Das Landgericht Augsburg hatte sich in einem Hauptsacheverfahren (Az. 081 O 1161/23) mit der Frage auseinanderzusetzen, ob ein Franchise-Geber für das wettbewerbswidrige Verhalten seines Franchise-Nehmers haften und mit einstehen muss. Das Gericht bejahte die Haftung des Franchise-Gebers gemäß § 8 Absatz 2 UWG.
I. Sachverhalt
Der selbständige Franchise-Nehmer eines Fitnessstudio-Franchise-Systems hatte zur Anhebung der Mitgliedsbeiträge bei den laufenden Studioverträgen seiner Bestandmitglieder am Drehkreuz im Eingangsbereich der Studios Aushänge angebracht, in denen er die Gründe und den Umfang der Preiserhöhung erläuterte. Die Aushänge enthielten zudem folgende Passage: „Für Deine Zustimmung kannst Du ganz unkompliziert unser Drehkreuz passieren“, wobei das Passieren des Drehkreuzes für die Mitglieder unumgänglich war, um Zutritt zum Studio zu erhalten.
Der Franchise-Geber hatte von dieser Aktion weder Kenntnis, noch hatte er eine solche Maßnahme veranlasst oder gar daran mitgewirkt. Die Franchise-Verträge enthielten kartellrechtlich korrekt die Regelung, dass der Franchise-Nehmer in seiner Preisgestaltung frei ist, der Franchise-Geber aber Höchstpreise vorgeben kann.
Sowohl der Franchise-Nehmer als auch der Franchise-Geber wurden von einem Verbraucherverband mit der Begründung abgemahnt, die fingierte Zustimmung zu einer Preiserhöhung durch das Passieren des Drehkreuzes im Studio des Franchise-Nehmers stelle eine aggressive geschäftliche Handlung im Sinne des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) dar. Sowohl gegen den Franchise-Nehmer als auch gegen den Franchise-Geber wurde eine einsteilige Verfügung zur Unterlassung dieser geschäftlichen Handlung erwirkt. Der Franchise-Nehmer akzeptierte die Verfügung durch Abschlusserklärung, nicht aber der Franchise-Geber, woraufhin der Verbraucherverband den Unterlassungsanspruch auf Grundlage der Haftungsnorm des § 8 Absatz 2 UWG im Hauptsacheverfahren vor dem Landgericht Augsburg weiter verfolgte.
II. Rechtlicher Rahmen
Nach § 8 Absatz 1 UWG kann auf Beseitigung und Unterlassung in Anspruch genommen werden, wer eine unzulässige geschäftliche Handlung im Rahmen des UWG vornimmt. Absatz 2 dieser Vorschrift besagt, dass diese Ansprüche auch gegen den Inhaber eines Unternehmens begründet sind, wenn die Zuwiderhandlungen im Unternehmen von einem Mitarbeiter oder Beauftragten begangen werden.
Bereits mit Urteil vom 05.04.1995 hatte der BGH entschieden, dass der Franchise-Geber „Beauftragter“ des Franchise-Nehmers im Sinne dieser gesetzlichen Regelung sein kann,
- wenn die Handlung, deren Unterlassung verlangt wird, innerhalb des Betriebsorganismus des Franchise-Gebers begangen wurde,
- der Erfolg der Handlung zumindest auch dem Franchise-Geber zugutekommt und
- dem Franchise-Geber ein bestimmender Einfluss auf die Tätigkeit eingeräumt ist – es genügt, wenn er sich einen solchen hätte sichern können -, in deren Bereich das beanstandete Verhalten fällt.
III. Entscheidung des Gerichts
Das Landgericht Augsburg gab dem Unterlassungsanspruch des Verbraucherverbandes in seinem Urteil vom 06.10.2023 statt und bejahte die Haftung des Franchise-Gebers aus § 8 Absatz 2 UWG, obwohl das „Ob“ und „Wie“ von Preiserhöhungen einzig und allein in den Entscheidungsbereich des Franchise-Nehmers fällt und der Franchise-Geber mit dieser Aktion nichts zu tun hatte.
