Vergaberechtstransformationsgesetz: Chancen und notwendige Verbesserungen

Die Bundesregierung hat Ende 2024 mit dem Entwurf des Gesetzes zur Transformation des Vergaberechts (Vergaberechtstransformationsgesetz, Drucksache 20/14344) eine Reform angestoßen, die das Vergaberecht vereinfachen und effizienter gestalten soll. Ziel ist es, Wirtschaft und Verwaltung von unnötigem Mehraufwand zu entlasten, Vergabeverfahren zu beschleunigen und Nachhaltigkeitskriterien stärker zu berücksichtigen.

Notwendige Änderungen im Beschwerdeverfahren

Der aktuelle Entwurf enthält zwar positive Ansätze zur Verkürzung der Verfahren vor den Vergabekammern, doch bleibt eine erhebliche Schwachstelle im Beschwerdeverfahren gegen deren Entscheidungen bestehen. Nach der derzeitigen Rechtslage entfällt das Zuschlagsverbot für den Auftraggeber gemäß § 173 Abs. 1 S. 2 GWB zwei Wochen nach Ablauf der Beschwerdefrist, sofern der Nachprüfungsantrag durch die Vergabekammer abgewiesen wurde und vom Antragsteller eine Beschwerde eingelegt wurde. Damit das Zuschlagsverbot aufrechterhalten bleibt, muss der Antragsteller zwingend vor Ablauf dieser Frist einen Eilantrag gem. § 173 Abs. 1 S. 3 GWB stellen. Da der Beschwerdeführer die Beschwerdefrist in der Regel maximal ausreizt, verbleiben dem zuständigen Oberlandesgericht (OLG) nach den gesetzlichen Regelungen häufig lediglich zwei Wochen, um über den Eilantrag zu entscheiden. Eine rechtswahrende Entscheidung bis zum gesetzlich vorgesehenen Wegfall des Zuschlagsverbotes ist praktisch unmöglich, sodass Gerichte häufig auf sogenannte „Schiebeverfügungen“ zur Verlängerung des Zuschlagsverbots zurückgreifen, obwohl diese gesetzlich nicht vorgesehen sind. Solche Schiebeverfügungen sind Anordnung, dass das Zuschlagsverbot bis zu einer Entscheidung über den Eilantrag vorläufig bestehen bleibt. Insbesondere in Berlin führt dies beim Kammergericht jedoch leider dazu, dass über den Eilantrag lange nicht oder im Extremfall sogar gar nicht vor der Hauptsacheentscheidung entschieden wird.

Um dies zukünftig auszuschließen, wäre es aus unserer Sicht zwingend erforderlich, dem OLG eine gesetzliche Frist zur Entscheidung über den Eilantrag zu setzen, beispielsweise vier Wochen nach dessen Eingang. Verstreicht diese Frist ohne Entscheidung, könnte als Rechtsfolge eine Ablehnungsfiktion des Eilantrags eintreten, wodurch das Zuschlagsverbot entfiele und der Auftraggeber den Zuschlag erteilen kann, obwohl in der Hauptsache über die Beschwerde noch nicht entschieden ist. Sie wäre aus unserer Sicht auch rechtsstaatlich vertretbar, da nach der Gesetzesbegründung zu Änderungen des § 176 Abs. 1 GWB im Entwurf des Vergabetransformationsgesetzes die Verlängerung des Zuschlagverbotes im Beschwerdeverfahren ohnehin die Ausnahme und nicht die Regel sein soll. Eine entsprechende Regelung könnte als neuer Absatz 4 in § 176 GWB aufgenommen werden.

Automatische Übertragung der Sachentscheidungsbefugnis auf das OLG

Eine weitere Unzulänglichkeit betrifft die vorgesehenen Änderungen in § 167 Abs. 1 GWB. Zwar wird die mehrfache Verlängerung der Entscheidungsfristen durch die Vergabekammern eingeschränkt, jedoch erfolgt ein Übergang der Sachentscheidungsbefugnis auf das OLG nur, wenn der Antragsteller eine entsprechende Beschwerde einlegt. Bleibt diese aus, verbleibt das Verfahren bei der Vergabekammer, obwohl sie ihre Entscheidungsfrist nicht mehr verlängern darf. Dies führt zu der absurden Situation, dass die Vergabekammer zwar nach § 167 GWB n.F. ihre eigene Entscheidungsfrist nicht mehr mehrfach verlängern darf, dies aber nur dann Rechtsfolgen hat, wenn der Antragsteller eine entsprechende Beschwerde einreicht. In vielen Fällen liegt es jedoch nicht im Interesse des Antragstellers, das Verfahren zu beschleunigen, insbesondere, wenn er als Bestandslieferant bis zu einer Entscheidung über den Nachprüfungsantrag am Fortbestand des Vertrags wirtschaftlich profitiert.

Um eine echte Beschleunigung zu erreichen, sollte § 171 Abs. 2 GWB dahingehend geändert werden, dass der ergebnislose Ablauf der Entscheidungsfrist nach § 167 Abs. 1 GWB automatisch und nicht nur auf Antrag des Beschwerdeführers zur Ablehnungsfiktion des § 171 Abs. 2 2. HS GWB führt.

Anhebung der Wertgrenzen für Auftragsvergaben

Neben den bundesrechtlichen Regelungen gibt es auch auf Länderebene Optimierungsbedarf. Eine massive Entbürokratisierung der Angebotseinholung sowie deutlich Entlastung der Vergabestellen als auch der Bieter könnte durch eine substanzielle Erhöhung der Wertgrenzen für Direktvergaben und Verhandlungsvergaben ohne Teilnahmewettbewerb erreicht werden. Bayern und Baden-Württemberg haben die Wertgrenze für Direktvergaben bereits auf 100.000 Euro netto und die Wertgrenze für Verhandlungsvergaben auf 221.000 Euro netto angehoben.

