Gemäß Art 82 Abs. 1 DSG-VO hat jede Person, der wegen eines Verstoßes gegen diese Verordnung ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist, Anspruch auf Schadenersatz.
In zwei Vorabentscheidungsersuchen hatte sich das Amtsgericht München an den EuGH gewandt, um die Auslegung von Art. 82 der DS-GVO zu klären, insbesondere in Bezug auf die Höhe des Schadensersatzes sowie die Definitionen von „immateriellem Schaden“ und „Identitätsdiebstahl bzw. -betrug“.
Mit dem nunmehr ergangenen Urteil vom 20.06.2024 in den Rechtssachen C‑182/22 und C‑189/22 (Scalable Capital GmbH) hat der EuGH seine Rechtsprechung zum Datenschutz-Schadensersatz erneut um einige Grundsätze angereichert, die sich wie folgt zusammenfassen lassen:
- Nicht jeder Verstoß gegen die DS-GVO führt zu einem Schadensersatzanspruch nach Art. 82 DS-GVO.
- Ein Schadensersatzanspruch nach Art. 82 DS-GVO setzt im Kern dreierlei voraus:
(1) einen Verstoß gegen die DSG-VO
(2) einen materiellen oder immateriellen „Schaden“
(3) einen Kausalzusammenhang zwischen dem Schaden und dem Rechtsverstoß
wobei alle drei Voraussetzungen kumulativ vorliegen müssen.
- Die Darlegungs- und Beweislast für diese drei Voraussetzungen liegt beim Anspruchsteller.
- Eine „Bagatellgrenze“, die überschritten sein muss, um einen Schadenersatzanspruch zu begründen, gibt es nicht.
- Ein abstrakter Kontrollverlust über Daten stellt nicht automatisch einen immateriellen Schaden im Sinne von § 82 DS-GVO dar. Hinzukommen muss zumindest eine objektiv begründete Befürchtung, dass die Daten, über die der Anspruchsteller die Kontrolle verloren hat, missbräuchlich verwendet wurden oder künftig verwendet werden.
- Der durch eine Verletzung des Datenschutzes verursachte Schaden ist seiner Natur nach nicht weniger schwerwiegend, als eine Körperverletzung.
- Art. 82 DS-GVO erfüllt keine Straf-, sondern eine Ausgleichsfunktion.
- Art 82 DS-GVO verlangt nicht, dass der Grad der Schwere oder eine etwaige Vorsätzlichkeit des Verstoßes bei der Bemessung der Höhe des Schadenersatzes zu berücksichtigen sind.
- Die nationalen Gerichte sind nicht gehindert, einen Schadenersatz in geringer Höhe zuzusprechen, wenn und soweit dieser Schadenersatz den jeweiligen Schaden in vollem Umfang ausgleicht.
- Art. 82 DS-GVO hindert den Verantwortlichen, dessen Haftung unterstellt wird, nicht, sich durch den Nachweis, dass ihm die Handlung, die den Schaden verursacht hat, nicht zurechenbar ist, zu exkulpieren.
- Der Begriff „Identitätsdiebstahl“ ist nur dann erfüllt, wenn ein Dritter die Identität einer Person, die von einem Datendiebstahl betroffen ist, tatsächlich angenommen hat. Jedoch ist ein Schadensersatz nicht nur auf Fälle beschränkt, in denen der Datendiebstahl nachweislich zu einem Identitätsdiebstahl oder ‑betrug geführt hat.
Diese (erweiterten) Grundsätze werden sich – wie üblich zeitversetzt – in den Entscheidungen der nationalen Gerichte, insbesondere auch der Arbeitsgerichte, widerspiegeln. Aktuelle Beispiele hierfür sind:
- LAG Nürnberg vom 25.1.2023 – 4 Sa 201/22 („Die verspätete Auskunftserteilung auf ein Verlangen nach Art. 15 Abs. 1 DSGVO stellt als solche keinen immateriellen Schaden dar“).
- LAG Baden-Württemberg vom 05.03.2024 – 15 Sa 45/23 („Allein der Kontrollverlust über Daten stellt nicht automatisch einen immateriellen Schaden im Sinne von § 82 DS-GVO dar“).
- LAG Düsseldorf vom 07.03.2024 – 11 Sa 808/23 („Nicht jeder Verstoß gegen Auskunftsansprüche aus der DSGVO verursacht „automatisch“ einen Schaden“).
Fazit: Das Urteil des EuGH vom 20.06.2024 verdeutlicht, dass die Anforderungen an die Geltendmachung und Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen in Fällen von DS-GVO-Verstößen nicht zu unterschätzen sind. Andererseits besteht kein Grund zur Annahme, dass es bei § 82 DS-GVO nur um „symbolische“ Beträge geht.