Das Vorliegen der Voraussetzung, dass die geschäftliche Handlung im (erweiterten) Betriebsorganismus des Franchise-Gebers stattgefunden haben muss, bejahte das Gericht unter Hinweis darauf, dass der Franchise-Geber als Systemzentrale zahlreiche Unterstützungs- und Beratungsleistungen erbringt, eine zentrale Webseite betreibt und sich zumindest im Bereich der Werbung und des Marketings Einflussmöglichkeiten durch den Erlass von Systemrichtlinien vorbehält.
Den Einwand, dass es dem Franchise-Geber gerade im Bereich der Preisgestaltung des Franchise-Nehmers kartellrechtlich untersagt sei, Einfluss zu nehmen, wies das Gericht mit dem Hinweis zurück, dass es bei der beanstandeten Maßnahme gerade nicht um die Preisgestaltung gegangen sei, sondern um die (wettbewerbswidrige) Umsetzung einer Preiserhöhung.
Auch wenn die Aktion unbestritten zu einer erheblichen Verärgerung bei den Kunden des Franchise-Nehmers geführt hat und eine Schädigung der Marke und des Rufs des Franchise-Systems darstellte, bejahte das Gericht das „Zugutekommen“ auch für den Franchise-Geber. Hier argumentiert das Gericht, dass der Franchise-Geber bei umsatzabhängigen laufenden Franchise-Gebühren mittelbar von erhöhten Mitgliedsbeiträgen des Franchise-Nehmers profitiert hätte. Dem ruf- und markenschädigenden Verhalten des Franchise-Nehmers könne der Franchise-Geber aufgrund der vertraglichen Verpflichtung des Franchise-Nehmers, gerade ein solches Verhalten zu unterlassen, Einhalt gebieten.
Die Einflussnahme des Franchise-Gebers auf die Tätigkeit des Franchise-Nehmers sieht das Landgericht darin, dass sich der Franchise-Geber vertraglich – und kartellrechtlich zulässig – die Vorgabe von Höchstpreisen vorbehalten habe.
Folgt man der Argumentation des Landgerichts Augsburg, wäre schon aufgrund der Verwirklichung lauterkeitsrechtlicher Tatbestandmerkale durch einen Franchise-Nehmer stets auch die Haftung des Franchise-Gebers gemäß § 8 Absatz 2 UWG anzunehmen. Dies ist kritisch zu sehen. Der Franchise-Geber ging im vorliegenden Fall in Berufung, die Entscheidung des OLG München bleibt abzuwarten.
Nach einer Einführung von Michael Bloch, Fachvorstand der DSAG für Lizenzen, Vertragswesen und Support, referiert TCI-Partner Dr. Michael Karger am 16.10.2024 auf dem DSAG-Jahreskongress in Leipzig zu SAP Cloud-Verträgen und Verträgen zu RISE with SAP. Themen sind u.a.:
- Grundstruktur von Cloud-Verträgen
- Herausforderungen: Umfang, Transparenz, Dynamik
- Vergütung: Zahlungskonditionen, Erhöhung
- Verfügbarkeit der Cloud Services und SLA
- Exit-Management, Cloud Switching und Data Act
- Datenschutz: Neues SAP DPA
- NIS-2-Richtlinie
- AI
- RISE: Stilllegung von On-Premise Software
- RISE: Guthaben als Transformation Incentive
In Anschluss: RISE with SAP – Was erwartet uns als Kunde? Vortrag von Michael Scheel, EnBw Energie Baden-Württemberg AG.