In Berlin und im Bund ist derzeit eine Erhöhung der Wertgrenze für Direktvergaben auf lediglich 15.000 Euro netto geplant. Diese Anpassung ist unzureichend. Die aktuellen niedrigen Wertgrenzen und die daraus folgenden formalen Anforderungen an den Vergabeprozess bei Auftragswerten gerade im Bereich kleiner und mittlerer fünfstelliger Beträge führen dazu, dass es kaum noch möglich ist, die eigentlich geforderten und aus Gründen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit wünschenswerten mindestens drei Angebote zu erhalten. Oftmals führt das dazu, dass aufgrund des hohen Aufwands eines formellen Vergabeverfahrens keine Angebote abgegeben werden. Dies widerspricht dem Grundgedanken eines funktionierenden Wettbewerbs und führt dazu, dass oft nur der Bestandslieferant ein Angebot einreicht.

Fazit

Das Vergaberechtstransformationsgesetz enthält sinnvolle Ansätze zur Beschleunigung und Vereinfachung von Vergabeverfahren. Jedoch bestehen weiterhin erhebliche Defizite, insbesondere im Bereich der Beschwerdeverfahren und der Entscheidungsbefugnisse der OLGs. Eine klare Fristenregelung für Eilanträge sowie eine automatische Übertragung der Sachentscheidungsbefugnis an das OLG nach Fristablauf wären entscheidende Verbesserungen. Zudem sollte Berlin dem Beispiel anderer Bundesländer folgen und die Wertgrenzen für Direktvergaben deutlich anheben, um eine pragmatischere und wirtschaftlichere Vergabepraxis zu ermöglichen. Eine konsequente Umsetzung dieser Maßnahmen würde das Vergaberecht nachhaltiger, effizienter und praxisnäher gestalten.

Geplante UWG-Änderung: Diese Werbemaßnahmen werden bald verboten!

Der rechtliche Rahmen für Werbung und Unternehmenskommunikation wird erneut verschärft. Werbeaussagen zu Umweltschutz und Nachhaltigkeit – sogenannte Green Claims – sowie zur Produktqualität sollen strenger reguliert werden, das geht aus einem Entwurf aus dem Justizministerium hervor.

Warum soll das UWG geändert werden?

Das Bundesjustizministerium hat einen Diskussionsentwurf zur Änderung des UWG veröffentlicht.
Mit den vorgeschlagenen Änderungen soll Richtlinie (EU) 2024/825 zur Stärkung der Verbraucher für den ökologischen Wandel durch besseren Schutz gegen unlautere Praktiken und durch bessere Informationen umgesetzt werden.

Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf Greenwashing und umweltbezogenen Werbeaussagen. Die neuen Vorschriften sollen für mehr Transparenz sorgen und Verbrauchern ermöglichen, informierte Kaufentscheidungen zu treffen.

Welche Werbemaßnahmen werden künftig verboten?

  1. Vage oder unbelegte Umweltaussagen

Allgemeine Begriffe wie „klimaneutral“, „nachhaltig“ oder „umweltfreundlich“ sind künftig nur noch erlaubt, wenn sie klar definiert und mit klaren Spezifizierungen belegt werden. Unternehmen müssen entweder auf wissenschaftlich fundierte Umweltstandards zurückgreifen oder detaillierte Umsetzungspläne veröffentlichen.

  1. Irreführende Nachhaltigkeitssiegel

Nur staatlich anerkannte oder von unabhängigen Dritten zertifizierte Umwelt- und Nachhaltigkeitssiegel dürfen weiterhin verwendet werden. Eigene, nicht überprüfbare Label sind künftig unzulässig. Außerdem müssen die Bewertungskriterien zugänglich sein.

  1. Kompensation von Treibhausgasemissionen

Verboten wird die Werbung mit einer Aussage, die sich auf die Kompensation von Treibhausgasemissionen gründet. Man darf zukünftig also nicht mehr z.B. mit „klimaneutral“ werben, wenn diese Klimaneutralität nur durch Ausgleichszahlungen erreicht wird.

  1. Unwahre Angaben zur Haltbarkeit und Reparierbarkeit

Unternehmen dürfen keine überzogenen Versprechungen zur Langlebigkeit oder Reparaturfähigkeit von Produkten machen. Zudem ist es unzulässig, Waren mit absichtlich verkürzter Haltbarkeit zu bewerben oder deren Reparierbarkeit falsch darzustellen.

  1. Umweltaussagen, die sich auf das gesamte Produkt oder Unternehmen beziehen, werden verboten, wenn sich die Umweltaussage nur auf einen Teil bezieht.

Werbung mit irrelevanten Informationen

Es soll auch ein neuer Irreführungstatbestand eingeführt werden: Die Werbung mit einem Vorteil für den Verbraucher, der irrelevant ist und sich nicht aus einem Merkmal des Produktes oder der Geschäftstätigkeit ergibt, ist künftig unzulässig.

Wann genau ein Vorteil irrelevant ist, muss im Einzelfall ermittelt werden. Erwägungsgrund 5 der Richtlinie nennt die folgenden zwei Beispiele:

  • Werbung mit „glutenfrei“ bei abgefülltem Wasser
  • Werbung mit dem Wort „kunststofffrei“ für Papierblätter

Welche Folgen hat die UWG-Änderung für Unternehmen?

Unternehmen sollten ihre Marketingunterlagen (Website, Flyer, Darstellung in sozialen Medien etc.) prüfen und ggfs. überarbeiten. Schon heute können Werbeaussagen mit Umweltbezug irreführend sein, zukünftig wird dies aber noch weiter verschärft.

Die Risiken bei Verstößen sind hoch: Es drohen Abmahnungen und Reputationsverluste.

Besonders betroffen sind Branchen, die stark mit Umwelt- und Nachhaltigkeitsversprechen werben, wie z.B. die Lebensmittel-, Möbel-, Mode- und Elektronikindustrie.

Wie können Unternehmen sich vorbereiten?