Die govdigital eG hat mit Unterstützung durch TCI Rechtsanwälte erfolgreich das „Cloud-Broker“-Verfahren beendet und den Zuschlag an die Business Technology Consulting AG (BTC) erteilt.Die Genossenschaft der öffentlichen IT-Dienstleister mit 28 Mitgliedern erhält dadurch Zugriff auf das Serviceportfolio sowohl der „Hyperscaler“ Amazon Web Services (AWS), Google Cloud und Microsoft Azure als auch der nationalen Cloud-Provider IONOS und StackIT.
Der Cloud Broker-Ansatz ermöglicht es den govdigital-Mitgliedern und deren Trägern, je nach spezifischem Projektbedarf die Services eines oder mehrerer Anbieter auszuwählen. Dadurch wird einem „Lock-In-Effekt“ zugunsten einzelner Provider entgegengewirkt. Die Abrechnungsprozesse bleiben dabei aufgrund des einheitlichen Vertragspartners dennoch vergleichsweise schlank. Über ein zentrales Broker-Portal können die Mitglieder jederzeit Einsicht in Reporting- und Abrechnungsdaten nehmen sowie die Zugänge zu den einzelnen Anbietern verwalten.
Mit einem geschätzten Auftragswert von 256.000.000 EUR handelte es sich bei dem Cloud-Broker-Verfahren der govdigital eG um eine der bislang größten Cloud-Ausschreibungen im Bundesgebiet. Zu den Trägern der öffentlichen IT-Dienstleister zählen zahlreiche Gebietskörperschaften und damit Behörden auf Bundes-, Länder- und Kommunalebene, sodass die Ausschreibung einen wesentlichen Meilenstein für die Digitalisierung der Verwaltung darstellt. Das u.a. auf große Vergabeverfahren im IT-Bereich spezialisierte Berliner Büro der TCI Rechtsanwälte (www.tcilaw.de) hat die govdigital eG bei der Konzeption und Durchführung der Ausschreibung sowie als externe Vergabestelle unterstützt.
Der amerikanische Fachverlag „Best Lawyers“ hat für das Handelsblatt die besten Wirtschaftsanwältinnen und -anwälte ermittelt. Unsere Münchner Partnerin Ruth Dünisch wurde dabei erneut als „Lawyer of the Year“ im Bereich Franchise-Recht (Bayern) geehrt. Aber auch 8 weitere Partnerinnen und Partner wurden ausgezeichnet.
Der Verlag „Best Lawyers“ ermittelt weltweit die renommiertesten Anwälte und Kanzleien in einem umfangreichen Peer-to-Peer Verfahren. Dabei werden Wirtschaftsanwälte gefragt, welche Wettbewerber sie besonders empfehlen können.
Basierend auf dem so entstandenen Best Lawyers Rating veröffentlichte das Handelsblatt am 13. Juni 2024 die besten Anwältinnen, Anwälte und Kanzleien des Jahres 2024 aus Deutschland. Juristen mit einer aktuell herausragenden Marktstellung finden sich unter den „Anwälten des Jahres 2024“.
Ruth Dünisch ist Anwältin des Jahres im Bereich Franchiserecht
Ruth Dünisch ist dort erneut als einzige Anwältin für den Bereich „Franchiserecht“ gelistet.
„Es ist für mich eine große Ehre, dass ich erneut als Anwältin des Jahres im Bereich Franchiserecht ausgezeichnet wurde. Dies spiegelt auch die Anerkennung aus dem Kollegenkreis und die Wahrnehmung im Rechtsmarkt wider. Ich freue mich sehr über diese Anerkennung und danke allen Kolleginnen und Kollegen für ihre Empfehlung“, sagt Ruth Dünisch.
Weitere TCI-Partnerinnen und Partner ausgezeichnet
Neben der Auszeichnung als Anwältin des Jahres ist Ruth Dünisch auch in der Kategorie Beste Anwälte ausgezeichnet.
Aber auch andere Partnerinnen und Partner von TCI sind als Beste Anwälte ausgezeichnet:
- Carsten Gerlach (Berlin) im IT-Recht
- Dr. Truiken J. Heydn (München) in den Bereichen Schiedsverfahren/Streitbeilegung/Mediation, IT-Recht, Gewerblicher Rechtsschutz und Internationales Schiedsverfahren sowie Konfliktlösung, Medien- und Urheberrecht, Produkthaftung
- Dr. Michael Karger (München) im IT-Recht
- Harald Krüger (München) im Arbeitsrecht
- Stephan Schmidt (Mainz) in den Gebieten IT-Recht, Datenschutzrecht, Technologierecht
- Dr. Andreas Stadler (München) im IT-Recht
- Dr. Thomas Stögmüller (München) im Datenschutzrecht, IT-Recht sowie Telekommunikationsrecht
- Christian Welkenbach (Mainz) im IT-Recht
Lawyer of the Year der vergangenen Jahre
Mit der Empfehlung „Lawyer of the year“ wurden in der Vergangenheit bereits mehrere Partnerinnen und Partner von TCI Rechtsanwälte ausgezeichnet:
- 2023: Ruth Dünisch – Franchise-Recht (Bayern)
- 2022: Dr. Michael Karger – Information Technology Law (Bayern)
- 2018: Dr. Truiken J. Heydn – International Arbitration (Bayern)
- 2014-2015: Stephan Schmitt – Information Technology Law (Frankfurt am Main)
- 2013: Dr. Truiken J. Heydn – Litigation (München)
- 2012: Andreas Stadler – Information Technology Law (München)
Die vollständige Liste mit allen ausgezeichneten Anwälten in Deutschland können Sie hier im Handelsblatt einsehen.