Und schließlich: Auf GruppenR(E)ISE mit der DSAG – Paneldiskussion zum Thema RISE und der vertraglichen Reise in die Cloud mit:
- Myrja Schumacher, HONICO Systems GmbH
- Florian Ascherl, EY GmbH & Co. KG
- Dr. Michael Karger, TCI Rechtsanwälte München
- Dr. Michael Sandmeier, Sandmeier Consulting GmbH
- Michael Scheel, EnBw Energie Baden-Württemberg AG
- Christine Grimm, DSAG-Fachvorständin Transformation & Sustainability
- Michael Bloch, DSAG-Fachvorstand für Lizenzen, Verträge und Support
- Moderation; Claus Krüsken
Hier der Link zum Programm des DSAG-Jahreskongresses: DSAG-Jahreskongress 2024 (plazz.net)
Dr. Thomas Stögmüller, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Informationstechnologierecht und Partner von TCI Rechtsanwälte München hält auf dem CulturiaCamp 2024 am 10. Oktober 2024 ein Impulsreferat zum Thema „Künstliche Intelligenz und deren Anwendung aus rechtlicher Sicht“. Das vom CommClubs Bayern e.V. durchgeführte CulturiaCamp 2024 steht unter dem Motto „Kommunikationswirtschaft X Künstliche Intelligenz“. 32 Talente aus allen Regionen Bayerns und allen Bereichen der Kommunikations- und Kreativwirtschaft kommen dabei für zwei Tage im Werksviertel München zusammen, um in interdisziplinären Teams realisierbare Lösungen zu finden. Nähere Informationen unter https://culturiacamp.com/.
Gemäß Art 82 Abs. 1 DSG-VO hat jede Person, der wegen eines Verstoßes gegen diese Verordnung ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist, Anspruch auf Schadenersatz.
In zwei Vorabentscheidungsersuchen hatte sich das Amtsgericht München an den EuGH gewandt, um die Auslegung von Art. 82 der DS-GVO zu klären, insbesondere in Bezug auf die Höhe des Schadensersatzes sowie die Definitionen von „immateriellem Schaden“ und „Identitätsdiebstahl bzw. -betrug“.
Mit dem nunmehr ergangenen Urteil vom 20.06.2024 in den Rechtssachen C‑182/22 und C‑189/22 (Scalable Capital GmbH) hat der EuGH seine Rechtsprechung zum Datenschutz-Schadensersatz erneut um einige Grundsätze angereichert, die sich wie folgt zusammenfassen lassen:
- Nicht jeder Verstoß gegen die DS-GVO führt zu einem Schadensersatzanspruch nach Art. 82 DS-GVO.
- Ein Schadensersatzanspruch nach Art. 82 DS-GVO setzt im Kern dreierlei voraus:
(1) einen Verstoß gegen die DSG-VO
(2) einen materiellen oder immateriellen „Schaden“
(3) einen Kausalzusammenhang zwischen dem Schaden und dem Rechtsverstoß
wobei alle drei Voraussetzungen kumulativ vorliegen müssen.
- Die Darlegungs- und Beweislast für diese drei Voraussetzungen liegt beim Anspruchsteller.
- Eine „Bagatellgrenze“, die überschritten sein muss, um einen Schadenersatzanspruch zu begründen, gibt es nicht.
- Ein abstrakter Kontrollverlust über Daten stellt nicht automatisch einen immateriellen Schaden im Sinne von § 82 DS-GVO dar. Hinzukommen muss zumindest eine objektiv begründete Befürchtung, dass die Daten, über die der Anspruchsteller die Kontrolle verloren hat, missbräuchlich verwendet wurden oder künftig verwendet werden.
- Der durch eine Verletzung des Datenschutzes verursachte Schaden ist seiner Natur nach nicht weniger schwerwiegend, als eine Körperverletzung.
- Art. 82 DS-GVO erfüllt keine Straf-, sondern eine Ausgleichsfunktion.
- Art 82 DS-GVO verlangt nicht, dass der Grad der Schwere oder eine etwaige Vorsätzlichkeit des Verstoßes bei der Bemessung der Höhe des Schadenersatzes zu berücksichtigen sind.