  • Werbemaßnahmen überprüfen: Bestehende Marketingkampagnen und Produktkennzeichnungen auf rechtskonforme Aussagen prüfen.
  • Nachweise sichern: Umwelt- und Nachhaltigkeitsaussagen mit belastbaren Studien, Zertifizierungen und öffentlich einsehbaren Berichten untermauern. Wer nach der Änderung des UWG mit Umweltaussagen werben will, sollte sich früh vorbereiten, da entsprechende Zertifizierungen Zeit benötigen.
  • Zertifizierte Siegel verwenden: Falls eigene Labels genutzt werden, sollten diese durch Siegel anerkannter Zertifizierungssysteme ersetzt werden. Eigene Labels sind künftig unzulässig!
  • Klare und wahre Produktangaben machen: Informationen zu Haltbarkeit, Reparierbarkeit und Software-Updates korrekt und transparent kommunizieren.
  • Rechtliche Beratung einholen: Eine frühzeitige Prüfung kann helfen, teure Verstöße zu vermeiden.

Ab wann gelten die neuen Vorgaben?

Noch ist ausreichend Zeit, sich auf die Änderungen vorzubereiten. Die EU-Richtlinie muss bis zum 27. März 2026 umgesetzt werden und die neuen Vorschriften müssen dann ab dem 27. September 2026 angewendet werden.

Durch die vorgezogene Bundestagswahl wird das Diskussionspapier aus dem Justizministerium erst nach der Wahl seinen Weg in den Bundestag finden. Da es sich um eine Umsetzung einer EU-Richtlinie handelt, kann man das aktuelle Papier aber jetzt schon als Orientierungshilfe nutzen. Wir gehen nicht davon aus, dass es noch wesentliche, inhaltliche Änderungen geben wird.

Sollte es dennoch nicht zu einer (rechtzeitigen) Umsetzung kommen, wären die Gerichte verpflichtet, das bestehende nationale Recht europarechtskonform auszulegen. Insbesondere hinsichtlich der irreführenden Verwendung von Green Claims stellt dies keine große Herausforderung dar. So hat der BGH (Urt. v. 27.06.2024, I ZR 98/23) schon nach geltendem Recht die Werbung mit dem Wort „klimaneutral“, wenn keine weiteren Erklärungen dazu erfolgen.

Die Richtlinie findet zwar keine unmittelbare Anwendung. Da es sich aber um eine Präzisierung der bestehenden Unlauterkeitstatbestände handelt, können die nationalen Gerichte die Vorgaben aus der Richtlinie grundsätzlich auch in den allgemeinen Irreführungstatbestand hineinlesen.

Fazit: Jetzt vorbereiten, um künftige Abmahnungen zu vermeiden!

Die geplante UWG-Änderung bringt tiefgreifende Änderungen für die Werbung sowie die Unternehmenskommunikation. Wer weiterhin mit Umwelt- und Nachhaltigkeitsversprechen werben möchte, muss künftig strengere Nachweispflichten erfüllen. Unternehmen sollten sich frühzeitig anpassen, um rechtliche Risiken zu minimieren und das Vertrauen der Verbraucher zu erhalten.

Werbung mit einem mehrdeutigen umweltbezogenen Begriff wie „klimaneutral“ ist regelmäßig nur dann zulässig, wenn in der Werbung selbst erläutert wird, welche konkrete Bedeutung diesem Begriff zukommt. Das hat der Bundesgerichtshof am 27. Juni 2024 entschieden (Az. I ZR 98/23).

Sachverhalt

Ein Hersteller von Produkten aus Fruchtgummi und Lakritz hatte in einer Fachzeitung der Lebensmittelbranche mit der Aussage geworben, dass er seit 2021 alle Produkte klimaneutral produziere. Der Hersteller hatte zudem ein Logo verwendet, das den Begriff „klimaneutral“ zeigt und auf die Internetseite eines „ClimatePartner“ hingewiesen. Tatsächlich läuft der Herstellungsprozess der Produkte jedoch nicht CO2-neutral ab. Der Hersteller unterstützt vielmehr lediglich über den „ClimatePartner“ Klimaschutzprojekte.

Entscheidung

Der BGH entschied, dass diese Werbung irreführend im Sinne von § 5 UWG ist.

Gesteigertes Aufklärungsbedürfnis und strenge Anforderungen bei umweltbezogener Werbung

Im Bereich der umweltbezogenen Werbung – ebenso wie bei gesundheitsbezogener Werbung – ist eine Irreführungsgefahr besonders groß. Deshalb besteht ein gesteigertes Aufklärungsbedürfnis der angesprochenen Verkehrskreise über Bedeutung und Inhalt der verwendeten Begriffe und Zeichen. An die zur Vermeidung einer Irreführung erforderlichen aufklärenden Hinweise sind daher grundsätzlich strenge Anforderungen zu stellen, die sich im Einzelfall nach der Art des Produkts und dem Grad und Ausmaß seiner „Umweltfreundlichkeit“ bestimmen.

Mehrdeutiger Begriff „klimaneutral“

Der Begriff „klimaneutral“ ist mehrdeutig, weil er sowohl im Sinne einer Vermeidung von CO2-Emissionen im Produktionsprozess als auch im Sinne einer bloßen CO2-Kompensation von verstanden werden kann.

Erläuterung in der Werbung selbst ist erforderlich

Bei einer Werbung, die einen mehrdeutigen umweltbezogenen Begriff wie „klimaneutral“ verwendet, muss zur Vermeidung einer Irreführung regelmäßig bereits in der Werbung selbst eindeutig und klar erläutert werden, welche konkrete Bedeutung maßgeblich ist. Aufklärende Hinweise außerhalb der umweltbezogenen Werbung sind insoweit nicht ausreichend.

Kompensation ist nicht gleichwertig zur Reduktion

Erfreulich ist die Klarstellung des BGH, dass eine bloße Kompensation, etwa durch finanzielle Unterstützung von Klimaschutzprojekten oder den Erwerb von Emissionszertifikaten, einer Reduktion von CO2-Emissionen nicht gleichwertig ist. Die Reduktion ist gegenüber der Kompensation unter dem Gesichtspunkt des Klimaschutzes vorrangig. Deshalb ist eine Erläuterung des Begriffs „klimaneutral“ erforderlich. Die Irreführung ist auch wettbewerblich relevant, da die Bewerbung eines Produkts mit einer vermeintlichen Klimaneutralität für die Kaufentscheidung des Verbrauchers von erheblicher Bedeutung ist.

