Die Inflationsausgleichsprämie – eine Halbzeit-Bilanz

Millionen Arbeitnehmer haben sie bereits erhalten: eine steuer- und abgabenfreie „Inflationsausgleichsprämie“ (IAP). Alle anderen bleibt noch bis zum 31.12.2024 die Hoffnung, dass ihnen ihr Arbeitgeber zur Abmilderung der gestiegenen Verbraucherpreise freiwillig bis zu 3.000.- Euro zusätzlich zum Arbeitslohn gewährt.  

Da die Halbzeit des Begünstigungszeitraums bald erreicht ist, ziehen wir eine kurze Zwischenbilanz:

1.    Die IAP wird flächendeckend umgesetzt, von unzähligen kleinen Betrieben bis hin zu den Dax-Konzernen. Die Voraussetzungen und Gestaltungsoptionen sind dabei weitgehend geklärt und bekannt:

  • Die IAP muss zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn gewährt werden. Dies ist gemäß § 8 Abs. 4 Satz 1 EStG (nur) der Fall, wenn

1. die Leistung nicht auf den Anspruch auf Arbeitslohn angerechnet,

2. der Anspruch auf Arbeitslohn nicht zugunsten der Leistung herabgesetzt,

3. die verwendungs- oder zweckgebundene Leistung nicht anstelle einer bereits vereinbarten künftigen Erhöhung des Arbeitslohns gewährt und

4. bei Wegfall der Leistung der Arbeitslohn nicht erhöht wird.

Somit darf (z.B.) ein vereinbartes Weihnachts- oder Urlaubsgeld nicht in eine IAP „umgewidmet“ werden.

  • Begünstigt sind nur Leistungen an Arbeitnehmer. Für Leistungen an freie Mitarbeiter oder arbeitnehmerähnliche Selbständige sieht § 3 Nummer 11c EStG keine Steuerfreiheit vor.
  • Schwankungen des Verbraucherpreisindex bzw. der Inflationsrate während des Begünstigungszeitraums sind irrelevant. Fragen der individuellen Betroffenheit des einzelnen Arbeitnehmers oder der Angemessenheit der Leistung spielen ebenfalls keine Rolle.
  • Antworten auf zahlreiche weitere Fragen finden sich in den vom Bundesministerium der Finanzen erstellten „FAQ zur Inflationsausgleichsprämie gemäß § 3 Nr. 11c EStG“ i.d.F. vom 24.05.2023 (abrufbar unter https://www.bundesfinanzministerium.de).

2.    Weiterhin nicht abschließend geklärt ist insb., ob und inwieweit

  • es arbeitsrechtlich zulässig ist, die IAP an bestimmte Auszahlungs- oder Rückzahlungsbedingungen wie z.B. bestandene Probezeit, ungekündigtes Arbeitsverhältnis, Betriebstreue, etc. zu knüpfen.  – Dass solche Bedingungen steuerunschädlich sind, steht zumindest fest.
  • die IAP der Pfändung unterliegt.  – Nach Auffassung des AG Köln (Beschl. vom 4.1.2023 – 70 k IK 226/20) soll die IAP dem Pfändungsschutz des § 850c ZPO unterliegen, weil sie das Kriterium einer „wiederkehrend zahlbaren Vergütung für persönlich geleistete Arbeiten“ erfüllt.
Aktuelles zur Bewertung von Konzepten im Vergabeverfahren

Die Abfrage von Konzepten im Vergabeverfahren bietet die Möglichkeit, Aspekte der Qualität und Innovationsfähigkeit besser berücksichtigen zu können, wenn die Wirtschaftlichkeit nicht allein anhand konkreter Leistungsmerkmale und des Preises beurteilt werden kann oder soll. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn bestimmte Aspekte der Leistung einen hohen Grad an Fachkunde und Kreativität des Bieters und/oder eine intensive Auseinandersetzung mit konkreten Besonderheiten des Auftraggebers erfordert (z.B. bei der Ausschreibung eines komplexen und auf die individuellen Kundenbedürfnisse anzupassenden IT-Fachverfahrens).

Die Gestaltung von Konzeptkriterien sowie die Bewertung eingereichter Konzepte der Bieter gehören jedoch zu den schwierigeren Aufgaben bei der Vorbereitung und Durchführung umfangreicher Vergabeverfahren. Eine aktuelle Entscheidung der Vergabekammer Westfalen (Beschluss vom 01.02.2023 – VK 1-49/22) verdeutlicht, dass insbesondere eine in sich schlüssige und transparente Methodik und Dokumentation bei der Bewertung von Konzepten unabdingbar ist.

Der Beschluss der Vergabekammer Westfalen vom 01.02.2023 – VK 1-49/22

Die Vergabekammer Westfalen hatte über einen Nachprüfungsantrag eines Bieters zu entscheiden, der mit der Bewertung seines Konzepts zur Betreuung und Beratung von Flüchtlingen nicht einverstanden war. Die Auftraggeberin, eine nordrhein-westfälische Universitätsstadt, hatte Beratungs- und Betreuungsdienstleistungen im Zusammenhang mit Flüchtlingen ausgeschrieben. Dabei sollten Bieter u.a. ein „Konzept zur Betreuung und Beratung“ einreichen.

Zur Bewertung des Konzepts wurde mit den Vergabeunterlagen ein abgestufter Erwartungshorizont veröffentlicht. Maßgeblich war danach, ob die Ausführungen des Bieters nachvollziehbar sind und „inhaltlich mit Blick auf die beschriebene Zielsetzung eine zuverlässige und kompetente Betreuung und Beratung der zugewanderten Menschen in jeder Hinsicht erwarten lassen“.

Der Antragsteller hatte im Gegensatz zum erstplatzierten Bieter (dem Beigeladenen) nicht die volle Punktzahl für das eingereichte Konzept erhalten. Der Antragsteller war der Auffassung, dass sein Konzept nicht nachvollziehbar bewertet worden sei und dass die Auftraggeberin gegen das Transparenzgebot verstoßen habe. Er beantragte daher die Aufhebung des Zuschlagsbeschlusses und die Neubewertung seines Konzepts.