- Die nationalen Gerichte sind nicht gehindert, einen Schadenersatz in geringer Höhe zuzusprechen, wenn und soweit dieser Schadenersatz den jeweiligen Schaden in vollem Umfang ausgleicht.
- Art. 82 DS-GVO hindert den Verantwortlichen, dessen Haftung unterstellt wird, nicht, sich durch den Nachweis, dass ihm die Handlung, die den Schaden verursacht hat, nicht zurechenbar ist, zu exkulpieren.
- Der Begriff „Identitätsdiebstahl“ ist nur dann erfüllt, wenn ein Dritter die Identität einer Person, die von einem Datendiebstahl betroffen ist, tatsächlich angenommen hat. Jedoch ist ein Schadensersatz nicht nur auf Fälle beschränkt, in denen der Datendiebstahl nachweislich zu einem Identitätsdiebstahl oder ‑betrug geführt hat.
Diese (erweiterten) Grundsätze werden sich – wie üblich zeitversetzt – in den Entscheidungen der nationalen Gerichte, insbesondere auch der Arbeitsgerichte, widerspiegeln. Aktuelle Beispiele hierfür sind:
- LAG Nürnberg vom 25.1.2023 – 4 Sa 201/22 („Die verspätete Auskunftserteilung auf ein Verlangen nach Art. 15 Abs. 1 DSGVO stellt als solche keinen immateriellen Schaden dar“).
- LAG Baden-Württemberg vom 05.03.2024 – 15 Sa 45/23 („Allein der Kontrollverlust über Daten stellt nicht automatisch einen immateriellen Schaden im Sinne von § 82 DS-GVO dar“).
- LAG Düsseldorf vom 07.03.2024 – 11 Sa 808/23 („Nicht jeder Verstoß gegen Auskunftsansprüche aus der DSGVO verursacht „automatisch“ einen Schaden“).
Fazit: Das Urteil des EuGH vom 20.06.2024 verdeutlicht, dass die Anforderungen an die Geltendmachung und Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen in Fällen von DS-GVO-Verstößen nicht zu unterschätzen sind. Andererseits besteht kein Grund zur Annahme, dass es bei § 82 DS-GVO nur um „symbolische“ Beträge geht.
Die govdigital eG hat mit Unterstützung durch TCI Rechtsanwälte erfolgreich das „Cloud-Broker“-Verfahren beendet und den Zuschlag an die Business Technology Consulting AG (BTC) erteilt.Die Genossenschaft der öffentlichen IT-Dienstleister mit 28 Mitgliedern erhält dadurch Zugriff auf das Serviceportfolio sowohl der „Hyperscaler“ Amazon Web Services (AWS), Google Cloud und Microsoft Azure als auch der nationalen Cloud-Provider IONOS und StackIT.
Der Cloud Broker-Ansatz ermöglicht es den govdigital-Mitgliedern und deren Trägern, je nach spezifischem Projektbedarf die Services eines oder mehrerer Anbieter auszuwählen. Dadurch wird einem „Lock-In-Effekt“ zugunsten einzelner Provider entgegengewirkt. Die Abrechnungsprozesse bleiben dabei aufgrund des einheitlichen Vertragspartners dennoch vergleichsweise schlank. Über ein zentrales Broker-Portal können die Mitglieder jederzeit Einsicht in Reporting- und Abrechnungsdaten nehmen sowie die Zugänge zu den einzelnen Anbietern verwalten.
Mit einem geschätzten Auftragswert von 256.000.000 EUR handelte es sich bei dem Cloud-Broker-Verfahren der govdigital eG um eine der bislang größten Cloud-Ausschreibungen im Bundesgebiet. Zu den Trägern der öffentlichen IT-Dienstleister zählen zahlreiche Gebietskörperschaften und damit Behörden auf Bundes-, Länder- und Kommunalebene, sodass die Ausschreibung einen wesentlichen Meilenstein für die Digitalisierung der Verwaltung darstellt. Das u.a. auf große Vergabeverfahren im IT-Bereich spezialisierte Berliner Büro der TCI Rechtsanwälte (www.tcilaw.de) hat die govdigital eG bei der Konzeption und Durchführung der Ausschreibung sowie als externe Vergabestelle unterstützt.