Bedeutung der Entscheidung

Die Entscheidung hat erhebliche Bedeutung, auch für die IT-Industrie. Denn Unternehmen, die Computerhardware und Software herstellen, Betreiber von Rechenzentren usw. werben gerne damit, dass ihre Produkte oder ihr Unternehmen „klimaneutral“ seien.

Auch Unternehmen, die das Schlagwort „Green IT“ zur Bewerbung ihrer Produkte verwenden, müssen die strengen Anforderungen an umweltbezogene Werbung erfüllen und in der Werbung selbst eindeutig und klar erläutern, inwiefern ihre Produkte konkret umweltfreundlich sind.

OLG Frankfurt zur Zulässigkeit der Einführung neuer Vertriebsverträge bei noch laufenden Altverträgen

Auch Unternehmen, die Vertriebssysteme mit selbständigen Vertriebspartnern wie Vertragshändlern oder Franchise-Nehmern unterhalten, müssen die Möglichkeit haben, sich immer wieder den Anforderungen des Marktes und des Wettbewerbs zu stellen und ihre Geschäftsmodelle daran auszurichten und weiterzuentwickeln. Häufig hat dies zur Folge, dass die laufenden Verträge mit den Vertriebspartnern an geänderte Strukturen, Strategien oder Konditionen angepasst werden müssen und neue Verträge die Altverträge vorzeitig ablösen sollen. Nun sind aber Vertriebsverträge als Dauerschuldverhältnisse mit zum Teil langjährigen Festlaufzeiten und einheitlichen Inhalten ausgestaltet und nicht einseitig abänderbar.

Eine Änderungskündigung führt bei einem Relaunch in Vertriebssystemen fast immer zu dem wenig wünschenswerten Nebeneinander von unterschiedlichen Alt- und Neuverträgen. Mit der Zulässigkeit einer solchen Änderungskündigung, die die Vertragshändler von Jaguar und Land Rover betraf, und der Frage, ob dadurch unter dem Gesichtspunkt der Behinderung in unzulässiger Weise Druck ausgeübt wird, um die bisherigen Vertragshändler zum Abschluss der neuen Vertriebsverträge zu bewegen, hatte sich der Kartellsenat des OLG Frankfurt im Fall „Jaguar Land Rover“ (Urteil vom 13.06.2023 – 11 U 14/23 (Kart)) zu befassen. Das Gericht hielt die Änderungskündigung für zulässig.

I.       Sachverhalt

Der Interessenverband der Jaguar und Land Rover Vertragshändler versuchte die Einführung eines neuen Vergütungssystems im Zusammenhang mit der von der britischen Muttergesellschaft vorgegebenen Einführung einer neuen Vertriebsstrategie zu verhindern. Basis der Zusammenarbeit des Generalimporteurs und der ihm angeschlossenen Vertragshändler waren Händlerverträge aus dem Jahre 2016. Am 10.11.2022 kündigte der Generalimporteur diese Händlerverträge gegenüber sämtlichen Vertragshändlern ordentlich zum 10.11.2024. Zeitgleich übersandte er den Händlern einen neuen Händlervertrag 2023 mit dem Zusatz, ihm Angebote zum Abschluss dieses neuen Vertrages bis zum 31.01.2023 zuzuleiten. Dabei kündigte der Generalimporteur an, Angebote der Händler, die ihm nach dem 31.01.2023 zugehen, nicht mehr zu akzeptieren.

Im Eilverfahren wollte der Händlerverband dem Generalimporteur verbieten lassen, durch diese Vorgehensweise vor Ablauf der Händlerverträge aus dem Jahre 2016 (10.11.2024) ein parallel dazu entstehendes abweichendes Vertriebs- und Margensystem für diejenigen Händler, die der Offerte zum vorzeitigen Abschluss des neuen Vertrages folgen, zu etablieren.

Das OLG Frankfurt hatte über die zentralen Fragen zu entscheiden, ob ein Nebeneinander von Alt- und Neuverträgen im Vertriebssystem zulässig ist, ferner, ob die gesetzte Frist von zweieinhalb Monaten zur Annahme des neuen Vertriebsvertrages, der dann den Altvertrag vorzeitig ablöst, adäquat war.

Der Händlerverband argumentierte, dass die Einführung neuer Händlerverträge vor Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist der alten Händlerverträge faktisch zwei parallele Vertriebssysteme mit unterschiedlichen Preisen und Konditionen schaffe und damit eine Ungleichbehandlung der Händler zur Folge habe, ferner, dass durch das Setzen einer Frist von nur zweieinhalb Monaten für die Annahme der neuen Händlerverträge unzulässiger Druck auf die Händler ausgeübt werde.

II.      Entscheidung

Das OLG Frankfurt wies die Anträge des Händlerverbandes als unbegründet zurück. Es sei weder ein Missbrauch relativer Marktmacht nach §§ 19, 20 GWB nachgewiesen, noch läge ein Verstoß gegen vertragliche Treuepflichten aus § 86a HGB analog vor.

Der klagende Händlerverband kann weder verlangen, dass der Generalimporteur die Gewährung unterschiedlicher Margen noch den Abschluss von Aufhebungsvereinbarungen zum Zweck des Abschlusses der neuen Händlerverträge unterlässt. Vielmehr war der Generalimporteur berechtigt, die Altverträge ordentlich zu kündigen, zumal die vertraglich vorgesehene zweijährige Kündigungsfrist gewahrt war.