Die Vergabekammer wies den Antrag zurück. Allerdings seien nicht alle Bewertungsaspekte in einer den Anforderungen des § 8 VgV genügenden Form vollständig in der Vergabeakte dokumentiert worden. Sowohl bei den Konzepten des Antragsstellers als auch der Beigeladenen erlaube die Dokumentation der Bewertung durch die Antragsgegnerin keine Überprüfung der vorgenommenen Bewertung für bestimmte Konzeptteile. Weder das Bewertungsprotokoll noch die im Verfahren ergänzten Erwägungen würden durchgehend nachvollziehbar erkennen lassen, welche Vor- und Nachteile der einzelnen Angebote die Antragsgegnerin gegenübergestellt habe.

Diese Mängel seien aber letztlich nicht ausschlaggebend, da der Antragsteller nicht in eine realistische Zuschlagsnähe käme. Im Übrigen sei die Bewertung vertretbar, in sich konsistent und nachvollziehbar anhand der aufgestellten Bewertungskriterien bewertet worden.

Bedeutung der Entscheidung für Vergabestellen

Auch wenn die Entscheidung hier zugunsten der öffentlichen Auftraggeberin ausgefallen ist, verdeutlicht sie die Bedeutung einer in sich schlüssigen und transparenten Methodik und Dokumentation bei der Bewertung von Konzepten. Insbesondere die festgestellten Dokumentationsmängel hinsichtlich einzelner Bewertungsaspekte hätten bei einem engeren Abstand zwischen den beteiligten Bietern zu einer Aufhebung des Vergabeverfahrens durch die Vergabekammer führen können.

Bereits in der Vorbereitung einer Ausschreibung sollten daher hinsichtlich ggf. geforderter Bieterkonzepte frühzeitig Überlegungen zu den folgenden Aspekten erfolgen:

Welche inhaltlichen Aspekte sollen in den Konzepten jeweils aufgegriffen werden?

Zwar müssen und sollten den Bietern nicht sämtliche inhaltlichen Einzelheiten eines Konzepts vorgegeben werden. Im Rahmen der Konzepte sollen im Regelfall gerade auch die Kreativität des Bieters und die Fähigkeit zur Schwerpunktsetzung unter Berücksichtigung der konkreten Maßgaben der Leistungsbeschreibung bewertet werden. Allerdings ist für eine Vergleichbarkeit der eingereichten Konzepte und für eine Transparenz der Bewertung erforderlich, dass die wesentlichen zu betrachtenden Fragen klar aus den Vergabeunterlagen hervorgehen. Dabei kann und sollte auch auf weitere Inhalte Leistungsbeschreibung Bezug genommen werden.

Welche Aspekte sollen für die Bewertung der Konzepte heranzogen werden?

Im Hinblick auf die Bewertung des Konzepts hat der Auftraggeber einen weiten Beurteilungsspielraum. Nach der Rechtsprechung kann grundsätzlich sogar auf eine konkrete Darstellung von Bewertungsaspekten insgesamt verzichtet werden und z.B. anhand von Schulnoten bewertet werden. Dies führt aber umgekehrt zu deutlich höheren Anforderungen hinsichtlich der Dokumentation der eigentlichen Bewertungsentscheidungen (s.u.).

Um die vergaberechtliche Angreifbarkeit der Wertungsentscheidungen zu reduzieren und die Bewertung transparenter zu gestalten, sollten u.E. im Regelfall bereits in den Vergabeunterlagen bestimmte inhaltliche Qualitätsmerkmale definiert werden, die für die Bewertung der Konzepte ausschlaggebend sind. Dies hat auch den praktischen Vorteil, dass Bieter mit Rügen hinsichtlich der Bewertungsmethodik und der konkreten Qualitätsmerkmale selbst im späteren Verfahren präkludiert sind, da diese Aspekte bereits innerhalb der Rügefrist nach § 160 Abs. 3 GWB, d.h. im Regelfall bereits kurz nach Veröffentlichung der Unterlagen gerügt werden müssten.

Möglich und in der Praxis verbreitet ist etwa die Bereitstellung eines Erwartungshorizonts mit bestimmten qualitativen Mindestanforderungen je Notenstufe bzw. Punktespanne (z.B. 0 – 3 Punkte, 4 – 7 Punkte, 8 – 10 Punkte). Die Bewertungsaspekte sollten allerdings einen hinreichenden Bewertungsspielraum des Auftraggebers beibehalten. Insbesondere sollte vermieden werden, die Bewertung lediglich daran zu knüpfen, dass bestimmte Aspekte in dem Konzept enthalten sind. Eine echte qualitative Differenzierung ist in diesem Fall kaum noch möglich.

Bei der späteren Auswertung der Angebote ist im Hinblick auf die eingereichten Konzepte insbesondere folgendes zu beachten:

  • Die tatsächliche Bewertung muss sich eng an der in den Vergabeunterlagen festgelegten Methodik orientieren. Insbesondere müssen die Bewertungsentscheidungen auf Basis der veröffentlichen Bewertungsmaßstäbe erfolgen. Für die Bieter dürfen die für die Wertung herangezogenen Aspekte im Hinblick auf das Transparenzgebot nicht überraschend sein.
  • Auch im Übrigen muss die Begründung der Bewertung in einem sachlichen Zusammenhang zum konkreten Leistungsgegenstand stehen. Liegen objektiv sachfremde Erwägungen der Wertungsentscheidung zugrunde, ist der Beurteilungsspielraums des Auftraggebers überschritten.
  • Die Entscheidung der VK Westfalen verdeutlicht zudem, dass im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens sämtliche Aspekte, die zu einer Auf- oder Abwertung des Konzepts geführt haben, nachvollziehbar aus der Vergabeakte hervorgehen müssen. Dies gilt umso mehr, je weniger konkret die Bewertungsmaßstäbe in den Vergabeunterlagen dargelegt wurde. Die Erwägungen können zwar im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens noch ergänzt werden, eine gänzlich unzureichende oder nicht nachvollziehbare Dokumentation lässt sich aber in diesem Stadium nicht mehr heilen.
  • Inhaltlich ist zudem erforderlich, dass die eingereichten Konzepte auch zueinander ins Verhältnis gesetzt werden. Die Bewertung eines Konzepts erfolgt nie rein isoliert, sondern auch unter Berücksichtigung der Vor- und Nachteile gegenüber den anderen eingereichten Konzepten. Im Hinblick auf das Gleichbehandlungsgebot ist zudem entscheidend, dass Aspekte, die bei dem Konzept eines Bieters zur Auf- oder Abwertung geführt haben, auch gleichermaßen bei der Bewertung der weiteren Konzepte berücksichtigt werden.

Bei Berücksichtigung dieser Maßgaben kann die Abfrage von Konzepten insbesondere bei komplexen Ausschreibungsgegenständen ein entscheidendes Mittel sein, um die inhaltliche Qualität der Angebote besser einschätzen und bewerten zu können und so „die Spreu vom Weizen zu trennen“.

<strong>Das ewige Problem mit den Abmahnungen</strong>

ist nach einer aktuellen Entscheidung des LAG Köln vom 20.10.2022 – 8 Sa 465/22 um eine Facette reicher geworden:

Ein Arbeitnehmer war wiederholt zu spät zur Arbeit erschienen. Der Arbeitgeber hat jedoch nicht auf jeden einzelnen Verstoß unmittelbar reagiert, sondern erst abgewartet, dann drei Verspätungen gleichzeitig abgemahnt, und die nächste Verspätung dann zum Anlass für die Kündigung genommen.

Keine gute Idee, wie sich herausstellte.

Die drei Abmahnungen, so das LAG Köln, entsprechen bzgl. ihrer Warnfunktion einer (!) Abmahnung – und unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes hätte es vor dem Ausspruch der Kündigung einer weiteren vierten (einschlägigen) Abmahnung bedurft.

Was daraus folgt, ist einmal mehr die Erkenntnis, dass sich die Warnfunktion einer Abmahnung derart abschwächen kann, dass eine Kündigung nicht mehr ohne weiteres möglich ist.

Bundesarbeitsgericht verpflichtet Arbeitgeber zur Arbeitszeiterfassung

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat mit Urteil vom 13.09.2022 – 1 ABR 22/21 entschieden, dass der Arbeitgeber nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG verpflichtet, ein System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann. Bei unionsrechtskonformer Auslegung dieser Vorschrift ist er gesetzlich verpflichtet, die Arbeitszeiten der Arbeitnehmer zu erfassen.

Bereits am 14. Mai 2019 hatte der EuGH entschieden (C-55/18), dass die Mitgliedstaaten die Arbeitgeber verpflichten müssen, ein System einzurichten, mit dem die tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann.

Sowohl der deutsche Gesetzgeber als auch die allgemeine Praxis sind bis zuletzt davon ausgegangen, dass es noch keine entsprechende gesetzliche Verpflichtung im nationalen Recht gibt, die Arbeitgeber in Deutschland dazu verpflichtet. Das Bundesarbeitsministerium arbeitet daher bereits an einer gesetzlichen Vorlage.  Anders sieht es das BAG, das in § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG genau diese Verpflichtung sieht.

Arbeitgeber dürfen deshalb nicht mehr eine spezialgesetzliche Regelung abwarten. Die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung besteht ab sofort. Wie weit diese Pflicht geht, ist noch nicht ersichtlich, da aktuell nur eine Pressemeldung des BAG-Urteils veröffentlicht wurde. Es bleibt abzuwarten, ob die Entscheidungsgründe mehr Informationen dazu geben werden.

Ein geeignetes System ist ab sofort einzuführen. Dabei dürfte es egal sein, ob dies auf Papier, mittels Stechkartensystem oder einfach mit einer excel-Tabelle erfolgt. Möglich dürfte es auch sein, dem Arbeitnehmer im Rahmen des Direktionsrechts anzuweisen, die Arbeitszeiten jeden Tag in diesem System zu erfassen. Wie weit eine etwaige Überprüfungspflicht des Arbeitgebers geht und welche konkreten Auswirkungen dieses Urteil auf Vertrauensarbeitszeit, Home-Office und mobiles Arbeiten hat, kann noch nicht abschließend gesagt werden.

Wir werden hierauf zurückkommen, sobald die Entscheidungsgründe des BAG vorliegen.

Änderungen durch das neue Nachweisgesetz

Die Änderung des Nachweisgesetzes erfolgte zur Umsetzung der EU-Richtlinie über transparente und verlässliche Arbeitsbedingungen. Ziel dieser Richtlinie ist es eine transparente und vorhersehbare Beschäftigung zu fördern und zugleich die Anpassungsfähigkeit des Arbeitsmarktes zu gewährleisten.

I. Rechtslage bis 31.07.2022

Bis 31.07.2022 hatten Arbeitgeber folgende wesentliche Vertragsbedingungen innerhalb eines Monats schriftlich niederzulegen und dem Arbeitnehmer auszuhändigen. Ausgenommen hiervon waren Arbeitnehmer, die zur vorübergehenden Aushilfe von höchstens einem Monat eingestellt wurden.

  • Name und Anschrift der Vertragsparteien
  • Zeitpunkt des Beginns des Arbeitsverhältnisses
  • Dauer des Arbeitsverhältnisses bei Befristung
  • Arbeitsort
  • Bezeichnung oder Beschreibung der Tätigkeit
  • Zusammensetzung und Höhe des Arbeitsentgelts
  • Arbeitszeit
  • Dauer des jährlichen Erholungsurlaubs
  • Kündigungsfristen
  • Allgemeiner Hinweis auf Tarifverträge, Betriebs- und Dienstvereinbarungen, die auf das Arbeitsverhältnis anwendbar sind.