Der amerikanische Fachverlag „Best Lawyers“ hat für das Handelsblatt die besten Wirtschaftsanwältinnen und -anwälte ermittelt. Unsere Münchner Partnerin Ruth Dünisch wurde dabei erneut als „Lawyer of the Year“ im Bereich Franchise-Recht (Bayern) geehrt. Aber auch 8 weitere Partnerinnen und Partner wurden ausgezeichnet.
Der Verlag „Best Lawyers“ ermittelt weltweit die renommiertesten Anwälte und Kanzleien in einem umfangreichen Peer-to-Peer Verfahren. Dabei werden Wirtschaftsanwälte gefragt, welche Wettbewerber sie besonders empfehlen können.
Basierend auf dem so entstandenen Best Lawyers Rating veröffentlichte das Handelsblatt am 13. Juni 2024 die besten Anwältinnen, Anwälte und Kanzleien des Jahres 2024 aus Deutschland. Juristen mit einer aktuell herausragenden Marktstellung finden sich unter den „Anwälten des Jahres 2024“.
Ruth Dünisch ist Anwältin des Jahres im Bereich Franchiserecht
Ruth Dünisch ist dort erneut als einzige Anwältin für den Bereich „Franchiserecht“ gelistet.
„Es ist für mich eine große Ehre, dass ich erneut als Anwältin des Jahres im Bereich Franchiserecht ausgezeichnet wurde. Dies spiegelt auch die Anerkennung aus dem Kollegenkreis und die Wahrnehmung im Rechtsmarkt wider. Ich freue mich sehr über diese Anerkennung und danke allen Kolleginnen und Kollegen für ihre Empfehlung“, sagt Ruth Dünisch.
Weitere TCI-Partnerinnen und Partner ausgezeichnet
Neben der Auszeichnung als Anwältin des Jahres ist Ruth Dünisch auch in der Kategorie Beste Anwälte ausgezeichnet.
Aber auch andere Partnerinnen und Partner von TCI sind als Beste Anwälte ausgezeichnet:
- Carsten Gerlach (Berlin) im IT-Recht
- Dr. Truiken J. Heydn (München) in den Bereichen Schiedsverfahren/Streitbeilegung/Mediation, IT-Recht, Gewerblicher Rechtsschutz und Internationales Schiedsverfahren sowie Konfliktlösung, Medien- und Urheberrecht, Produkthaftung
- Dr. Michael Karger (München) im IT-Recht
- Harald Krüger (München) im Arbeitsrecht
- Stephan Schmidt (Mainz) in den Gebieten IT-Recht, Datenschutzrecht, Technologierecht
- Dr. Andreas Stadler (München) im IT-Recht
- Dr. Thomas Stögmüller (München) im Datenschutzrecht, IT-Recht sowie Telekommunikationsrecht
- Christian Welkenbach (Mainz) im IT-Recht
Lawyer of the Year der vergangenen Jahre
Mit der Empfehlung „Lawyer of the year“ wurden in der Vergangenheit bereits mehrere Partnerinnen und Partner von TCI Rechtsanwälte ausgezeichnet:
- 2023: Ruth Dünisch – Franchise-Recht (Bayern)
- 2022: Dr. Michael Karger – Information Technology Law (Bayern)
- 2018: Dr. Truiken J. Heydn – International Arbitration (Bayern)
- 2014-2015: Stephan Schmitt – Information Technology Law (Frankfurt am Main)
- 2013: Dr. Truiken J. Heydn – Litigation (München)
- 2012: Andreas Stadler – Information Technology Law (München)
Die vollständige Liste mit allen ausgezeichneten Anwälten in Deutschland können Sie hier im Handelsblatt einsehen.