Das Gericht führt dazu aus:

„Die Möglichkeit der individuellen ordentlichen Kündbarkeit beinhaltet, dass infolge der Ausübung dieser Option am Markt unterschiedliche Regelungen gleichzeitig existieren können. Mit der – wie ausgeführt uneingeschränkt bestehenden – Möglichkeit der Kündigung der HV 16 ist die Möglichkeit verbunden, im gegenseitigen Einvernehmen schon während der Kündigungsfrist neue Regelungen in Kraft zu setzen. Der Abschluss von Aufhebungsvereinbarungen bei gleichzeitigem Abschluss neuer Verträge führt dann zum hier streitgegenständlichen zeitlichen Nebeneinander inhaltlich unterschiedlicher Regelungen.“

Es ist somit grundsätzlich Sache der Vertragsparteien, ihre Rechtsbeziehung im Rahmen der Privatautonomie so zu gestalten, wie sie es für sinnvoll halten. Dem steht nach Ansicht des Gerichts auch nicht entgegen, dass es sich im vorliegenden Fall um ein qualitativ-quantitativ selektives Vertriebssystem handelt, das grundsätzlich mit einem einheitlichen Vergütungssystem verbunden ist. Der mit einem Nebeneinander unterschiedlich hoher Margen und Vertriebskonditionen verbundene Wettbewerb zwischen den Händlern sei bei einem derartigen Vertriebssystem zwar grundsätzlich nicht beabsichtigt, was aber dem Angebot und Abschluss abweichender individualvertragliche Regelungen nicht entgegenstehe. Soweit der Abschluss von Aufhebungsverträgen und von neuen Händlerverträgen während der laufenden Kündigungsfrist die vertraglich vereinbarte Kündigungsfrist verkürze, könne der durch die Kündigungsfrist geschützte Händler individualvertraglich auf die Einhaltung der vollständigen Kündigungsfrist verzichten.

Da allen Händlern das Angebot auf vorzeitigem Neuabschluss eines Händlervertrages unterbreitet worden war, fehlte es schon an einer Ungleichbehandlung.

Soweit die Händler ihre Angebote zum Abschluss eines Aufhebungsvertrages und des neuen Händlervertrages nur befristet bis zum 31.01.2023 abgeben durften, liegt darin nach Ansicht des Gerichts kein Verstoß gegen die vertragliche Treuepflicht.

Befristungen seien grundsätzlich zulässige vertragliche Mittel, die dem Vertragspartner nach Ablauf einer gewissen Zeit Sicherheit über den zwischen den Parteien herrschenden Zustand geben sollen. Dem Interesse des Generalimporteurs, innerhalb absehbarer Zeit zu erfahren, welche Händler auf Basis der neuen Verträge mit ihm zusammenarbeiten wollen, stehe das ebenfalls berechtigte Interesse der Händler gegenüber, in Ruhe zu prüfen und zu entscheiden, ob sie eine neue Vertragsbeziehung eingehen wollen. Dabei sei die ihnen hierfür eingeräumte Frist von zweieinhalb Monaten keineswegs zu kurz.

Neue Rechtsprechung des BGH zur Form von Unterlassungserklärungen

Eine Unterlassungsverpflichtungserklärung kann als PDF-Datei per E-Mail übersandt werden. Das hat der für gewerblichen Rechtsschutz, Urheberrecht und unlauteren Wettbewerb zuständige I. Zivilsenat des BGH entschieden (Urteil vom 12.1.2023 – I ZR 49/22). Aber Vorsicht: Das gilt zum einen nur für Kaufleute, und zum anderen kann der Abmahnende die Annahme der Unterlassungserklärung ablehnen, wenn er eine Übersendung in Schriftform per Post verlangt hat.

Sachverhalt

Eine Gewerbetreibende hatte im Jahr 2021 ohne Zustimmung eine Werbe-E-Mail für medizinische Masken und eine weitere Werbe-E-Mail für Corona-Schnelltests erhalten. Sie mahnte den Absender der E-Mails ab und forderte ihn unter Fristsetzung zur Unterzeichnung einer Unterlassungsverpflichtungserklärung auf. In der Abmahnung wies sie darauf hin, dass eine Versendung der Erklärung vorab per Fax oder E-Mail genüge, sofern das entsprechende Original spätestens zwei Tage nach Ablauf der gesetzten Frist eingehe. Der Absender der Werbe-E-Mails übersandte innerhalb der gesetzten Frist die gewünschte Erklärung in Textform per E-Mail und hängte an die E-Mail die unterschriebene Unterlassungserklärung als PDF an. Daraufhin teilte die Gewerbetreibende dem Absender der Werbe-E-Mails mit, dass die Angelegenheit mit der Übersendung per E-Mail nicht erledigt sei und dass sie den Vorgang zur Klageerhebung weitergeleitet habe und beauftragte ihren Rechtsanwalt mit der Klageerhebung. Es ging also nur um die Frage, in welcher Form eine Unterlassungsverpflichtungserklärung abgegeben werden muss, und ob eine unterschriebene, als PDF übersandte Unterlassungsverpflichtungserklärung ausreichend ist.

Entscheidung

Wiederholungsgefahr als Voraussetzung für den Unterlassungsanspruch

Die unverlangte Zusendung von Werbe-E-Mails an Gewerbetreibende stellt einen rechtswidrigen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb dar. Nach ständiger Rechtsprechung begründet die Begehung einer unerlaubten Handlung eine Wiederholungsgefahr. Die Gewerbetreibende kann daher gemäß §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB Unterlassung verlangen. Die Wiederholungsgefahr entfällt, wenn der Verletzer eine strafbewehrte Unterlassungsverpflichtungserklärung abgibt. Bestehen jedoch Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Unterlassungserklärung, entfällt die Wiederholungsgefahr nicht.

Form der Unterlassungsverpflichtungserklärung

Die Unterlassungsverpflichtungserklärung unterliegt zwar keinem gesetzlichen Formzwang im Sinne von § 126 Abs. 1 BGB; die Vereinbarung, auf die die Unterlassungsverpflichtungserklärung abzielt, stellt aber ein abstraktes Schuldanerkenntnis dar und unterliegt daher grundsätzlich dem Schriftformerfordernis gemäß §§ 780 Satz 1, 781 Satz 1 BGB. Wird die Unterlassungsverpflichtungserklärung allerdings von einem Kaufmann im Rahmen seines Handelsgewerbes abgegeben, entfällt das Schriftformerfordernis gemäß §§ 343 Abs. 1, 350 HGB.