Streiten sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber um Entgeltfortzahlung, geht es im Kern zumeist um die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AUB) und ihren Beweiswert. So auch in einem jüngst vom BAG entschiedenen Fall (Urteil vom 13.12.2023 – 5 AZR 137/23, zu dem bislang nur die Pressemitteilung vorliegt), der Anlass gibt, sich an folgende Grundsätze zu erinnern:
1. Die AUB ist das gesetzlich ausdrücklich vorgesehene und insoweit wichtigste Beweismittel des Arbeitnehmers für das Vorliegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit ist (BAG 8.9.2021 – 5 AZR 149/21).
2. Eine AUB begründet aber keine gesetzliche Vermutung einer tatsächlich bestehenden Arbeitsunfähigkeit i.S.d. § 292 ZPO mit der Folge, dass nur der Beweis des Gegenteils zulässig wäre (BAG 8.9.2021 – 5 AZR 149/21).
3. Die Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie (AU-RL, zuletzt geändert am 7.12.2023) ist für Arbeitnehmer und Arbeitgeber als Parteien des Arbeitsverhältnisses nicht verbindlich.
Dennoch können Verstöße gegen Regelungen der AU-RL, die auf medizinischen Erkenntnissen zur sicheren Feststellbarkeit der Arbeitsunfähigkeit beruhen, nach den Umständen des Einzelfalls geeignet sein, den Beweiswert einer AUB im Rahmen der nach § 286 ZPO vorzunehmenden Beweiswürdigung zu erschüttern (BAG Urt. v. 28.6.2023 – 5 AZR 335/22).
Gemeint sind insbesondere die folgenden Regelungen:
- Die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit setzt die Befragung der oder des Versicherten durch die Vertragsärztin oder den Vertragsarzt zur aktuell ausgeübten Tätigkeit und den damit verbundenen Anforderungen und Belastungen voraus (§ 2 Abs. 5 AU-RL).
- Die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit darf nur auf Grund einer ärztlichen Untersuchung erfolgen. Diese erfolgt unmittelbar persönlich oder mittelbar persönlich im Rahmen einer Videosprechstunde oder nach telefonischer Anamnese nach Maßgabe von Absatz 5a. (§ 4 Abs. 5 AU-RL).
- Die Arbeitsunfähigkeit soll für eine vor der ersten ärztlichen Inanspruchnahme liegende Zeit grundsätzlich nicht bescheinigt werden. Eine Rückdatierung des Beginns der Arbeitsunfähigkeit auf einen vor dem Behandlungsbeginn liegenden Tag ist ebenso wie eine rückwirkende Bescheinigung über das Fortbestehen der Arbeitsunfähigkeit nur ausnahmsweise und nur nach gewissenhafter Prüfung und in der Regel nur bis zu drei Tagen zulässig (§ 5 Abs. 3 AU-RL).
- Die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit soll nicht für einen mehr als zwei Wochen im Voraus liegenden Zeitraum bescheinigt werden (§ 5 Abs. 4 AU-RL).
4. Der Beweiswert einer AUB kann demnach erschüttert sein, wenn
- der Arzt den Arbeitnehmer vor der Ausstellung der AUB nicht untersucht (BAG, 11.8.1976 – 5 AZR 422/75);
- der Arzt die AUB entgegen der Vorgaben der AU-RL zurückdatiert (LAG Köln, 21.11.2003 – 4 Sa 588/03; LAG Rheinland-Pfalz, 13.1.2015 – 8 Sa 373/14).
5. Der Beweiswert einer AUB ist außerdem erschüttert, wenn nach Maßgabe eines verständigen Arbeitgebers Tatsachen vorhanden sind, die erhebliche Zweifel an der tatsächlichen Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers belegen.