Streiten sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber um Entgeltfortzahlung, geht es im Kern zumeist um die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AUB) und ihren Beweiswert. So auch in einem jüngst vom BAG entschiedenen Fall (Urteil vom 13.12.2023 – 5 AZR 137/23, zu dem bislang nur die Pressemitteilung vorliegt), der Anlass gibt, sich an folgende Grundsätze zu erinnern:
1. Die AUB ist das gesetzlich ausdrücklich vorgesehene und insoweit wichtigste Beweismittel des Arbeitnehmers für das Vorliegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit ist (BAG 8.9.2021 – 5 AZR 149/21).
2. Eine AUB begründet aber keine gesetzliche Vermutung einer tatsächlich bestehenden Arbeitsunfähigkeit i.S.d. § 292 ZPO mit der Folge, dass nur der Beweis des Gegenteils zulässig wäre (BAG 8.9.2021 – 5 AZR 149/21).
3. Die Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie (AU-RL, zuletzt geändert am 7.12.2023) ist für Arbeitnehmer und Arbeitgeber als Parteien des Arbeitsverhältnisses nicht verbindlich.
Dennoch können Verstöße gegen Regelungen der AU-RL, die auf medizinischen Erkenntnissen zur sicheren Feststellbarkeit der Arbeitsunfähigkeit beruhen, nach den Umständen des Einzelfalls geeignet sein, den Beweiswert einer AUB im Rahmen der nach § 286 ZPO vorzunehmenden Beweiswürdigung zu erschüttern (BAG Urt. v. 28.6.2023 – 5 AZR 335/22).
Gemeint sind insbesondere die folgenden Regelungen:
- Die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit setzt die Befragung der oder des Versicherten durch die Vertragsärztin oder den Vertragsarzt zur aktuell ausgeübten Tätigkeit und den damit verbundenen Anforderungen und Belastungen voraus (§ 2 Abs. 5 AU-RL).
- Die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit darf nur auf Grund einer ärztlichen Untersuchung erfolgen. Diese erfolgt unmittelbar persönlich oder mittelbar persönlich im Rahmen einer Videosprechstunde oder nach telefonischer Anamnese nach Maßgabe von Absatz 5a. (§ 4 Abs. 5 AU-RL).
- Die Arbeitsunfähigkeit soll für eine vor der ersten ärztlichen Inanspruchnahme liegende Zeit grundsätzlich nicht bescheinigt werden. Eine Rückdatierung des Beginns der Arbeitsunfähigkeit auf einen vor dem Behandlungsbeginn liegenden Tag ist ebenso wie eine rückwirkende Bescheinigung über das Fortbestehen der Arbeitsunfähigkeit nur ausnahmsweise und nur nach gewissenhafter Prüfung und in der Regel nur bis zu drei Tagen zulässig (§ 5 Abs. 3 AU-RL).
- Die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit soll nicht für einen mehr als zwei Wochen im Voraus liegenden Zeitraum bescheinigt werden (§ 5 Abs. 4 AU-RL).
4. Der Beweiswert einer AUB kann demnach erschüttert sein, wenn
- der Arzt den Arbeitnehmer vor der Ausstellung der AUB nicht untersucht (BAG, 11.8.1976 – 5 AZR 422/75);
- der Arzt die AUB entgegen der Vorgaben der AU-RL zurückdatiert (LAG Köln, 21.11.2003 – 4 Sa 588/03; LAG Rheinland-Pfalz, 13.1.2015 – 8 Sa 373/14).
5. Der Beweiswert einer AUB ist außerdem erschüttert, wenn nach Maßgabe eines verständigen Arbeitgebers Tatsachen vorhanden sind, die erhebliche Zweifel an der tatsächlichen Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers belegen.