Kam der Arbeitgeber dieser Pflicht nicht nach, konnte der Arbeitnehmer eine den Anforderungen des Nachweisgesetztes genügende Niederschrift über die wesentlichen Vertragsbedingungen vom Arbeitgeber verlangen. Im Einzelfall kam ein Schadenersatzanspruch des Arbeitnehmers in Betracht, soweit ihm aus dem Pflichtverstoß des Arbeitgebers ein unmittelbarer finanzieller Schaden entstanden war. Bußgeldbewährt war ein Verstoß des Arbeitgebers gegen das Nachweisgesetz bislang nicht.

II. Neue Rechtslage seit dem 01.08.2022

Seit dem 01. August 2022 umfasst der Anwendungsbereich des Nachweisgesetzes alle Arbeitnehmer. Die Ausnahme für vorübergehend und kurzzeitig beschäftigte Aushilfen entfällt.

Arbeitgeber sind verpflichtet, zusätzlich zu den o.g. Bedingungen folgende Bedingungen schriftlich niederzulegen:

  • Enddatum des Arbeitsverhältnisses
  • Ggf. freie Wahl des Arbeitsorts durch den Arbeitnehmer
  • Sofern vereinbart, die Dauer der Probezeit
  • Die Zusammensetzung und die Höhe des Arbeitsentgelts einschließlich der Vergütung von Überstunden, der Zuschläge, der Zulagen, Prämien und Sonderzahlungen sowie anderer Bestandteile des Arbeitsentgelts, die jeweils getrennt anzugeben sind und deren Fälligkeit sowie die Art der Auszahlung
  • Die vereinbarte Arbeitszeit, vereinbarte Ruhepausen und Ruhezeiten sowie bei vereinbarter Schichtarbeit das Schichtsystem, der Schichtrhythmus und die Voraussetzungen für Schichtänderungen
  • Sofern vereinbart, die Möglichkeit der Anordnung von Überstunden und deren Voraussetzungen
  • Ein etwaiger Anspruch auf vom Arbeitgeber bereitgestellte Fortbildung
  • Wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine betriebliche Altersversorgung über einen Versorgungsträger zusagt, der Name und die Anschrift dieses Versorgungsträgers; die Nachweispflicht entfällt, wenn der Versorgungsträger zu dieser Information verpflichtet ist.
  • Das bei der Kündigung des Arbeitsverhältnisses vom Arbeitgeber und Arbeitnehmer einzuhaltende Verfahren, mindestens das Schriftformerfordernis und die Fristen für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses, sowie die Frist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage; § 7 des Kündigungsschutzgesetzes ist auch bei einem nicht ordnungsgemäßen Nachweis der Frist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage anzuwenden.

Die bisher geltenden Fristen werden verkürzt.

Bei Arbeitsverhältnissen, die ab dem 01. August 2022 geschlossen werden, hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die folgenden Informationen schriftlich,

spätestens am ersten Arbeitstag

  • Name und die Anschrift der Vertragsparteien
  • Arbeitsentgelt und seine Zusammensetzung
  • Arbeitszeit

innerhalb von sieben Tagen

  • Zeitpunkt des Beginns des Arbeitsverhältnisses
  • Dauer einer etwaig vereinbarten Probezeit
  • Möglichkeit der Anordnung von Überstunden, sofern vereinbart
  • Bei Arbeit auf Abruf nach § 12 Teilzeit- und Befristungsgesetz: Arbeitsleistung nach Arbeitsanfall zu erbringen ist, die Zahl der mind. zu vergüteten Stunden, der Zeitrahmen der für die Erbringung der Arbeitsleistung festgelegt ist, die Frist innerhalb der der Arbeitgeber die Lage der Arbeitszeit im Voraus mitzuteilen hat

sowie alle übrigen Informationen spätestens einen Monat nach dem vereinbarten Beginn des Arbeitsverhältnisses schriftlich zukommen zu lassen.

Die Niederschrift, der im Nachweisgesetz genannten Bedingungen, wird in der Regel im Arbeitsvertrag erfolgen, dies ist jedoch nicht zwingend erforderlich. Es ist ebenso möglich dem Arbeitnehmer ein entsprechendes Schriftstück (Informationsblatt o.ä.) auszuhändigen.

Beschäftigte, die bereits vor dem 01. August 2022 beschäftigt waren, haben das Recht ihren Arbeitgeber aufzufordern, sie über die wesentlichen Vertrags- und Arbeitsbedingungen zu Informieren. Wesentliche Vertragsbedingungen sind dem Arbeitnehmer innerhalb von sieben Tagen, alle weiteren Informationen innerhalb eines Monats schriftlich auszuhändigen. Eine Änderung oder Ergänzung des Arbeitsvertrages ist hierfür nicht zwingend erforderlich. Auch hier kann die Mitteilung durch ein Informationsblatt erfolgen.

Für die Dokumentation der im Nachweisgesetz genannten Bedingungen gilt ein strenges Schriftformerfordernis. Das heißt, für Arbeitsverträge, dass diese ausgedruckt, von beiden Seiten eigenhändig unterzeichnet und persönlich übergeben oder postalisch zugesandt werden müssen.

Eine digitale Unterschrift, wie sie in vielen Unternehmen bereits gang und gäbe ist, reicht nicht aus. Die elektronische Form (qualifizierte elektronische Signatur) ausgeschlossen. Ebenso verhält es sich, wenn die Dokumentation durch ein Informationsblatt erfolgt. Dieses ist im Original durch den Arbeitgeber zu unterzeichnen und dem Arbeitnehmer auszuhändigen. Den Erhalt des Originaldokuments ist vom Arbeitnehmer quittieren zu lassen, da nur so der Nachweis geführt werden kann, dass die Schriftform eingehalten wurde.