Keine Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Unterlassungsverpflichtungserklärung

Der BGH hatte vor mehr als 30 Jahren entschieden, dass eine Unterlassungsverpflichtungserklärung per Fernschreiben nicht ausreichend ist, weil ein Fernschreiben maschinell gefertigt und nicht unterzeichnet ist, woraus sich Zweifel an der Urheberschaft der Erklärung ergeben können. Diese Zweifel, so der BGH in der aktuellen Entscheidung, bestehen bei der Übersendung einer unterschriebenen Unterlassungserklärung per E-Mail nicht. Bei der Beurteilung der Ernsthaftigkeit müssen die seit dem Gebrauch von Fernschreiben fortgeschrittene Entwicklung der Technik und die Usancen des Rechtsverkehrs berücksichtigt werden, dass sich zwischenzeitlich die Übermittlung von rechtsverbindlichen Erklärungen per E-Mail im Geschäfts- und Rechtsverkehr durchgesetzt hat.

Überraschende Wendung

In dem Fall gab es dann aber doch noch eine überraschende Wendung. Denn der BGH hat Ende 2022 seine Rechtsprechung zum Wegfall der Wiederholungsgefahr geändert. Nach früherer Rechtsprechung genügte für den Wegfall der Wiederholungsgefahr der Zugang einer einseitig vom Unterlassungsschuldner abgegebenen strafbewehrten Unterlassungserklärung, und zwar auch dann, wenn der Gläubiger die Annahme der Unterlassungserklärung ablehnte.

Ablehnung der Unterlassungserklärung durch den Unterlassungsgläubiger

Von dieser Rechtsprechung ist der I. Zivilsenat des BGH abgerückt: Mit Urteil vom 1.12.2022 – I ZR 144/21 hat er entschieden, dass es an einem Wegfall der Wiederholungsgefahr fehlt, wenn und sobald der Unterlassungsgläubiger die Annahme der Unterlassungserklärung gegenüber dem Schuldner ablehnt. Denn dann kommt der vom Schuldner durch Abgabe der Unterlassungserklärung angebotene Unterlassungsvertrag nicht zustande, und der Gläubiger kann im wiederholten Verletzungsfall die Vertragsstrafe nicht verlangen. Da auch im aktuellen Fall die Gläubigerin die per E-Mail übersandte strafbewehrte Unterlassungserklärung abgelehnt hat, war mit der Ablehnung des Unterlassungsvertrags die Wiederholungsgefahr nicht mehr weggefallen.

Verlangen einer bestimmten Unterlassungserklärung durch den Gläubiger

Anders ist es nur, wenn der Gläubiger mit der Abmahnung eine bestimmte Unterlassungserklärung verlangt, und der Schuldner diese unverändert abgibt. Denn dann hat der Gläubiger dem Schuldner ein Angebot zum Abschluss eines Unterlassungsvertrages unterbreitet, und der Schuldner hat dieses angenommen. Gibt der Schuldner hingegen eine Unterlassungserklärung ab, die von der vom Gläubiger verlangten Unterlassungserklärung nur geringfügig und unwesentlich abweicht, stellt dies keine Annahme des Angebots des Gläubigers dar, sondern ein neues Angebot auf Abschluss eines (abgeänderten) Unterlassungsvertrages (§ 150 Abs. 2 BGB).

Im aktuellen Fall sah der BGH in der Abmahnung eine Aufforderung zum Abschluss eines Unterlassungsvertrages unter Einhaltung einer gewillkürten Schriftform gemäß § 127 Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 126 Abs. 1 BGB. Dieser Aufforderung kam der Schuldner nicht nach, da er lediglich eine nicht der Schriftform genügende PDF-Datei per E-Mail übersandt hatte. Die Übersendung der PDF-Datei stellte daher eine Ablehnung der Vereinbarung der gewillten Schriftform verbunden mit einem neuen Angebot auf Abschluss eines Unterlassungsvertrages in Textform dar. Dieses Angebot konnte die Unterlassungsgläubigerin ablehnen.

Fazit

Bei der Abgabe von Unterlassungserklärungen sind die Anweisungen des Abmahnenden hinsichtlich der Form der Unterlassungserklärung genau zu befolgen. Nur wenn der Abgemahnte Kaufmann ist und in der Abmahnung keine besondere Form der Unterlassungserklärung verlangt wird, ist die Unterzeichnung und Übersendung als PDF-Datei ausreichend.

Beitrag von Ruth Dünisch zur neuen Vertikal-Gruppenfreistellungsverordnung der EU-Kommission

Am 1. Juni 2022 trat die neue EU Vertikal-Gruppenfreistellungsverordnung (Vertikal-GVO) und die sie ergänzenden neuen „Leitlinien für vertikale Beschränkungen“ in Kraft, die für die nächsten zwölf Jahre auch im deutschen Recht gelten und den kartellrechtlichen Rahmen für Vertriebsverträge und damit auch für Franchiseverträge vorgeben. Die neue Verordnung sieht mehrere wesentliche Änderungen vor, die das Kartellrecht im Bereich des Vertriebs modernisieren, für mehr Flexibilität sorgen und wichtige Fragen klären.

In der Ausgabe 04/22 des Magazins „FRANCHISE Connect“ stellte unsere Partnerin Ruth Dünisch ausgewählte Neuerungen der neuen Vertikal-GVO vor. So gibt es neben Einschränkungen des dualen Vertriebs nunmehr unter anderem Klarstellungen zur Preisgestaltung, einen flexibleren Gebietsschutz, Änderungen beim Wettbewerbsverbot sowie neue Kernbeschränkungen für den Online-Vertrieb.

Die neuen Regeln schränken einerseits den Anwendungsbereich des kartellrechtlich geschützten Bereichs ein, bieten Unternehmern aber auch völlig neue Möglichkeiten zur Geschäftsentwicklung und Gestaltung ihres Vertriebs.

Den gesamten Beitrag finden Sie hier: https://avr-emags.de/emags/Franchise-Connect/franchise-connect042022/#38

<strong>BGH zur wettbewerbsrechtlichen Haftung für Affiliate-Partner</strong>

Der Bundesgerichtshof hat heute entschieden, dass Amazon nicht für die irreführende Werbung eines Affiliate-Partners haftet, die dieser auf seiner eigenen Website platziert hat (BGH, Urteil vom 26. Januar 2023, I ZR 27/22; die Entscheidungsgründe sind noch nicht veröffentlicht). Im Rahmen des Amazon-Partnerprogramms erhalten Dritte, die auf ihrer eigenen Website Links auf Angebote auf der Verkaufsplattform von Amazon setzen, eine Provision, wenn über diesen Link ein Kauf vermittelt wird.