Dies kann z.B. der Fall sein, wenn
- der arbeitsunfähige Arbeitnehmer nach Zugang der Kündigung des Arbeitgebers eine oder mehrere Folgebescheinigungen vorlegt, die passgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfassen, und er unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine neue Beschäftigung aufnimmt (BAG, 13.12.2023 – 5 AZR 137/23);
- ein Arbeitnehmer zeitgleich mit seiner Eigenkündigung eine solche Bescheinigung einreicht, die passgenau die noch verbleibende Dauer des Arbeitsverhältnisses abdeckt (BAG, 8.9.2021 – 5 AZR 149/21);
- der Arbeitnehmer seine “Krankmeldung” ankündigt (LAG Köln, 17.4.2002 – 7 Sa 462/01);
- der Arbeitnehmer während der Arbeitsunfähigkeit einer Nebenbeschäftigung bei einem anderen Arbeitgeber nachgeht (BAG, 26.8.1993 – 2 AZR 154/93);
- der Arbeitnehmer Freizeitaktivitäten nachgeht, die mit der Arbeitsunfähigkeit nur schwer in Einklang zu bringen sind (BAG, 2.3.2006 – 2 AZR 53/05 (Skiurlaub trotz Hirnhautentzündung);
Arbeitsunfähigkeit ist aber nicht gleichzusetzen mit Bettlägerigkeit oder häuslicher Ruhe. Es kommt allein darauf an, ob der Arbeitnehmer in der Lage ist, seine Arbeit auszuüben, nicht, ob er einkaufen, spazieren gehen, Sport treiben, Freunde treffen oder ins Kino gehen kann.
Millionen Arbeitnehmer haben sie bereits erhalten: eine steuer- und abgabenfreie „Inflationsausgleichsprämie“ (IAP). Alle anderen bleibt noch bis zum 31.12.2024 die Hoffnung, dass ihnen ihr Arbeitgeber zur Abmilderung der gestiegenen Verbraucherpreise freiwillig bis zu 3.000.- Euro zusätzlich zum Arbeitslohn gewährt.
Da die Halbzeit des Begünstigungszeitraums bald erreicht ist, ziehen wir eine kurze Zwischenbilanz:
1. Die IAP wird flächendeckend umgesetzt, von unzähligen kleinen Betrieben bis hin zu den Dax-Konzernen. Die Voraussetzungen und Gestaltungsoptionen sind dabei weitgehend geklärt und bekannt:
- Die IAP muss zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn gewährt werden. Dies ist gemäß § 8 Abs. 4 Satz 1 EStG (nur) der Fall, wenn
1. die Leistung nicht auf den Anspruch auf Arbeitslohn angerechnet,
2. der Anspruch auf Arbeitslohn nicht zugunsten der Leistung herabgesetzt,
3. die verwendungs- oder zweckgebundene Leistung nicht anstelle einer bereits vereinbarten künftigen Erhöhung des Arbeitslohns gewährt und
4. bei Wegfall der Leistung der Arbeitslohn nicht erhöht wird.
Somit darf (z.B.) ein vereinbartes Weihnachts- oder Urlaubsgeld nicht in eine IAP „umgewidmet“ werden.
- Begünstigt sind nur Leistungen an Arbeitnehmer. Für Leistungen an freie Mitarbeiter oder arbeitnehmerähnliche Selbständige sieht § 3 Nummer 11c EStG keine Steuerfreiheit vor.
- Schwankungen des Verbraucherpreisindex bzw. der Inflationsrate während des Begünstigungszeitraums sind irrelevant. Fragen der individuellen Betroffenheit des einzelnen Arbeitnehmers oder der Angemessenheit der Leistung spielen ebenfalls keine Rolle.
- Antworten auf zahlreiche weitere Fragen finden sich in den vom Bundesministerium der Finanzen erstellten „FAQ zur Inflationsausgleichsprämie gemäß § 3 Nr. 11c EStG“ i.d.F. vom 24.05.2023 (abrufbar unter https://www.bundesfinanzministerium.de).