Dies kann z.B. der Fall sein, wenn
- der arbeitsunfähige Arbeitnehmer nach Zugang der Kündigung des Arbeitgebers eine oder mehrere Folgebescheinigungen vorlegt, die passgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfassen, und er unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine neue Beschäftigung aufnimmt (BAG, 13.12.2023 – 5 AZR 137/23);
- ein Arbeitnehmer zeitgleich mit seiner Eigenkündigung eine solche Bescheinigung einreicht, die passgenau die noch verbleibende Dauer des Arbeitsverhältnisses abdeckt (BAG, 8.9.2021 – 5 AZR 149/21);
- der Arbeitnehmer seine “Krankmeldung” ankündigt (LAG Köln, 17.4.2002 – 7 Sa 462/01);
- der Arbeitnehmer während der Arbeitsunfähigkeit einer Nebenbeschäftigung bei einem anderen Arbeitgeber nachgeht (BAG, 26.8.1993 – 2 AZR 154/93);
- der Arbeitnehmer Freizeitaktivitäten nachgeht, die mit der Arbeitsunfähigkeit nur schwer in Einklang zu bringen sind (BAG, 2.3.2006 – 2 AZR 53/05 (Skiurlaub trotz Hirnhautentzündung);
Arbeitsunfähigkeit ist aber nicht gleichzusetzen mit Bettlägerigkeit oder häuslicher Ruhe. Es kommt allein darauf an, ob der Arbeitnehmer in der Lage ist, seine Arbeit auszuüben, nicht, ob er einkaufen, spazieren gehen, Sport treiben, Freunde treffen oder ins Kino gehen kann.
Millionen Arbeitnehmer haben sie bereits erhalten: eine steuer- und abgabenfreie „Inflationsausgleichsprämie“ (IAP). Alle anderen bleibt noch bis zum 31.12.2024 die Hoffnung, dass ihnen ihr Arbeitgeber zur Abmilderung der gestiegenen Verbraucherpreise freiwillig bis zu 3.000.- Euro zusätzlich zum Arbeitslohn gewährt.
Da die Halbzeit des Begünstigungszeitraums bald erreicht ist, ziehen wir eine kurze Zwischenbilanz:
1. Die IAP wird flächendeckend umgesetzt, von unzähligen kleinen Betrieben bis hin zu den Dax-Konzernen. Die Voraussetzungen und Gestaltungsoptionen sind dabei weitgehend geklärt und bekannt:
- Die IAP muss zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn gewährt werden. Dies ist gemäß § 8 Abs. 4 Satz 1 EStG (nur) der Fall, wenn
1. die Leistung nicht auf den Anspruch auf Arbeitslohn angerechnet,
2. der Anspruch auf Arbeitslohn nicht zugunsten der Leistung herabgesetzt,
3. die verwendungs- oder zweckgebundene Leistung nicht anstelle einer bereits vereinbarten künftigen Erhöhung des Arbeitslohns gewährt und
4. bei Wegfall der Leistung der Arbeitslohn nicht erhöht wird.
Somit darf (z.B.) ein vereinbartes Weihnachts- oder Urlaubsgeld nicht in eine IAP „umgewidmet“ werden.
- Begünstigt sind nur Leistungen an Arbeitnehmer. Für Leistungen an freie Mitarbeiter oder arbeitnehmerähnliche Selbständige sieht § 3 Nummer 11c EStG keine Steuerfreiheit vor.
- Schwankungen des Verbraucherpreisindex bzw. der Inflationsrate während des Begünstigungszeitraums sind irrelevant. Fragen der individuellen Betroffenheit des einzelnen Arbeitnehmers oder der Angemessenheit der Leistung spielen ebenfalls keine Rolle.
- Antworten auf zahlreiche weitere Fragen finden sich in den vom Bundesministerium der Finanzen erstellten „FAQ zur Inflationsausgleichsprämie gemäß § 3 Nr. 11c EStG“ i.d.F. vom 24.05.2023 (abrufbar unter https://www.bundesfinanzministerium.de).
2. Weiterhin nicht abschließend geklärt ist insb., ob und inwieweit
- es arbeitsrechtlich zulässig ist, die IAP an bestimmte Auszahlungs- oder Rückzahlungsbedingungen wie z.B. bestandene Probezeit, ungekündigtes Arbeitsverhältnis, Betriebstreue, etc. zu knüpfen. – Dass solche Bedingungen steuerunschädlich sind, steht zumindest fest.
- die IAP der Pfändung unterliegt. – Nach Auffassung des AG Köln (Beschl. vom 4.1.2023 – 70 k IK 226/20) soll die IAP dem Pfändungsschutz des § 850c ZPO unterliegen, weil sie das Kriterium einer „wiederkehrend zahlbaren Vergütung für persönlich geleistete Arbeiten“ erfüllt.
ist nach einer aktuellen Entscheidung des LAG Köln vom 20.10.2022 – 8 Sa 465/22 um eine Facette reicher geworden:
Ein Arbeitnehmer war wiederholt zu spät zur Arbeit erschienen. Der Arbeitgeber hat jedoch nicht auf jeden einzelnen Verstoß unmittelbar reagiert, sondern erst abgewartet, dann drei Verspätungen gleichzeitig abgemahnt, und die nächste Verspätung dann zum Anlass für die Kündigung genommen.
