dennoch verpflichtet sind, bereits jetzt eine Hinweisgeberstelle einzurichten, was entweder intern oder auch extern erfolgen kann.

Prinzipiell kann eine nicht umgesetzte EU-Richtlinie nach dem Ende der Umsetzungsfrist selbst eine unmittelbare Wirkung entfalten. Dafür muss die Richtlinie von der EU so genau bestimmt worden sein, dass die Handlungspflicht bereits eindeutig ist. Sie darf auch nicht von zusätzlichen Bedingungen abhängig sein oder zu ihrer Anwendung weitere Rechtsvorschriften bedürfen. All diese Bedingungen dürften bei der EU-Whistleblower-Richtline vorliegen.

Dennoch kann sich ein Bürger nur gegenüber dem Staat auf die nicht umgesetzte Richtlinie berufen, nicht jedoch gegenüber anderen Privatpersonen. Momentan kann sich ein Arbeitnehmer also beispielsweise noch nicht auf den erweiterten Kündigungsschutz berufen, sodass Unternehmen durch die fehlende Umsetzung keine negativen Konsequenzen entstehen. Zugleich müssen staatliche Organisationen aber bereits jetzt eine Hinweisgeberstelle einrichten, bei der Verstöße gegen EU-Recht gemeldet werden können.

Fazit

Momentan sind Unternehmen noch nicht verpflichtet, Hinweisgeberstellen vorzuhalten. Zudem ist die Ausgestaltung des geplanten Hinweisgeberschutzgesetzes noch unklar. Dennoch ist es für Unternehmen sinnvoll, gerade in Konzernstrukturen, die Einrichtung entsprechender Stellen bereits jetzt vorzubereiten, da diese aufwändig und zeitintensiv sein könnte. Bei der Einrichtung einer Hinweisgeberstelle sind u. a. auch datenschutzrechtliche Rahmenbedingungen zu schaffen, z. B. eine sichere Möglichkeit der Kommunikation mit der Hinweisgeberstelle. Im Einzelfall ist zudem eine sog. Datenschutz-Folgenabschätzung gemäß Art. 35 DSGVO durchzuführen, die grundsätzlich erforderlich ist bei einer Form der Verarbeitung, die voraussichtlich ein hohes Risiko für die Rechte und Freiheiten natürlicher Personen zur Folge hat. Wenn man berücksichtigt, dass über die Hinweisgeberstelle ggf. Daten über potenziell strafrechtlich relevantes Verhalten verarbeitet werden und für den Hinweisgeber zudem das greifbare Risiko besteht, dass seine Anonymität nicht geschützt wird, dann erscheint eine Datenschutz-Folgenabschätzung somit notwendig, ebenso wie eine Abstimmung mit dem betrieblichen Datenschutzbeauftragten.

*Aus Gründen der vereinfachten Lesbarkeit wird lediglich die grammatikalisch männliche Form genannt, gemeint sind jedoch Beschäftigte jeder Geschlechteridentität.