2. Weiterhin nicht abschließend geklärt ist insb., ob und inwieweit
- es arbeitsrechtlich zulässig ist, die IAP an bestimmte Auszahlungs- oder Rückzahlungsbedingungen wie z.B. bestandene Probezeit, ungekündigtes Arbeitsverhältnis, Betriebstreue, etc. zu knüpfen. – Dass solche Bedingungen steuerunschädlich sind, steht zumindest fest.
- die IAP der Pfändung unterliegt. – Nach Auffassung des AG Köln (Beschl. vom 4.1.2023 – 70 k IK 226/20) soll die IAP dem Pfändungsschutz des § 850c ZPO unterliegen, weil sie das Kriterium einer „wiederkehrend zahlbaren Vergütung für persönlich geleistete Arbeiten“ erfüllt.
ist nach einer aktuellen Entscheidung des LAG Köln vom 20.10.2022 – 8 Sa 465/22 um eine Facette reicher geworden:
Ein Arbeitnehmer war wiederholt zu spät zur Arbeit erschienen. Der Arbeitgeber hat jedoch nicht auf jeden einzelnen Verstoß unmittelbar reagiert, sondern erst abgewartet, dann drei Verspätungen gleichzeitig abgemahnt, und die nächste Verspätung dann zum Anlass für die Kündigung genommen.
Keine gute Idee, wie sich herausstellte.
Die drei Abmahnungen, so das LAG Köln, entsprechen bzgl. ihrer Warnfunktion einer (!) Abmahnung – und unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes hätte es vor dem Ausspruch der Kündigung einer weiteren vierten (einschlägigen) Abmahnung bedurft.
Was daraus folgt, ist einmal mehr die Erkenntnis, dass sich die Warnfunktion einer Abmahnung derart abschwächen kann, dass eine Kündigung nicht mehr ohne weiteres möglich ist.
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat mit Urteil vom 13.09.2022 – 1 ABR 22/21 entschieden, dass der Arbeitgeber nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG verpflichtet, ein System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann. Bei unionsrechtskonformer Auslegung dieser Vorschrift ist er gesetzlich verpflichtet, die Arbeitszeiten der Arbeitnehmer zu erfassen.
Bereits am 14. Mai 2019 hatte der EuGH entschieden (C-55/18), dass die Mitgliedstaaten die Arbeitgeber verpflichten müssen, ein System einzurichten, mit dem die tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann.
Sowohl der deutsche Gesetzgeber als auch die allgemeine Praxis sind bis zuletzt davon ausgegangen, dass es noch keine entsprechende gesetzliche Verpflichtung im nationalen Recht gibt, die Arbeitgeber in Deutschland dazu verpflichtet. Das Bundesarbeitsministerium arbeitet daher bereits an einer gesetzlichen Vorlage. Anders sieht es das BAG, das in § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG genau diese Verpflichtung sieht.
Arbeitgeber dürfen deshalb nicht mehr eine spezialgesetzliche Regelung abwarten. Die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung besteht ab sofort. Wie weit diese Pflicht geht, ist noch nicht ersichtlich, da aktuell nur eine Pressemeldung des BAG-Urteils veröffentlicht wurde. Es bleibt abzuwarten, ob die Entscheidungsgründe mehr Informationen dazu geben werden.
Ein geeignetes System ist ab sofort einzuführen. Dabei dürfte es egal sein, ob dies auf Papier, mittels Stechkartensystem oder einfach mit einer excel-Tabelle erfolgt. Möglich dürfte es auch sein, dem Arbeitnehmer im Rahmen des Direktionsrechts anzuweisen, die Arbeitszeiten jeden Tag in diesem System zu erfassen. Wie weit eine etwaige Überprüfungspflicht des Arbeitgebers geht und welche konkreten Auswirkungen dieses Urteil auf Vertrauensarbeitszeit, Home-Office und mobiles Arbeiten hat, kann noch nicht abschließend gesagt werden.
Wir werden hierauf zurückkommen, sobald die Entscheidungsgründe des BAG vorliegen.