Keine gute Idee, wie sich herausstellte.
Die drei Abmahnungen, so das LAG Köln, entsprechen bzgl. ihrer Warnfunktion einer (!) Abmahnung – und unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes hätte es vor dem Ausspruch der Kündigung einer weiteren vierten (einschlägigen) Abmahnung bedurft.
Was daraus folgt, ist einmal mehr die Erkenntnis, dass sich die Warnfunktion einer Abmahnung derart abschwächen kann, dass eine Kündigung nicht mehr ohne weiteres möglich ist.
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat mit Urteil vom 13.09.2022 – 1 ABR 22/21 entschieden, dass der Arbeitgeber nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG verpflichtet, ein System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann. Bei unionsrechtskonformer Auslegung dieser Vorschrift ist er gesetzlich verpflichtet, die Arbeitszeiten der Arbeitnehmer zu erfassen.
Bereits am 14. Mai 2019 hatte der EuGH entschieden (C-55/18), dass die Mitgliedstaaten die Arbeitgeber verpflichten müssen, ein System einzurichten, mit dem die tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann.
Sowohl der deutsche Gesetzgeber als auch die allgemeine Praxis sind bis zuletzt davon ausgegangen, dass es noch keine entsprechende gesetzliche Verpflichtung im nationalen Recht gibt, die Arbeitgeber in Deutschland dazu verpflichtet. Das Bundesarbeitsministerium arbeitet daher bereits an einer gesetzlichen Vorlage. Anders sieht es das BAG, das in § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG genau diese Verpflichtung sieht.
Arbeitgeber dürfen deshalb nicht mehr eine spezialgesetzliche Regelung abwarten. Die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung besteht ab sofort. Wie weit diese Pflicht geht, ist noch nicht ersichtlich, da aktuell nur eine Pressemeldung des BAG-Urteils veröffentlicht wurde. Es bleibt abzuwarten, ob die Entscheidungsgründe mehr Informationen dazu geben werden.
Ein geeignetes System ist ab sofort einzuführen. Dabei dürfte es egal sein, ob dies auf Papier, mittels Stechkartensystem oder einfach mit einer excel-Tabelle erfolgt. Möglich dürfte es auch sein, dem Arbeitnehmer im Rahmen des Direktionsrechts anzuweisen, die Arbeitszeiten jeden Tag in diesem System zu erfassen. Wie weit eine etwaige Überprüfungspflicht des Arbeitgebers geht und welche konkreten Auswirkungen dieses Urteil auf Vertrauensarbeitszeit, Home-Office und mobiles Arbeiten hat, kann noch nicht abschließend gesagt werden.
Wir werden hierauf zurückkommen, sobald die Entscheidungsgründe des BAG vorliegen.
Die Änderung des Nachweisgesetzes erfolgte zur Umsetzung der EU-Richtlinie über transparente und verlässliche Arbeitsbedingungen. Ziel dieser Richtlinie ist es eine transparente und vorhersehbare Beschäftigung zu fördern und zugleich die Anpassungsfähigkeit des Arbeitsmarktes zu gewährleisten.
I. Rechtslage bis 31.07.2022
Bis 31.07.2022 hatten Arbeitgeber folgende wesentliche Vertragsbedingungen innerhalb eines Monats schriftlich niederzulegen und dem Arbeitnehmer auszuhändigen. Ausgenommen hiervon waren Arbeitnehmer, die zur vorübergehenden Aushilfe von höchstens einem Monat eingestellt wurden.
- Name und Anschrift der Vertragsparteien
- Zeitpunkt des Beginns des Arbeitsverhältnisses
- Dauer des Arbeitsverhältnisses bei Befristung
- Arbeitsort
- Bezeichnung oder Beschreibung der Tätigkeit
- Zusammensetzung und Höhe des Arbeitsentgelts
- Arbeitszeit
- Dauer des jährlichen Erholungsurlaubs
- Kündigungsfristen
- Allgemeiner Hinweis auf Tarifverträge, Betriebs- und Dienstvereinbarungen, die auf das Arbeitsverhältnis anwendbar sind.
Kam der Arbeitgeber dieser Pflicht nicht nach, konnte der Arbeitnehmer eine den Anforderungen des Nachweisgesetztes genügende Niederschrift über die wesentlichen Vertragsbedingungen vom Arbeitgeber verlangen. Im Einzelfall kam ein Schadenersatzanspruch des Arbeitnehmers in Betracht, soweit ihm aus dem Pflichtverstoß des Arbeitgebers ein unmittelbarer finanzieller Schaden entstanden war. Bußgeldbewährt war ein Verstoß des Arbeitgebers gegen das Nachweisgesetz bislang nicht.