Sachverhalt

Eine Matratzenherstellerin hielt die Werbung eines solchen Affiliates unter anderem für Matratzen für irreführend, weil die Website optisch einem redaktionellen Online-Magazin entsprach. Sie klagte allerdings nicht unmittelbar gegen diesen Affiliate, sondern gegen Amazon, weil sich auf der Website Links auf entsprechende Angebote auf der Verkaufsplattform von Amazon befanden. Die Matratzenherstellerin machte geltend, dass Amazon sich den Wettbewerbsverstoß ihres Affiliates gemäß § 8 Abs. 2 UWG zurechnen lassen müsse.

Entscheidung

Der BGH entschied ebenso wie die Vorinstanzen (LG Köln und OLG Köln) zugunsten von Amazon.

Keine Erweiterung des Geschäftsbetriebs von Amazon

Er begründete dies damit, dass der innere Grund für die Zurechnung der Geschäftstätigkeit des Beauftragten gemäß § 8 Abs. 2 UWG vor allem in einer dem Betriebsinhaber zugutekommenden Erweiterung des Geschäftsbetriebs und einer gewissen Beherrschung des Risikobereichs durch den Betriebsinhaber liege. An einer solchen Erweiterung des Geschäftsbetriebs von Amazon fehle es aber, wenn Affiliates eigene Produkte oder Dienstleistungen wie im Streitfall eine Website mit redaktionell gestalteten Beiträgen zu den Themen Schlaf und Matratzen nach eigenem Ermessen gestalten.

Auch wenn sie eine solche Website einsetzen, um bei verschiedenen Anbietern mittels Affiliate-Links Provisionen zu verdienen, sei die Werbung auf einer solchen Website ein Teil des Produkts, das inhaltlich von den Affiliates in eigener Verantwortung und im eigenen Interesse gestaltet wird. Die Links würden von ihnen nur gesetzt, um damit Provisionen zu generieren. Dadurch werde der eigene Geschäftsbetrieb jedoch nicht zu einer Erweiterung des Geschäftsbetriebs von Amazon.

Keine Beherrschung des Risikos durch Amazon

Es fehle im Streitfall auch an der für eine Haftung nach § 8 Abs. 2 UWG erforderlichen Beherrschung des Risikos durch Amazon, weil der Affiliate bei der Verlinkung nicht in Erfüllung eines Auftrags oder der mit Amazon geschlossenen Vereinbarung tätig werde, sondern im Rahmen des von ihm entwickelten Produkts und allein in eigenem Namen und im eigenen Interesse. Amazon sei auch nicht verpflichtet gewesen, sich einen bestimmenden und durchsetzbaren Einfluss zu sichern, weil sie ihren Geschäftsbetrieb nicht erweitert habe.

Beurteilung

Der BGH hat mit der Entscheidung der weit verbreiteten Strategie, statt des eigentlichen Verletzers denjenigen Beteiligten zu verklagen, der über „deep pockets“ verfügt, also finanziell leistungsfähig und somit im Falle des Obsiegens zur Erstattung der Prozesskosten in der Lage ist, in der konkreten Konstellation eine Absage erteilt.

Ausblick

Mit der am 1. November 2022 in Kraft getretenen Verordnung (EU) 2022/1925), besser bekannt unter der Bezeichnung Digital Markets Act, die ab 2. Mai 2023 anzuwenden ist, werden Online-Plattformen wie Amazon weitreichende Verpflichtungen auferlegt, um einer unfairen Ausnutzung von Marktmacht entgegenzuwirken.

Kölner Tage IT-Recht

Wir freuen uns, auch dieses Jahr wieder aktiv bei den Kölner Tagen IT-Recht mitzuwirken: Dr. Truiken Heydn als Co-Tagungsleiterin und Dr. Michael Karger als Referent zum Thema Auslagerung in die US-Cloud aus Kunden-Perspektive.

Gesetze (Verordnungen) über digitale Märkte und Dienste in Kraft getreten

Das Europäische Parlament hat einem umfassenden Regulierungspaket für Online-Plattformen zugestimmt. Es umfasst zwei Verordnungen: das Gesetz über digitale Märkte (Digital Markets Act) welches bereits teilweise ab dem 2. Mai 2023 (alle Regelungen greifen ab dem 25. Juni 2023) gilt und das Gesetz über digitale Dienste (Digital Services Act) welches ab dem 17. Februar 2024 in allen EU-Staaten gilt.

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Dualer Vertrieb nach der neuen Vertikal-GVO – Welche Informationen können in Franchise-Systemen noch ausgetauscht werden?

Am 1. Juni 2022 trat die neue EU Vertikal-Gruppenfreistellungsverordnung (VGVO) und die sie ergänzenden neuen Vertikal-Leitlinien (VLL) in Kraft, die für die nächsten zwölf Jahre auch im deutschen Recht gelten und den kartellrechtlichen Rahmen für Vertriebsverträge vorgeben. Die neuen VGVO/VLL sehen mehrere wesentliche Änderungen vor, die das Kartellrecht im Bereich des Vertriebs modernisieren, für mehr Flexibilität sorgen und wichtige Fragen klären.

Ein Thema, das besonders in der Franchise-Wirtschaft im Vorfeld für viel Aufsehen sorgte, waren die geplanten Neuregelungen zum sogenannten „Dualen Vertrieb“, die gerade auch in Franchise-Systemen eine nicht unwesentliche Rolle spielen. Dualer Vertrieb liegt vor, wenn ein Anbieter seine Produkte nicht ausschließlich über Händler, sondern parallel dazu auch selbst direkt an Endkunden vertreibt, beispielsweise über ein eigenes Filialnetz oder über einen eigenen Onlineshop. Anbieter und Händler sind hier – wenn auch über verschiedene Vertriebswege – Wettbewerber im Kundenmarkt.