Des Weiteren ist ein Verstoß gegen das Nachweisgesetz seit dem 01. August 2022 bußgeldbewehrt und kann pro Verstoß mit einem Bußgeld von bis zu 2.000 € geahndet werden.

Insofern sind entsprechenden Informationen vollständig sowie form- und fristgerecht den Arbeitnehmern zukommen zu lassen.

III. To-Dos für Arbeitgeber

Arbeitsvertragsmuster, die ab dem 01. August 2022 Verwendung finden, sind, um die o.g. zusätzlichen Bedingungen zu ergänzen. Ein Informationsblatt in Schriftform sollte dann vorbereitet und dem Arbeitnehmer übergeben werden, wenn Arbeitsverträge nur noch in Textform oder in elektronischer Form geschlossen werden. Der Erhalt des Informationsblattes sollte vom Arbeitnehmer zu Beweiszwecken quittiert werden.

Für Arbeitnehmer, die bereits vor dem 01. August 2022 beschäftigt waren, sollte ein entsprechendes Informationsblatt vorbereitet werden, um eine fristgerechte schriftliche Mitteilung zu ermöglichen.

Sollten sich außerdem im laufenden Betrieb wesentliche Arbeitsbedingungen ändern, ist der Arbeitgeber verpflichtet die Belegschaft initiativ bereits am Tag der Änderung schriftlich davon zu unterrichten. Die Einhaltung des Schriftformerfordernisses ist in jedem Fall sicherzustellen

(K)ein Dienstwagen für Betriebsratsvorsitzende?

Mitglieder des Betriebsrats dürfen gemäß § 78 Satz 2 BetrVG „wegen ihrer Tätigkeit nicht benachteiligt oder begünstigt werden“. Was so einfach klingt, kann in der Praxis erheblich kompliziert und sogar strafrechtlich riskant sein, wie etwa ein aktuelles Urteil des LG Braunschweig (v. 28.09.2021 – 16 KLs 85/19) zeigt.

§ 78 BetrVG soll die innere und äußere Unabhängigkeit der Betriebsratsmitglieder gewährleisten, die ihr Amt gemäß § 37 Abs. 1 BetrVG unentgeltlich als Ehrenamt führen.

„Unentgeltlich“ bedeutet freilich nicht, dass Mitglieder des Betriebsrats keinen Anspruch auf Vergütung hätten. Im Gegenteil, schützt § 37 Abs. 4 BetrVG die Betriebsratsmitglieder gerade davor, dass sich die Bemessungsgrundlage ihres Arbeitsentgelts wegen der Übernahme des Amtes verschlechtert. Das Betriebsratsmitglied soll hinsichtlich der Höhe des Arbeitsentgelts (in all seinen Bestandteilen, wie z.B. Zulagen, Sozialleistungen, vermögenswirksame Leistungen, Gewinnbeteiligungen, Leistungen der betrieblichen Altersvorsorge etc.) vielmehr so gestellt werden, wie es stehen würde, wenn es das Betriebsratsamt nicht übernommen hätte, woraus (notwendig) auch ein Anspruch auf Gehaltserhöhung folgt, und zwar in dem Umfang, in dem die Gehälter vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung erhöht werden. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) spricht insoweit vom Erfordernis einer „fiktiven Laufbahnnachzeichnung“ (z.B. Urteil v.  14.07.2010 – 7 AZR 359/09).

Gleichzeitig verbietet das Gesetz aber jegliche Gewährung eines Entgelts für die Betriebsratstätigkeit bzw. jegliche Bemessung des Entgelts nach der Bewertung der Betriebsratstätigkeit.

Genau hier beginnt die Gradwanderung.

Denn nach ständiger Rechtsprechung des BAG ist jede objektive Besserstellung im Vergleich zu anderen Arbeitnehmern, die nicht auf sachlichen Gründen, sondern auf der Tätigkeit als Betriebsratsmitglied beruht, eine untersagte Begünstigung (z.B. Urteil v. 29.08.2018 – 7 AZR 206/17).

Betriebsräte „kraft Amtes“ als „Co-Manager“ zu betrachten und auf „Führungskräfteniveau“ zu vergüten, liegt demnach deutlich außerhalb des Korridors hypothetischer Betrachtung!

Entlang dieser Linie, aber erheblich niederschwelliger, entschied z.B. das LAG Berlin-Brandenburg (Urteil v. 11.02.2020 – 7 Sa 997/19) und jüngst auch das LAG Nürnberg (Urteil v. 05.04.2022 – 7 Sa 238/21), dass es (auch) einen Verstoß gegen das Begünstigungsverbot des § 78 Satz 2 BetrVG darstellt, wenn einem Betriebsratsvorsitzenden ein Dienstwagen auch zur privaten Nutzung überlassen wird, der ihm ohne diese Funktion nicht überlassen worden wäre und auch sonst kein sachlicher Grund dafür ersichtlich ist. Eine solche Vereinbarung ist infolgedessen nach § 138 BGB nichtig.

Eine allgemeingültige Regel nach dem Motto „Kein Dienstwagen für Betriebsratsvorsitzende“ folgt hieraus gleichwohl nicht. Denn auch ein „überobligatorischer“ Dienstwagen muss nicht zwangsläufig eine Begünstigung sein, wenn und soweit er für die Betriebsratsarbeit förderlich und somit – auch im Interesse des Arbeitgebers – sachlich gerechtfertigt ist (z.B., weil der Betriebsratsvorsitzende damit nicht mehr auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen ist, wodurch Wartezeiten und Verzögerungen entfallen und die Betriebsratsaufgaben zeitlich zuverlässiger und schneller erledigen werden können).