II. Neue Rechtslage seit dem 01.08.2022
Seit dem 01. August 2022 umfasst der Anwendungsbereich des Nachweisgesetzes alle Arbeitnehmer. Die Ausnahme für vorübergehend und kurzzeitig beschäftigte Aushilfen entfällt.
Arbeitgeber sind verpflichtet, zusätzlich zu den o.g. Bedingungen folgende Bedingungen schriftlich niederzulegen:
- Enddatum des Arbeitsverhältnisses
- Ggf. freie Wahl des Arbeitsorts durch den Arbeitnehmer
- Sofern vereinbart, die Dauer der Probezeit
- Die Zusammensetzung und die Höhe des Arbeitsentgelts einschließlich der Vergütung von Überstunden, der Zuschläge, der Zulagen, Prämien und Sonderzahlungen sowie anderer Bestandteile des Arbeitsentgelts, die jeweils getrennt anzugeben sind und deren Fälligkeit sowie die Art der Auszahlung
- Die vereinbarte Arbeitszeit, vereinbarte Ruhepausen und Ruhezeiten sowie bei vereinbarter Schichtarbeit das Schichtsystem, der Schichtrhythmus und die Voraussetzungen für Schichtänderungen
- Sofern vereinbart, die Möglichkeit der Anordnung von Überstunden und deren Voraussetzungen
- Ein etwaiger Anspruch auf vom Arbeitgeber bereitgestellte Fortbildung
- Wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine betriebliche Altersversorgung über einen Versorgungsträger zusagt, der Name und die Anschrift dieses Versorgungsträgers; die Nachweispflicht entfällt, wenn der Versorgungsträger zu dieser Information verpflichtet ist.
- Das bei der Kündigung des Arbeitsverhältnisses vom Arbeitgeber und Arbeitnehmer einzuhaltende Verfahren, mindestens das Schriftformerfordernis und die Fristen für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses, sowie die Frist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage; § 7 des Kündigungsschutzgesetzes ist auch bei einem nicht ordnungsgemäßen Nachweis der Frist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage anzuwenden.
Die bisher geltenden Fristen werden verkürzt.
Bei Arbeitsverhältnissen, die ab dem 01. August 2022 geschlossen werden, hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die folgenden Informationen schriftlich,
spätestens am ersten Arbeitstag
- Name und die Anschrift der Vertragsparteien
- Arbeitsentgelt und seine Zusammensetzung
- Arbeitszeit
innerhalb von sieben Tagen
- Zeitpunkt des Beginns des Arbeitsverhältnisses
- Dauer einer etwaig vereinbarten Probezeit
- Möglichkeit der Anordnung von Überstunden, sofern vereinbart
- Bei Arbeit auf Abruf nach § 12 Teilzeit- und Befristungsgesetz: Arbeitsleistung nach Arbeitsanfall zu erbringen ist, die Zahl der mind. zu vergüteten Stunden, der Zeitrahmen der für die Erbringung der Arbeitsleistung festgelegt ist, die Frist innerhalb der der Arbeitgeber die Lage der Arbeitszeit im Voraus mitzuteilen hat
sowie alle übrigen Informationen spätestens einen Monat nach dem vereinbarten Beginn des Arbeitsverhältnisses schriftlich zukommen zu lassen.
Die Niederschrift, der im Nachweisgesetz genannten Bedingungen, wird in der Regel im Arbeitsvertrag erfolgen, dies ist jedoch nicht zwingend erforderlich. Es ist ebenso möglich dem Arbeitnehmer ein entsprechendes Schriftstück (Informationsblatt o.ä.) auszuhändigen.
Beschäftigte, die bereits vor dem 01. August 2022 beschäftigt waren, haben das Recht ihren Arbeitgeber aufzufordern, sie über die wesentlichen Vertrags- und Arbeitsbedingungen zu Informieren. Wesentliche Vertragsbedingungen sind dem Arbeitnehmer innerhalb von sieben Tagen, alle weiteren Informationen innerhalb eines Monats schriftlich auszuhändigen. Eine Änderung oder Ergänzung des Arbeitsvertrages ist hierfür nicht zwingend erforderlich. Auch hier kann die Mitteilung durch ein Informationsblatt erfolgen.
Für die Dokumentation der im Nachweisgesetz genannten Bedingungen gilt ein strenges Schriftformerfordernis. Das heißt, für Arbeitsverträge, dass diese ausgedruckt, von beiden Seiten eigenhändig unterzeichnet und persönlich übergeben oder postalisch zugesandt werden müssen.