Zahlreiche Franchise-Systeme vertreiben Waren oder Dienstleistungen nicht ausschließlich über die stationären Standorte ihrer Franchise-Nehmer, sondern heute mehr denn ja auch noch über einen zentralen Onlineshop, den regelmäßig der Franchise-Geber betreibt. Damit sind die Voraussetzungen des „dualen Vertriebs“ erfüllt.

Die drei Freistellungsvoraussetzungen vom Kartellverbot und damit das grundsätzliche Prüfschema sind auch in der neuen VGVO geblieben. Freigestellt vom Kartellverbot des Art. 101 AEUV sind danach auch künftig

  • vertikale Vereinbarungen zwischen Unternehmen, z.B. Franchise-Geber – Franchise-Nehmer
  • mit jeweils Marktanteilen bis maximal 30 %, die
  • keine Kernbeschränkungen enthalten – Art. 2–4 VGVO.

Während der duale Vertrieb bislang ohne jegliche Einschränkung freigestellt war, gibt es in der neuen VGVO eine Einschränkung. Die Freistellung gilt nicht für den Informationsaustausch zwischen Anbietern und Abnehmern, der entweder nicht direkt die Umsetzung der vertikalen Vereinbarung betrifft oder nicht zur Verbesserung der Produktion oder des Vertriebs der Vertragswaren oder -dienstleistungen erforderlich ist oder keine dieser beiden Voraussetzungen erfüllt (Art. 2 V VGVO).

„Vertikaler Informationsaustausch“ ist aber gerade in Franchise-Systemen von erheblicher Bedeutung. So werden häufig die Verkaufszahlen und Umsätze des Onlinevertriebs mit denen des stationären Vertriebs verglichen, gesplittet nach Warengruppen, Eigenmarken, Fremdmarken usw. Der Franchise-Nehmer muss im Rahmen des Controlling und Benchmarking monatlich betriebswirtschaftliche Kennzahlen an den Franchise-Geber liefern, ferner Informationen über die Markt- und Wettbewerbssituation vor Ort.

Der Franchise-Geber benötigt die Daten nicht nur zur Berechnung der laufenden Franchise-Gebühr, sondern auch zur Steuerung der Produktentwicklung, der Verbesserung der Dienstleistungsqualität, im Rahmen des Marketings, zu Optimierung der Warenwirtschaft und Logistik u.v.m.

Die gute Nachricht: Die EU-Kommission hat ihre ursprünglich restriktive Haltung zum Thema „vertikaler Informationsaustausch im Dualvertrieb“ aufgegeben, der Informationsaustausch wird jetzt grundsätzlich positiv bewertet.

Der Informationsaustausch umfasst alle Arten von Austausch, sei es vertraglicher Natur oder außerhalb der vertraglichen Vereinbarung, sei es schriftlich, mündlich, einseitig oder gegenseitig. Ob der Informationsaustausch „erforderlich“ ist, hängt vom jeweiligen Vertriebsmodell ab. Bei Franchise-Systemen kann es nach Ansicht der EU-Kommission erforderlich sein, dass Franchise-Geber und Franchise-Nehmer Informationen austauschen, die sich auf die Anwendung eines einheitlichen Geschäftsmodells über das gesamte Franchise-Netzwerk beziehen (LL 98).

Die Leitlinien enthalten eine Liste von nicht abschließenden Beispielen, welche Informationen im Rahmen dualer Vertriebssysteme in der Regel zulässigerweise ausgetauscht werden müssen, d.h. erforderlich sind, und welche nicht (vgl. LL 99, 100).

Erforderlich und zulässig ist danach der Austausch von

  • technischen Informationen über Vertragswaren und –dienstleistungen
  • logistischen Informationen über Produktion und den Vertrieb der Vertragswaren oder –dienstleistungen
  • aggregierten Informationen über Käufer der Vertragswaren oder –dienstleistungen sowie Kundenpräferenzen und Kundenfeedback
  • Abgabepreisen des Anbieters, zu denen Vertragswaren oder –dienstleistungen an Absatzmittler verkauft werden
  • unverbindlichen Preisempfehlungen oder Höchstpreisen bzw. Wiederverkaufspreisen, wobei die Preishoheit zu beachten ist
  • Marketinginformationen zu den Vertragswaren oder –dienstleistungen einschließlich Informationen zu Werbekampagnen oder Produktneueinführungen
  • aggregierten Informationen über Marketing- und Verkaufsaktionen anderer Abnehmer sowie Informationen über das Volumen oder den Wert der Verkäufe des Absatzmittlers der Vertragswaren oder -dienstleistungen im Verhältnis zu seinen Verkäufen von konkurrierenden Waren oder Dienstleistungen.

Nicht erforderlich und regelmäßig unzulässig ist danach der Austausch von

  • Informationen über den künftigen Verkaufspreis des Absatzmittlers
  • kundenspezifischen Informationen, ausgenommen, der Austausch ist erforderlich, um (1) spezielle Anforderungen eines bestimmten Endverbrauchers zu erfüllen, dem Endverbraucher Sonderkonditionen zu gewähren (z.B. Kundenbindungsprogramm) oder Vor- / Nachverkaufsleistungen einschließlich Garantieleistungen zu erbringen, oder (2) die Einhaltung der Vertriebsvereinbarung, in deren Rahmen bestimmte Kunden zugewiesen werden, zu überwachen
  • Informationen über Waren, die vom Absatzmittler als Eigenmarken verkauft werden, gegenüber einem Hersteller konkurrierender Markenwaren, wenn nicht der Hersteller gleichzeitig Produzent dieser Eigenmarken ist

Franchise-Geber haben den Vorteil der Pronuptia Rechtsprechung des EuGH. Danach liegt schon keine Wettbewerbsbeschränkung im Sinne von Art. 101 AEUV vor, wenn eine Vereinbarung zum Schutz des Know-hows oder zum Schutz der Identität und des Ansehens des Franchise-Systems unerlässlich ist. Ob auch der Informationsaustausch, der erforderlich ist, um die Produktion oder den Vertrieb der Vertragswaren oder –dienstleistungen zu verbessern, darunterfällt, bleibt noch abzuwarten.

Ruth Dünisch

Rechtsanwältin