Ist eine bestimmte Zuwendung aber sachlich begründet, ist zudem auch der Vorwurf der Untreue, § 266 StGB, entkräftet und eine entsprechende Strafdrohung somit unverhältnismäßig.

TCI Rechtsanwälte berät Gesellschafterin der DGO-Deutsche Gesellschaft für Online-Innovationen GmbH beim Verkauf an die eduPRO Gruppe


Der Mainzer TCI Partner Stephan Breckheimer hat gemeinsam mit dem TCI Partner Stephan Schmidt (Datenschutz) und der Kanzlei Covington & Burling LLP, Frankfurt (M&A, Gesellschaftsrecht), der Mainzer Steuerkanzlei Vogelsberger und der MA-Solutions GmbH, Wincheringen (Transaktionsberater) die Gesellschafterin der DGO-Deutsche Gesellschaft für Online-Innovationen GmbH, Mainz beim Verkauf an die eduPRO Gruppe, Wien beraten.

Mainz, 04.04.2022. Die eduPRO Gruppe, Wien beteiligt sich mehrheitlich an der DGO-Deutsche Gesellschaft für Online-Innovationen GmbH, Mainz.

Im Rahmen der Wachstumsfinanzierung hat sich der österreichische Bildungsanbieter über seine deutsche Landesgesellschaft die Mehrheit an dem innovativen Marktteilnehmer gesichert. Gemeinsam möchten die Partner die sehr gute Marktposition der DGO im Markt für onlinebasierte Arbeitsmarktdienstleistungen kontinuierlich ausbauen.

Die DGO-Deutsche Gesellschaft für Online-Innovationen GmbH, Mainz wird auch weiterhin mit ihrem eigenen Firmennamen und ihrem gewohnten Erscheinungsbild von Mainz aus agieren. Die bestehenden Verträge zwischen dem Unternehmen und seinen Kunden sowie seinen Mitarbeiter:innen laufen nahtlos weiter. „Die Ansprechpartner bleiben gleich und können wie gewohnt kontaktiert werden“, versichert Anna Johannsen, geschäftsführende Gesellschafterin der DGO, die am Unternehmen beteiligt bleiben und auch weiterhin als Geschäftsführerin fungieren wird. Mit ihr gemeinsam bildet Dr. Bernd Curtius die alte sowie auch neue Geschäftsführung des Unternehmens. Die DGO führt bundesweit Online-Coachings für Arbeitslose durch und verhilft ihnen zu einer neuen beruflichen Perspektive. Die DGO besteht seit 2020 und beschäftigt bereits über 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Gemeinsam mit dem neuen Partner möchte das bereits erfolgreich am Markt etablierte Unternehmen seinen Wachstumskurs fortsetzen.

<strong>Corona-Lockerungen!</strong>

Und was bleibt vom Home-Office?

Die gegenwärtige (bis 19.03.2022) geltende Home-Office-Pflicht (§ 28b Abs. 4 IfSG) soll nach den aktuellen Beschlüssen des Bundes und der Länder vom 16.02.2022 nicht mehr verlängert werden.

Ab 20.03.2022 können Arbeitgeber zwar weiterhin im Einvernehmen mit den Beschäftigten die Arbeit im Home-Office anbieten, wenn keine betrieblichen Gründe entgegenstehen und diese im Interesse des betrieblichen Infektionsschutzes liegt (z. B. bei Tätigkeit in Groß­raum­büros). Eine Pflicht besteht dann aber nicht mehr.

Viele Arbeitnehmer werden – je nach persönlicher Situation – die Möglichkeit zur Rückkehr ins Büro dankbar annehmen. Es gibt aber auch solche, die das Home-Office als „Besitzstand“ schätzen und nicht mehr hergeben wollen. Dabei gab es nie einen gesetzlichen Anspruch – und auch Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen gehen zumeist vom Prinzip der Freiwilligkeit aus, mit der Unternehmer entscheiden, ob sie die Betriebsorganisation zu Gunsten des Home-Office öffnen und den Arbeitnehmern wiederum die freie Entscheidung überlassen, diese Option anzunehmen.

Dass Arbeitnehmer – selbst in Pandemie-Zeiten – nicht gegen ihren Willen zu einer Tätigkeit im Home-Office gezwungen werden können, wäre sogar ohne Art. 13 GG, der den privaten Wohnbereich schützt und dem Zugriff des Arbeitgebers entzieht, einleuchtend. Aber ist es denkbar, dass sich die Pandemie-bedingte Tätigkeit im Home-Office inzwischen derart „etabliert“ hat, dass daraus ein individueller Rechtsanspruch des Arbeitnehmers werden konnte (bzw. kann)?

Nach einhelliger Auffassung nein, weil Arbeitgeber, die ihre Arbeitnehmer in der Pandemie ins Homeoffice „versetzt“ haben, damit nur ihren gesetzlichen Schutzpflichten aus § 28 b IfSG und § 2 Abs. 4 Corona-ArbSchV aF nachgekommen sind. Der objektive „Erklärungswert“ ihres Verhaltens erschöpft sich somit in der bloßen Beachtung gesetzlicher Ge- und Verbote. 

Daran ändert sich – nach einer Entscheidung des LAG München v. 26.08.2021 – 3 SaGa 13/21 – selbst dann nichts, wenn Arbeitgeber ihre Arbeitnehmer nach Ende der Pandemie nicht sofort wieder ins Büro zurückbeordern, sondern diese dort „zunächst“ weiterarbeiten lassen. Auch dies lässt regelmäßig noch keinen Vertrauenstatbestand entstehen, aus dem wiederum ein individuelles Recht entstehen könnte.

Wenn außerdem kein Arbeitnehmer per Weisung in sein Home-Office „verbannt“ werden kann, kann folglich auch kein Arbeitgeber verpflichtet sein, ein nicht bestehendes Weisungsrecht nach „billigem“ Ermessen dahingehend auszuüben, seinen Arbeitnehmern die Tätigkeit im Home-Office gestatten zu müssen.