Eine digitale Unterschrift, wie sie in vielen Unternehmen bereits gang und gäbe ist, reicht nicht aus. Die elektronische Form (qualifizierte elektronische Signatur) ausgeschlossen. Ebenso verhält es sich, wenn die Dokumentation durch ein Informationsblatt erfolgt. Dieses ist im Original durch den Arbeitgeber zu unterzeichnen und dem Arbeitnehmer auszuhändigen. Den Erhalt des Originaldokuments ist vom Arbeitnehmer quittieren zu lassen, da nur so der Nachweis geführt werden kann, dass die Schriftform eingehalten wurde.
Des Weiteren ist ein Verstoß gegen das Nachweisgesetz seit dem 01. August 2022 bußgeldbewehrt und kann pro Verstoß mit einem Bußgeld von bis zu 2.000 € geahndet werden.
Insofern sind entsprechenden Informationen vollständig sowie form- und fristgerecht den Arbeitnehmern zukommen zu lassen.
III. To-Dos für Arbeitgeber
Arbeitsvertragsmuster, die ab dem 01. August 2022 Verwendung finden, sind, um die o.g. zusätzlichen Bedingungen zu ergänzen. Ein Informationsblatt in Schriftform sollte dann vorbereitet und dem Arbeitnehmer übergeben werden, wenn Arbeitsverträge nur noch in Textform oder in elektronischer Form geschlossen werden. Der Erhalt des Informationsblattes sollte vom Arbeitnehmer zu Beweiszwecken quittiert werden.
Für Arbeitnehmer, die bereits vor dem 01. August 2022 beschäftigt waren, sollte ein entsprechendes Informationsblatt vorbereitet werden, um eine fristgerechte schriftliche Mitteilung zu ermöglichen.
Sollten sich außerdem im laufenden Betrieb wesentliche Arbeitsbedingungen ändern, ist der Arbeitgeber verpflichtet die Belegschaft initiativ bereits am Tag der Änderung schriftlich davon zu unterrichten. Die Einhaltung des Schriftformerfordernisses ist in jedem Fall sicherzustellen
Mitglieder des Betriebsrats dürfen gemäß § 78 Satz 2 BetrVG „wegen ihrer Tätigkeit nicht benachteiligt oder begünstigt werden“. Was so einfach klingt, kann in der Praxis erheblich kompliziert und sogar strafrechtlich riskant sein, wie etwa ein aktuelles Urteil des LG Braunschweig (v. 28.09.2021 – 16 KLs 85/19) zeigt.
§ 78 BetrVG soll die innere und äußere Unabhängigkeit der Betriebsratsmitglieder gewährleisten, die ihr Amt gemäß § 37 Abs. 1 BetrVG unentgeltlich als Ehrenamt führen.
„Unentgeltlich“ bedeutet freilich nicht, dass Mitglieder des Betriebsrats keinen Anspruch auf Vergütung hätten. Im Gegenteil, schützt § 37 Abs. 4 BetrVG die Betriebsratsmitglieder gerade davor, dass sich die Bemessungsgrundlage ihres Arbeitsentgelts wegen der Übernahme des Amtes verschlechtert. Das Betriebsratsmitglied soll hinsichtlich der Höhe des Arbeitsentgelts (in all seinen Bestandteilen, wie z.B. Zulagen, Sozialleistungen, vermögenswirksame Leistungen, Gewinnbeteiligungen, Leistungen der betrieblichen Altersvorsorge etc.) vielmehr so gestellt werden, wie es stehen würde, wenn es das Betriebsratsamt nicht übernommen hätte, woraus (notwendig) auch ein Anspruch auf Gehaltserhöhung folgt, und zwar in dem Umfang, in dem die Gehälter vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung erhöht werden. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) spricht insoweit vom Erfordernis einer „fiktiven Laufbahnnachzeichnung“ (z.B. Urteil v. 14.07.2010 – 7 AZR 359/09).
Gleichzeitig verbietet das Gesetz aber jegliche Gewährung eines Entgelts für die Betriebsratstätigkeit bzw. jegliche Bemessung des Entgelts nach der Bewertung der Betriebsratstätigkeit.
Genau hier beginnt die Gradwanderung.
Denn nach ständiger Rechtsprechung des BAG ist jede objektive Besserstellung im Vergleich zu anderen Arbeitnehmern, die nicht auf sachlichen Gründen, sondern auf der Tätigkeit als Betriebsratsmitglied beruht, eine untersagte Begünstigung (z.B. Urteil v. 29.08.2018 – 7 AZR 206/17).
Betriebsräte „kraft Amtes“ als „Co-Manager“ zu betrachten und auf „Führungskräfteniveau“ zu vergüten, liegt demnach deutlich außerhalb des Korridors hypothetischer Betrachtung!
Entlang dieser Linie, aber erheblich niederschwelliger, entschied z.B. das LAG Berlin-Brandenburg (Urteil v. 11.02.2020 – 7 Sa 997/19) und jüngst auch das LAG Nürnberg (Urteil v. 05.04.2022 – 7 Sa 238/21), dass es (auch) einen Verstoß gegen das Begünstigungsverbot des § 78 Satz 2 BetrVG darstellt, wenn einem Betriebsratsvorsitzenden ein Dienstwagen auch zur privaten Nutzung überlassen wird, der ihm ohne diese Funktion nicht überlassen worden wäre und auch sonst kein sachlicher Grund dafür ersichtlich ist. Eine solche Vereinbarung ist infolgedessen nach § 138 BGB nichtig.
Eine allgemeingültige Regel nach dem Motto „Kein Dienstwagen für Betriebsratsvorsitzende“ folgt hieraus gleichwohl nicht. Denn auch ein „überobligatorischer“ Dienstwagen muss nicht zwangsläufig eine Begünstigung sein, wenn und soweit er für die Betriebsratsarbeit förderlich und somit – auch im Interesse des Arbeitgebers – sachlich gerechtfertigt ist (z.B., weil der Betriebsratsvorsitzende damit nicht mehr auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen ist, wodurch Wartezeiten und Verzögerungen entfallen und die Betriebsratsaufgaben zeitlich zuverlässiger und schneller erledigen werden können).
Ist eine bestimmte Zuwendung aber sachlich begründet, ist zudem auch der Vorwurf der Untreue, § 266 StGB, entkräftet und eine entsprechende Strafdrohung somit unverhältnismäßig.
Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass bei einer pandemiebedingten Geschäftsschließung dem Gewerberaummieter grundsätzlich ein Anspruch auf Reduzierung der Miete zusteht (BGH, Urteil vom 12. Januar 2022, XII ZR 8/21). Der BGH hat dieses Recht mit einer Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 Abs. 1 BGB) begründet, nachdem er das Vorliegen eines Mangels des Mietgegenstandes abgelehnt hatte.
Prüfung aller Umstände des Einzelfalls
Allerdings muss, so der BGH, unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, geprüft werden, ob dem Mieter das Festhalten am unveränderten Vertrag unzumutbar ist.
Eine Reduzierung der Miete um die Hälfte hat der BGH als zu pauschal abgelehnt: Weil das Risiko einer pandemiebedingten Gebrauchsbeschränkung der Mietsache keine der beiden Vertragsparteien allein treffe, seien bei der vorzunehmenden Abwägung
- die konkreten Nachteile, die dem Mieter durch die Geschäftsschließung entstanden sind,
- die Maßnahmen, die der Mieter ergriffen hat oder ergreifen konnte, um die drohenden Verluste zu mindern,
- die finanziellen Vorteile, die der Mieter aus staatlichen Leistungen zum Ausgleich der pandemiebedingten Nachteile erlangt hat,
- Leistungen einer einstandspflichtigen Betriebsversicherung und
- die Interessen des Vermieters
zu berücksichtigen.
Auswirkungen für Folgen des Ukraine-Krieges
Das Urteil ist wegweisend für die Verteilung nicht vorhersehbarer Risiken zwischen den Parteien eines Vertrages und dürfte über die Covid-19-Pandemie hinaus auch Bedeutung für im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses nicht vorhersehbare Folgen des Ukraine-Krieges haben.
Zeitpunkt des Vertragsabschlusses
Ist allerdings das Risiko im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bereits bekannt, kommt eine Anpassung des Vertrages über § 313 BGB nicht mehr in Betracht. Denn dann fehlt es bereits an einer Veränderung „nach Vertragsschluss“, die § 313 Abs. 1 BGB voraussetzt. Daraus folgt: Für Verträge, die nach Erlass der ersten Lockdown-Allgemeinverfügungen der Landesregierungen im März 2020 geschlossen wurden, kommt eine Vertragsanpassung wegen Geschäftsschließung infolge der Covid-19-Pandemie ebenso wenig in Betracht wie für nach dem 24. Februar 2022 geschlossene Verträge wegen Folgen des Ukraine-Krieges.
Vertragliche Risikoverteilung
Für Verträge, die später abgeschlossen wurden und in Zukunft noch abgeschlossen werden, steht § 313 BGB wegen Auswirkungen des Ukraine-Krieges und der Covid-19-Pandemie, beispielsweise im Falle einer neuen Infektionswelle mit neuen Virusvarianten und erneuten Lockdowns, oder im Falle weiterer Preisexplosionen aufgrund weiterer Wirtschaftssanktionen gegen Russland, nicht zur Verfügung. In diesen Fällen kommt nur eine vertragliche Risikoverteilung in Betracht.
Wegen der strengen AGB-Rechtsprechung des BGH ist der Spielraum für vertragliche Risikoverteilungsklauseln auch in B2B-Verträgen sehr eng.