Damit ist aber noch nicht die Frage beantwortet, unter welchen Voraussetzungen ein Arbeitgeber seine ( ggf. unbefristet) erteilte Zustimmung zur Tätigkeit im Home-Office widerrufen kann bzw. er einen im Home-Office befindlichen Arbeitnehmer an den betrieblichen Arbeitsplatz zurückbeordern kann.

Soweit im Einzelfall kein entsprechender Vorbehalt vereinbart wurde, kommt es auf das Direktionsrecht gemäß § 106 GewO an, und somit auf eine Abwägung der persönlichen Interessen des Arbeitnehmers gegen die betrieblichen oder wirtschaftlichen Interessen des Arbeitgebers. Dass sich der Arbeitgeber hierbei nur auf „hinreichend gewichtige“ Gründe berufen darf, die  – etwa in Anlehnung an § 8 Abs. 4 Satz 2 TzBfG – voraussetzten würden, dass „die Organisation, der Arbeitsablauf oder die Sicherheit im Betrieb wesentlich beeinträchtigt ist oder unverhältnismäßige Kosten verursacht“ werden, wäre u.E. unvereinbar mit dem wesentlichen Inhalt der freien unternehmerischen Entscheidung, zu der auch die Gestaltungsfreiheit bezüglich der betrieblichen Organisation gehört, insbesondere die Festlegung, an welchem Standort welche arbeitstechnischen Ziele verfolgt werden (BAG v. 27. 9. 2001 – 2 AZR 246/00).

Ein plausibler und im Rahmen „billigen Ermessens“ vorrangig zu berücksichtigender Grund könnte also z.B. darin liegen, dass die technische Ausstattung im Home-Office keinen Dauerzustand erlaubt, dass die Datenschutzvorkehrungen nicht dauerhaft eingehalten werden können oder dass im Home-Office des Arbeitnehmers keine gemäß § 2 Abs. 2 lit. b GeschGehG erforderlichen Geheimhaltungsmaßnahmen umsetzbar sind.

Fehlende Umsetzung der Whistleblower-Richtlinie: Folgen für Unternehmen

Mit der EU-Whistleblower-Richtline EU 2019/1937 vom 23.10.2019 verpflichteten sich die Mitgliedsstaaten Unternehmen mit mindestens 250 Mitarbeitern* vorzuschreiben, eine Hinweisgeberstelle für Rechtsverstöße im Unternehmen einzurichten. Ab dem 17.12.2023 soll die Verpflichtung auch auf kleinere Unternehmen, mit mehr als 50 Mitarbeitern, erweitert werden.

Die Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht sollte bis zum 17.12.2021 erfolgen. Diese Frist wurde allerdings vom deutschen Gesetzgeber verpasst, u. a., weil keine Einigung über den Umfang der zu meldenden Verstöße herrschte. Wegen fehlender Umsetzungen leitete die Europäische Kommission anschließend gegen Deutschland sowie gegen 25 weitere Mitgliedsstaaten Vertragsverletzungsverfahren ein. Die fehlenden Umsetzungen erzeugen nun eine gewisse Rechtsunsicherheit für Unternehmen.

Inhalt der Whistleblower-Richtlinie

Die Richtlinie sieht vor, dass Mitarbeiter bei den einzurichtenden Hinweisgeberstellen anonym melden können, wenn sie im Unternehmen Verstöße gegen EU-Recht empfinden. Hierdurch sollen Rechtsverstöße besser aufgedeckt und unterbunden werden und die Möglichkeiten der Rechtsdurchsetzung für die Betroffenen verbessert werden.

Eine weitergehende Verpflichtung kann die Europäische Union mangels Gesetzgebungskompetenz nicht vorschreiben. Den Mitgliedsstaaten soll es aber freistehen, die Hinweisgeberstellen auch auf Verstöße gegen nationales Recht zu erweitern.

Die neue Bundesregierung kündigte an, die Richtlinie im ersten Quartal 2022 durch den Erlass eines „Hinweisgeberschutzgesetzes“ (HinSchG) umsetzen zu wollen. Dabei sollen Mitarbeiter tatsächlich die Möglichkeit erhalten, nicht nur empfundene Verstöße gegen EU-Recht, sondern auch gegen deutsches Recht oder sonstiges erhebliches Fehlverhalten melden zu können.

Da Hinweisgeber sich beim Bekanntwerden von Meldungen innerhalb ihres Unternehmens unbeliebt machen könnten, sieht die Whistleblower-Richtlinie in Art. 19, 20 und 21 einen Schutz vor Repressalien wie Kündigungen oder Versetzungen vor. Auch diese Schutzmaßnahmen sollen im „HinSchG“ wohl inhaltlich noch erweitert werden.

Weder die Details der geplanten Ausgestaltung dieses Schutzes und hierdurch entstehender zusätzlicher Pflichten eines Arbeitgebers noch die weitere Ausgestaltung der deutschen Umsetzung sind jedoch bisher bekannt. Etwa ob innerhalb eines Konzerns eine zentrale Hinweisgeberstelle für die Mitarbeiter sämtlicher Gesellschaften ausreicht oder jede Gesellschaft eine eigene Stelle einrichten muss.

Folgen der fehlenden Umsetzung

Da Deutschland die Frist zur Umsetzung und Ausgestaltung der Richtlinie in deutsches Recht verpasst hat, stellt sich für Unternehmen hierzulande nun die Frage, ob sie nun dennoch verpflichtet sind, bereits jetzt eine Hinweisgeberstelle einzurichten, was entweder intern oder auch extern erfolgen kann.

Prinzipiell kann eine nicht umgesetzte EU-Richtlinie nach dem Ende der Umsetzungsfrist selbst eine unmittelbare Wirkung entfalten. Dafür muss die Richtlinie von der EU so genau bestimmt worden sein, dass die Handlungspflicht bereits eindeutig ist. Sie darf auch nicht von zusätzlichen Bedingungen abhängig sein oder zu ihrer Anwendung weitere Rechtsvorschriften bedürfen. All diese Bedingungen dürften bei der EU-Whistleblower-Richtline vorliegen.

Dennoch kann sich ein Bürger nur gegenüber dem Staat auf die nicht umgesetzte Richtlinie berufen, nicht jedoch gegenüber anderen Privatpersonen. Momentan kann sich ein Arbeitnehmer also beispielsweise noch nicht auf den erweiterten Kündigungsschutz berufen, sodass Unternehmen durch die fehlende Umsetzung keine negativen Konsequenzen entstehen. Zugleich müssen staatliche Organisationen aber bereits jetzt eine Hinweisgeberstelle einrichten, bei der Verstöße gegen EU-Recht gemeldet werden können.

Fazit

Momentan sind Unternehmen noch nicht verpflichtet, Hinweisgeberstellen vorzuhalten. Zudem ist die Ausgestaltung des geplanten Hinweisgeberschutzgesetzes noch unklar. Dennoch ist es für Unternehmen sinnvoll, gerade in Konzernstrukturen, die Einrichtung entsprechender Stellen bereits jetzt vorzubereiten, da diese aufwändig und zeitintensiv sein könnte. Bei der Einrichtung einer Hinweisgeberstelle sind u. a. auch datenschutzrechtliche Rahmenbedingungen zu schaffen, z. B. eine sichere Möglichkeit der Kommunikation mit der Hinweisgeberstelle. Im Einzelfall ist zudem eine sog. Datenschutz-Folgenabschätzung gemäß Art. 35 DSGVO durchzuführen, die grundsätzlich erforderlich ist bei einer Form der Verarbeitung, die voraussichtlich ein hohes Risiko für die Rechte und Freiheiten natürlicher Personen zur Folge hat. Wenn man berücksichtigt, dass über die Hinweisgeberstelle ggf. Daten über potenziell strafrechtlich relevantes Verhalten verarbeitet werden und für den Hinweisgeber zudem das greifbare Risiko besteht, dass seine Anonymität nicht geschützt wird, dann erscheint eine Datenschutz-Folgenabschätzung somit notwendig, ebenso wie eine Abstimmung mit dem betrieblichen Datenschutzbeauftragten.

*Aus Gründen der vereinfachten Lesbarkeit wird lediglich die grammatikalisch männliche Form genannt, gemeint sind jedoch Beschäftigte jeder Geschlechteridentität.

E-Mobility; IoT – Inkrafttreten der novellierten Ladesäulenverordnung am 01.01.2022 mit neuen Pflichten für E-Ladesäulenbetreiber

Am 01.01.2022 tritt die am 10.11.2021 im Bundesanzeiger veröffentlichte Novelle der Ladesäulenverordnung (LSV) in Kraft. Sie enthält neue Anforderungen für den Ausbau einer bedarfsgerechten und verbraucherfreundlichen Ladeinfrastruktur zugunsten der Nutzer von E-Autos und neue Pflichten für Betreiber von öffentlich zugänglichen Ladepunkten.

Als Betreiber gilt, wer unter Berücksichtigung der rechtlichen, wirtschaftlichen und tatsächlichen Umstände bestimmenden Einfluss auf den Betrieb eines Ladepunkts ausübt; als Ladepunkt gilt eine Einrichtung, die zum Aufladen von Elektromobilen geeignet und bestimmt ist und an der zur gleichen Zeit nur ein Elektromobil aufgeladen werden kann.

Neue wesentliche Inhalte der LSV:

  • Ab dem 01.07.2023 müssen neu errichtete Ladepunkte über eine Schnittstelle verfügen, über welche Standortinformationen und dynamische Daten wie z.B. Belegungsstatus und Betriebsbereitschaft übermittelt werden können.
  • Neben den bislang gebräuchlichen Zahlungsmöglichkeiten über webbasierte Systeme, Apps oder QR-Code müssen Ladesäulenbetreiber beim Ad-hoc-Laden ab Juli 2023 zumindest eine kontaktlose Zahlung über eine gängige Debit- und Kreditkarte als Mindeststandard ermöglichen; sie müssen somit ein Kartenlesegerät und ein PIN-Pad zur Eingabe der Geheimnummer bereitstellen. Daneben ist es auch zulässig, ein zentrales Terminal für mehrere Ladesäulen, etwa in einem E-Ladepark, vorzusehen. Eine Pflicht zur Nachrüstung bereits bestehender Ladesäulen, die bis zum 30.06.2023 in Betrieb gegangen sind, besteht nicht.
  • Neu errichtete Ladesäulen sind bei der Bundesnetzagentur spätestens 2 Wochen nach Inbetriebnahme anzuzeigen – im Gegensatz zu der bisherigen 4-wöchigen Anzeigepflicht.
  • Es wird die Errichtung von Normalladepunkten, die ausschließlich mit einem fest angebrachten Ladekabel ausgerüstet sind, zugelassen. Der sachliche Anwendungsbereich der Verordnung wird auf Nutzfahrzeuge ausgedehnt.

Bislang kommen in der Praxis Kartenlesegeräte lediglich bei einem relativ geringen Teil der Ladevorgänge zur Anwendung. Der weit überwiegende Teil der E-Autofahrerinnen und E-Autofahrer lädt bislang auf Basis von Verträgen mit Fahrstromanbietern bzw. E-Mobility Providern (EMP) und unter Nutzung von RFID-Ladekarten oder digitalen Apps. Es bleibt abzuwarten, ob und in welchem Umfang Ladesäulenbetreiber ihre bestehenden Ladestationen nachrüsten. Möglicherweise kommt es zu einem Parallelbetrieb von neuen Ladesäulen mit Kartenterminal und bestehenden Ladensäulen, an denen nur über bislang vorhandene Zahlungsmöglichkeiten geladen werden kann.